Schlagwort-Archive: Broda

Festrede beim 1. Christian Broda-Symposium am 27. Mai 2025 in Wien

5 vor 12: Gedanken zur Krise von Demokratie und Rechtsstaat

 

Sehr geehrte Festgäste!

Sehr geehrte Damen und Herren!

Es ist 65 Jahre her, dass Christian Broda erstmals zum Justizminister ernannt wurde. Dass der Name Christian Broda heute noch so präsent ist, zeugt von einer außergewöhnlichen Persönlichkeit. Christian Broda hat mit den von ihm eingeleiteten Reformen des Familien- und Strafrechts die österreichische Gesellschaft in den 1970er-Jahren nachhaltig zum Positiven verändert. Es ist mir eine besondere Freude und Ehre, die Festrede beim 1. Christian Broda-Symposium halten zu dürfen.

Das Thema der wehrhaften Demokratie bedeutet eine Herausforderung; werden doch derzeit weltweit darüber Bücher geschrieben und finden zahllose Veranstaltungen zum Thema statt. Und dennoch sind wir weit davon entfernt, ein Rezept zur Erhaltung und Stärkung der Demokratie zu haben.

Fest steht, dass die Demokratie global in der Krise ist. Das belegen die Zahlen. Der Demokratieindex 2024 des Economist etwa spricht davon, dass derzeit rund 45 % der Weltbevölkerung in einer Demokratie leben, jedoch insgesamt nur mehr rund 8 % der Weltbevölkerung in einer vollständigen Demokratie. Und 40 % leben demnach in einer Diktatur. Ein anderer Index, der Transformationsindex der Bertelsmann-Stiftung, verzeichnete 2022 erstmals mehr autokratische als demokratische Staaten. Von 137 untersuchten Ländern waren im Jahr 2022 nur noch 67 Demokratien, die Zahl der Autokratien stieg auf 70. Klar ist der Trend, dass von Jahr zu Jahr mehr Staaten von einem demokratischen System in Richtung eines autoritären Systems kippen.

Der folgende Vortrag geht auf drei Punkte ein:

  • auf die möglichen Ursachen der weltweiten Demokratiekrise
  • auf die Wehrhaftigkeit der Demokratie, und
  • drittens, am Ende, auf die Herausforderungen für Österreich in der laufenden Regierungsperiode, da uns ja vordringlich jener Bereich beschäftigen soll, den wir aktiv mitgestalten können.

Und damit zur ersten Frage, den Ursachen der Demokratiekrise. Da gibt es zunächst die ganz große geschichtliche Betrachtung. Die Geschichte erscheint als Abfolge von Phasen der Demokratie und der Diktatur, jede Demokratie gehe irgendwann unter, so wie auch jede Diktatur. Die Frage ist: können wir das durchbrechen, die Demokratie langfristig erhalten?

Der Zeitverlauf spielt in jedem Fall eine Rolle. Das Verständnis für die Bedeutung der Demokratie war in der Bevölkerung wohl leichter zu gewinnen, solange die Erinnerung an die Gräuel von Faschismus und II. Weltkrieg in den Familien durch eigenes Erleben oder die Erzählungen der Eltern und Großeltern noch präsent war. Nicht umsonst suchen wir derzeit alle nach Formaten, die Zeitzeug:innenberichte ersetzen können, eben weil die Vermittlung der Geschichte so wichtig ist, um künftigem Unglück vorzubeugen. Parallel beobachten wir eine Geschichtsvergessenheit vieler politischer Akteure, die damit auch die Bedeutung der Menschenrechtsordnung als Konsequenz aus Krieg und Faschismus nicht erfassen.

Eine ebenfalls oft genannte, wohl zentrale Mitursache der Demokratiekrise ist die ungleiche Verteilung von Vermögen. In diesem Zusammenhang spielt es meines Erachtens eine wichtige Rolle, dass der Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Osteuropa 1989 im globalen kollektiven Erleben weltweit fehlinterpretiert wurde. Der Zusammenbruch dieser Regime wurde nämlich als Versagen nicht nur kommunistischer, sondern vielmehr aller linken, sozialdemokratischen Ansätze interpretiert. So wurden zugleich die Schwächen des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells übersehen und vernachlässigt. Es wurde übersehen, dass das kapitalistische Wirtschaftsmodell bereits 1989 genauso im Stadium des Versagens war, wie das kommunistische Modell. Der Kapitalismus hat dazu geführt, dass die Warnung des Club of Rome vom Anfang der 1970er-Jahre vernachlässigt wurden, und die Ausbeutung des Planeten zur Existenzbedrohung für die Menschheit führte, wie wir sie aktuell in den weltweiten Klimakatastrophen beobachten.

Es wurde auch verdrängt, dass die zunehmende Monopolisierung bei weltweit tätigen Konzernen zu Abhängigkeiten führt, und dass die Player eines ungeregelten kapitalistischen Systems dazu neigen, die Demokratie als hinderlich zu sehen. Nach 1989 war viel von den Oligarchen in den kommunistischen Nachfolgestaaten, vor allem in Russland und in der Ukraine, zu lesen. Das gleichzeitige Aufkommen der Oligarchen in der westlichen Welt wurde übersehen und ist erst jetzt mit den Eskapaden von Thiel, Musk und anderen im vollen Ausmaß sichtbar. Weltweit kaufen sich mittlerweile Oligarchen Politik, Politiker:innen und Medien. Unverdecktes Ziel ist es, die Märkte aufzuteilen und die Bodenschätze der Welt auszubeuten. Zu diesem Zweck schwächt diese Allianz von einzelnen Politiker:innen und Oligarchen demokratische Strukturen.

Die Sozialdemokratie ist der Fehlinterpretation des Untergangs der kommunistischen Systeme ebenfalls erlegen und hat mit dem so genannten dritten Weg der Sozialdemokratie zur eigenen Schwächung, aber auch zur Schwächung der Demokratie beigetragen, weil dadurch der Gedanke der gesellschaftlichen Solidarität und des Gemeinwohls vernachlässigt und zur Worthülse wurde. Die Linke ließ sich seit 1989 ohne Not in die Defensive drängen, waren doch die negativen Folgen ungeregelter Märkte bereits für Alle sichtbar.

Weiterer zentraler Faktor der Demokratiekrise ist, dass die Politik auf einmal mehr von den Berater:innen für die Öffentlichkeitsarbeit bestimmt war als von Fachexpertise. In vielen Parteien und Staaten wird mittlerweile bei jeder Entscheidung auf die aktuellen, oft wöchentlich eingeholten Umfragen geschielt. Inhalte und langfristige Folgen der Entscheidungen spielen immer weniger eine Rolle. Politiker:innen werden dadurch zu Politikdarsteller:innen; die Bevölkerung durchschaut das Spiel und wendet sich von der Politik ab. In Österreich steht die Ära Kurz für den Höhepunkt dieses Phänomens.

Die neue österreichische Bundesregierung bildet in ihren Anfangswochen ein Gegenmodell der Sachlichkeit. Der in einer besonders schwierigen Position befindliche Finanzminister nutzt seine Fachkompetenz, die Regierung verzichtet auf wechselseitige Angriffe und Angstmache; die Bevölkerung scheint es zu honorieren. Die Stadt Wien und die Wiener SPÖ setzen bereits seit langem auf positive Erzählungen und können damit punkten.

Das oft genannte Migrationsthema ist meines Erachtens nicht Ursache, sondern Symptom der Demokratiekrise, Die Forschung zeigt, dass die Quote migrierender Menschen in der Geschichte weitgehend konstant ist. Die Migration ist weder Ursache der ungerechten Vermögensverteilung noch eines überholten Bildungsmodells oder des Pflegenotstands. Im Gegenteil, die brutale Vorgangsweise an den Grenzen vergiftet die Gesellschaften, die dort ausprobierte staatliche Rohheit richtet sich zunächst gegen die Schwächsten, in der Folge gegen weitere Gruppen wie kritische Journalist:innen oder Jurist:innen.

Sehr wohl ein wichtiger Faktor der Schwächung der Demokratie ist eine mangelnde Medienvielfalt und die Rolle der Social Media. Die oft beschriebene Wirkungsweise der Algorithmen ermöglicht die manipulative Einflussnahme auf den gesellschaftlichen Diskussionsprozess, sogar auf Wahlkampagnen in anderen Ländern. Durch die Polarisierung und Verkürzung haben Social Media eine Tendenz, den letztlich auf Kompromiss angelegten Diskurs seiner demokratischen Gesellschaft zu zerstören. Sowohl für traditionelle Medien wie für Social Media-Plattformen gilt, dass eine Konzentration von Wirtschaftsmacht mit der Eigentümerschaft über bedeutsame Medien für die Demokratie gefährlich ist: der Erwerb von Twitter durch Elon Musk ist ein gutes Beispiel, dasselbe passiert aber auch nationaler und regionaler Ebene ebenso.

Für die USA spielt die Verbindung von Wirtschaftsmacht und Besitz von Medien eine zentrale Rolle für die Eskalation 2025, so wie der Wechsel von demokratischen zu autoritären Systemen in aller Regel zunächst von Angriffen auf unabhängige Medien und auf die Justiz geprägt ist. Das konnten wir in Ungarn genauso sehen wie in Polen, der Türkei oder Israel.

Für Europa stellt sich das zusätzliche Problem, dass die großen social media-Plattformen ihren Sitz in den USA und China haben. Die Europäische Union hat das Problem erkannt und mit dem Digital Services Act und anderen Rechtsakten erste Regulierungssysteme etabliert. Generell bleibt Europa für Länder wie Österreich die größte Hoffnung und stärkstes Asset im Kampf für die Demokratie. Auch gegenüber den USA hat die Europäische Union den Vorteil des großen Fachbeamtinnenapparats in Brüssel, Luxemburg und – wenn man den Europarat mitdenkt – in Straßburg. Es sind zehntausende hoch qualifizierte Beamtinnen, Experten, die leidenschaftlich Europäerinnen und Europäer und Anhängerinnen und Anhänger des europäischen Rechts und der Menschenrechtsordnung sind. Das könnte den Ausschlag dafür geben, dass Kerneuropa die aktuelle Krise der Demokratie meistert und gestärkt aus ihr hervorgeht.

Und das führt bereits zum zweiten Punkt, zur Wehrhaftigkeit der Demokratie. Einzuräumen ist, dass bisher kein taugliches Rezept zur Absicherung der Demokratie gefunden wurde. Die dramatische Entwicklung, die wir in diesem Jahr in den USA beobachten, hätte vor 15 Jahren wohl kaum jemand als realistisches Szenario gesehen. Tatsächlich ist es so, dass einerseits zwar Alarmismus keine gute Strategie ist. Zum anderen werden die Gefahren für die Demokratie aber nach wie vor sträflich unterschätzt. Martin Baron, Publizist und ehemaliger Chefredakteur der Washington Post, rechnet damit, dass es in den USA demnächst zu Anklagen von Journalisten kommen wird, um die Medien einzuschüchtern.

Baron sagt: „Es ist schlimmer geworden. Aber ich denke, es kommt noch schlimmer. Trump hat ein Asset: Gewalt, begleitet von Drohungen und Einschüchterung. Das macht er mit Universitäten, das hat er mit Rechtsanwälten gemacht, die Leute gegen ihn vertraten – und das macht er mit Journalisten.“

Ähnliche Szenarien haben Österreich noch vor wenigen Wochen gedroht, und sie können rasch wieder kommen. Der Künstler Philipp Ruch zeichnet in seinem Buch „Es ist 5 vor 1933“ die Parallelen zwischen den 1930er- Jahren und der Gegenwart auf erschreckende Weise nach. Dass dieser Gedanke nicht absurd ist, zeigt etwa die Rolle, die die österreichische Industriellenvereinigung in den Wochen der Regierungsbildung eingenommen hat.

Vielfach ist davon die Rede, dass es gilt, Institutionen von Rechtsstaat und Demokratie rechtzeitig zu stärken. Das ist zweifellos wichtig und richtig. Und dennoch ist nicht zu übersehen, dass neben den Strukturen die handelnden Personen eine Rolle spielen. Die beste Struktur knickt ein, wenn falsche Personen einmal in Machtpositionen kommen. Das Beispiel Donald Trump zeigt das. Strukturell gedacht gilt es, politische Systeme und Parteien so zu gestalten, dass die Feinde der Demokratie schon keine interne Karriere in einer Partei oder Bewegung machen. Aber auch dafür gibt es kein Rezept.

Jedenfalls ist es so, dass einzelne Staaten unterschiedlich resilient sind. Die für stark gehaltenen Institutionen der USA haben bisher überraschend schnell nachgegeben. Grund dafür ist wohl die geballte politische und wirtschaftliche Macht, die Trump, Musk und der weitere Kreis um den Präsidenten besitzen und die von ihnen genutzt wird, Angst und Schrecken zu verbreiten. Die Verhaftung einer Richterin in den USA war aus Sicht der autoritären Führung ein zentraler Schritt. Er bricht die Widerstandskraft von Justiz und Jurist:innen auf breiter Ebene.

Um optimistischer zu bleiben können wir nach Italien blicken, wo Justiz und Richterschaft dem früheren Regierungschef Berlusconi über viele Jahre hin Widerstand gegen alle autoritären Bestrebungen leisteten und auch aktuell in der Frage eines Asylzentrums in Albanien die Gerichte hartnäckig den Rechtsstaat verteidigen; oder nach Polen, wo die Mitglieder des Verfassungsgerichts jahrelang gegen ihre Entmachtung ankämpften.

Ermutigend sind auch breite Proteste, wie wir sie in den letzten 20 Jahren immer wieder in Rumänien, in der Slowakei, in Israel und zuletzt in Serbien sehen konnten. Es sind dies starke Demokratiebewegungen. Gleichzeitig gilt es zu konstatieren, dass autoritäre Regierungen mittlerweile auch jahrelang Proteste aussitzen, wo in früheren Zeiten wohl eine oder zwei Massendemonstrationen gereicht hätten, eine Führung zum Abtritt zu veranlassen.

Schließlich stellt sich die Frage nach dem Verbot extremer Bewegungen. Die rechtliche Situation ist in Deutschland und Österreich unterschiedlich. Aus meiner Sicht ist ein Verbotsantrag zur AfD naheliegend. Das Recht muss auf alle gleich angewandt werden. Politischer Erfolg kann kein Argument dafür sein, im Gesetz vorgesehene Strafverfolgung oder Verbote auszusetzen.

Es ist bezeichnend, wenn Altkanzler Wolfgang Schüssel in einem Interview im Standard vor wenigen Tagen sich einerseits gegen eine von ihm spöttisch so genannte „Ausschließeritis“ von rechtsextremen Parteien ausspricht als auch sein Unverständnis für Korruptionsermittlungen der Justiz gegenüber Karl-Heinz Grasser und Sebastian Kurz ausdrückt. Sowohl Korruption als auch die mangelnde Abgrenzung konservativer Parteien zu Rechtsextremen sind zwei zentrale Ursachen der Demokratiekrise.

Bei der spezifisch österreichischen Situation mag eine Rolle spielen, dass eine Aufarbeitung des Austrofaschismus viel weniger erfolgt ist als das beim Nationalsozialismus der Fall war. Gerade in den letzten Monaten wurde wieder deutlich, dass sich Teile der Konservativen mit einem Bündnis mit Rechtsextremen leichter tun als mit einem Bündnis mit der Sozialdemokratie.

Damit zum letzten Abschnitt: Die Herausforderungen für Österreich in der laufenden Regierungsperiode.

Nach turbulenten Phasen innerhalb der letzten acht Jahre sollte uns die aktuelle Ruhe in der österreichischen Innenpolitik nicht täuschen. Die Dramatik der Regierungsbildung hat gezeigt, dass die Situation auch in Österreich ganz schnell kippen kann. Die FPÖ hat den Umbau des Staates in Richtung des ungarischen Modells unzählige Male angekündigt; sie wird ihn, ist sie an der Macht, mit großer Vehemenz umzusetzen versuchen. Dazu kommt, dass Demokratie und Rechtsstaat in Österreich in den letzten Jahren geschwächt wurden. Zum Teil aus der Regierung heraus, als der frühere Finanzminister Blümel dem Untersuchungsausschuss des Parlaments Akten verweigerte, bis ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom Bundespräsidenten exekutiert werden musste. Ein weiteres Mal, als das Bundeskanzleramt einer Anordnung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zur Datensicherung nicht nachgekommen ist. Auch diese Anordnung musste im Rechtsweg durchgesetzt werden. Beides sind in der Zweiten Republik einmalige Vorgänge. Je öfter sich so solche Vorfälle wiederholen, umso mehr werden Institutionen wie die Staatsanwaltschaften oder das Parlament geschwächt. Auch die Verzögerung der Besetzung hoher staatlicher Ämter, etwa bei der Bundeswettbewerbsbehörde über mehr als ein Jahr, wie sie unter der letzten Regierung passiert sind, schwächt die Institutionen.

Die Dramatik der Gefahr für die Demokratie sollte uns veranlassen, bei den Reformen mutiger zu werden. Das Modell der Parteiendemokratie entwickelt sich weltweit schlecht. Der Parteien- und Politikbetrieb beschäftigt sich mit selbst, die nahezu kompetenzlosen Landtage sind ein Beispiel dafür. Die Zusammensetzung des Nationalrats wird immer weniger repräsentativ – Arbeiter:innen und Angestellte sind kaum vertreten, geschweige denn die vielen prekär Beschäftigten. Ernsthaft reformieren würde bedeuten, kreative Reformideen, wie die teilweise Beschickung des Parlament mit durch Los bestimmte Bürger:innen, auszuprobieren – wie es sich ja bei der Wahl von Schöffen und Geschworenen bewährt hat;  es hieße, den Föderalismus zu reformieren, Bund und Gemeinden zu stärken und die Länderkompetenzen zurückzufahren, die Landtage abzuschaffen.

Die Achillesferse der österreichischen Demokratie ist meines Erachtens die Medienstruktur. Kaum ein Land der Welt gibt bezogen auf die Bevölkerung so viel Geld für Medien aus (dasselbe gilt für die Parteienförderung); zu einem kleineren Teil durch eine gesetzlich definierte Medienförderung, zu einem großen Teil durch Inserate öffentlicher Stellen. Über 400 Millionen Euro gaben öffentliche Stellen 2024 für Inserate aus. Besser eingesetzt könnte mit diesen Summen eine bunte, qualitativ hochwertige Medienlandschaft entstehen, in der etwa die zahlreichen neuen investigativen Podcasts und neuen Medienformate angemessen gefördert werden. Die aktuelle Vergabe von Inseraten wird nicht zu Unrecht als Inseratenkorruption bezeichnet, schafft sie doch Abhängigkeiten, die Demokratie und Rechtsstaat nicht zuträglich sind. Im Falle einer autoritären Wende hat eine Regierung wenig Widerstand aus den Medien zu erwarten, da keine starke unabhängige Medienlandschaft besteht und eine Gleichschaltung durch wirtschaftliche Erpressung oder vorauseilenden Gehorsam schnell eintreten wird. Die hohe Summe öffentlicher Gelder, die den Medien zufließt, ist also einfach falsch und schlecht eingesetzt. Die Ära Kurz zeigt es: sein Erfolg geht zu einem guten Teil auf das Wohlwollen der Medien zurück; die Inseratenausgaben der Regierung waren unter Kurz um ein Vielfaches höher als vor und nach seiner Zeit. Die Reform der Medienförderung, die Umleitung der Inseratengelder in eine echte Qualitätsförderung, ist eine zentrale Reformforderung.

Für die aktuelle Regierungsperiode stehen die Zeichen nicht schlecht. Der Ton der politischen Diskussion hat sich in den letzten Monaten versachlicht, die vor allem von der ÖVP gepflegte Message Control hat abgenommen. Das Regierungsteam ist, vor allem dank der SPÖ, personell so kompetent wie schon seit vielen Jahren nicht. Es ist ein wichtiges Signal und zugleich eine Stärkung der Demokratie, das Finanzministerium mit einem führenden Ökonomen, das Justizministerium mit einer Höchstrichterin zu besetzen und so weiter. Das Zeitfenster für strukturelle Reformen im Land in Zusammenarbeit von Regierung, Fachkreisen und Zivilgesellschaft wäre da.

Leitgedanke einer aktiven Demokratiepolitik muss es sein, Solidarität, Gemeinwohl und Hilfe für die Schwächsten in den Mittelpunkt zu stellen und den Primat der Politik über die Wirtschaftsmacht, sprich Konzerne und Oligarchen, wieder herzustellen. Die Vermögensverteilung ist im Auge zu behalten und die Gesellschaft ist, ganz im Sinne Christian Brodas, in allen Bereichen in Richtung mehr Gleichheit zu entwickeln. Es ist wichtig, eine gute Struktur für die Bundesstaatsanwaltschaft zu finden, um die Justiz tatsächlich unabhängig zu stellen. Es ist ebenso wichtig, im Verhältnis Regierung zu Parlament das Parlament zu stärken.

In den letzten Jahren ist es gelungen, die Gesellschaft dafür zu sensibilisieren, dass viele Menschen in Österreich aufgrund des restriktiven Staatsbürgerschaftsrechts nicht wahlberechtigt sind. Die Demokratie kann dauerhaft nicht gut funktionieren, wenn bald die Hälfte der Bevölkerung in den Städten keine Beteiligungsmöglichkeiten hat. Wir müssen beharrlich daran arbeiten, mehr Menschen den Zugang zu Wahlen zu ermöglichen, und den Menschen ohne Wahlrecht andere Partizipationsformen zu eröffnen. Spanien liefert gerade ein Beispiel für mutige Politik, indem es rund eine Million Migrant:innen legalisiert – auch unter Hinweis auf deren wichtigen Anteil an der positiven Wirtschaftsentwicklung. In diesem Licht ist die vom österreichischen Kanzler mitgetragene Initiative zur Diskussion, ja Infragestellung der EGMR-Rechtsprechung doppelt bedauerlich.

Für viele Bereiche liegen Reformvorschläge auf dem Tisch, das Antikorruptions- und Rechtsstaatsvolksbegehren oder die Initiative bessere Verwaltung seien erwähnt.

Wir benötigen in jedem Fall breitere Ansätze als früher: wenn etwa der vorgesehene Verfassungskonvent eingerichtet wird, dann sollte das von einer groß angelegten Informationskampagne in der Öffentlichkeit, von breiten Fortbildungsmaßnahmen in Justiz und Polizei begleitet sein; aber auch zu einem Schwerpunkt in den Schulen und Universitäten genutzt werden.

Wir benötigen eine positive Erzählung, die dem destruktiven Diskurs der rechtsextremen und anderer extremistischer Bewegungen eine Perspektive für die Bevölkerung entgegensetzt. Es gilt also, Wahlversprechen wie den kurzfristigen Facharzttermin oder eine kostenlose Kinderbetreuung umzusetzen. Es sind die konkreten, im Alltag erlebbaren Maßnahmen, durch die Politik das Vertrauen in die Demokratie festigen kann. Das Ergebnis der Wahl in Wien vom April 2025 zeigt, dass die Bevölkerung Sachpolitik honoriert.

Ich möchte mit einem weiteren Zitat Martin Barons, des ehemaligen Chefredakteurs der Washington Post, abschließen. Er sagt aus Sicht des Journalismus: „Wir müssen unser Tun besser reflektieren. Ich glaube, wir haben uns zu wenig um normale Menschen gekümmert. Wir fragten uns: Wie haben wir 2016 nicht ahnen können, dass Trump gewinnen würde. Die Antwort ist: Wir haben die amerikanische Bveölkerung nicht verstanden, wir haben zu wenig Zeit investiert, sie und ihre Pronbleme und Verletzungen wirklich zu verstehen. Wir müssen sie wieder kennenlernen, sie fragen, was ihre Hoffnungen, ihre Träume und ihre Probleme sind. Die Menschen müssen spüren, dass wir mit ihnen verbunden sind – und dass wir gewillt sind, darüber zu berichten. Und wir müssen transparenter sein.“

Was Baron sagt, gilt wohl nicht nur für den Journalismus, und es gilt nicht nur für die USA. Sein Zugang ist wohl DAS Rezept auch für Europa: Wir benötigen Träume. Das Beispiel Christian Brodas kann uns ermutigen, an Visionen zu glauben. Im richtigen Zeitfenster sind sie auf einmal umsetzbar.

Links:

APA-Aussendung

Bericht zum Symposium

Fotos: BSA Niederösterreich