Alle Beiträge von Oliver Scheiber

Portugal

Portugal ist in vielerlei Hinsicht ein außergewöhnliches Land. Die Lebensart ist angenehm, Lebensfreude und Melancholie sind richtig gemischt. 1974 wurde die lange Diktatur durch die gewaltfreie Nelkenrevolution beendet. In jüngerer Zeit dominiert meist eine sachliche, solidarische Politik, die Wirtschaft stabilisiert sich, eine liberale Drogenpolitik zeigt positive Ergebnisse, auf die Coronapandemie wurde mit kluger Sozialpolitik reagiert.

Die großen Städte Lissabon und Porto sind unprätentiös und edel zugleich. Hochkultur ist vorhanden, aber die Kultur durchzieht wie in vielen romanischen Ländern den Alltag der Menschen. Nationalfeiertag des Landes ist der Todestag des Nationaldichters Luis de Camoes (16. Jhdt). Seine Lyrik setzt die Fadosängerin Lina Cardoso Rodrigues in ihrem neuen Album ein. Das faszinierende Programm zeigte sie heute im Akzenttheater in Wien.

https://www.museudofado.pt/en/fado/persolanity/carolina-en

https://www.geo.de/wissen/weltgeschichte/50-jahre-nelkenrevolution–ein-bild-und-seine-geschichte-34653738.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Lu%C3%ADs_de_Cam%C3%B5es

Unwirkliche Stunden

Es sind so unwirkliche politische Stunden wie zuletzt im Jahr 2000, als sich die Schwarz-blaue Regierung in Österreich bildete. Vor wenigen Tagen erst wurde eine Kundgebung für 9. Jänner  angekündigt, und heute sind zehntausende Menschen vor dem Bundeskanzleramt, 50.000 schätzen die Organisatoren, 25.000 melden die Behörden.

Das Wetter spielt mit, es bleibt trocken und ist nicht all zu kalt. Man geht durch die Menge und trifft alle paar Meter bekannte Gesichter. Im Bundeskanzleramt sind viele Lichter aufgedreht. Karl Nehammer wird morgen sein Amt zurücklegen. Vor seiner Haustür zehntausende besorgte und aufgebrachte Menschen. Einen solchen letzten Abend im Amt hat wohl bisher kein Kanzler erlebt. Dabei hat Nehammer den Bund mit der extremen Rechten konsequent abgelehnt, seine eigene Partei verweigerte ihm die Gefolgschaft in der politischen Integrität.

Ausgerechnet während der Kundgebung lässt die ÖVP ihre Bereitschaft zu Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ über die Agenturen laufen. Die Kundgebung endet gegen 20 Uhr bei ruhigem Wetter. Wenige Stunden später bricht starker Sturm über Wien herein.

Bericht im Standard

Capodanno

Jahreswechsel in Palermo. Vor wenigen Wochen wurde in Siziliens Hauptstadt Italiens stellvertretender Ministerpräsident Salvini nach langer Strafverhandlung vom Vorwurf der Freiheitsberaubung und des Amtsmissbrauchs freigesprochen. Der Staatsanwalt von Palermo hatte Salvini angeklagt, nachdem dieser 2019 als damaliger Innenminister ein Rettungsschiff mit Flüchtlingen über Wochen nicht in einen italienischen Hafen einlaufen hatte lassen. Der Fall zeigt das Ringen um Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, das für unsere Zeit so kennzeichnend ist. Nicht nur Politiker werden in Italien immer wieder wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt, sondern auch Flüchtlingshelfer:innen wegen Schlepperei. In Italiens Justiz sind unterschiedliche Zugänge vertreten, und das Land hat ein hohes Niveau an rechtswissenschaftlichem Diskurs und Strafrechtskultur. Das verschafft der Justiz gerade im Süden Ansehen in der Bevölkerung: der Flughafen von Palermo ist nach den 1992 ermordeten Mafiaermittlern Paolo Borsellino und Giovanni Falcone benannt. Fotografien der beiden Richter finden sich in den meisten Justizgebäuden Siziliens, an Hausmauern und in vielen Wohnungen. Seit einigen Jahren gibt es im Zentrum Palermos ein No-Mafia-Memorial mit angeschlossenem Museum. Eine zivilgesellschaftliche Initiative.

In Italien stehen Rechtsstaat und Demokratie aktuell auf der Probe. Die letzten Wahlen haben eine Mehrheit rechter und rechtsextremer Parteien gebracht. Ministerpräsidentin Meloni versucht nun, mit freundlicher Miene Richtung Brüssel, das Land autoritär umzubauen: durch gezielte Schwächungen der Justiz, des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, freier Medien und zivilgesellschaftlicher Aktivitäten und durch die bewusste Überschreitung menschenrechtlicher roter Linien.

So stark Italiens Institutionen sich in der Vergangenheit erwiesen haben, etwa im Widerstand gegen autoritäre Umbaupläne des früheren Ministerpräsidenten Berlusconi, zu Jahresbeginn 2025 befindet sich Österreich in der besseren politischen Situation. Mit dem eigenen Land ist man, auf Grund der emotionalen Bindung, meist kritischer als mit anderen Staaten. Mit ein bisschen Distanz wird der Blick milder. Ein „Wiener“ Neujahrskonzert am Politeama Garibaldi-Konzerthaus von Palermo trägt dazu bei. Am 1. Jänner leitet hier der Wiener Dirigent Peter Guth das Symphonieorchester Siziliens. So kann man am Neujahrstag in Palermo ua die Strauss-Polka „Im Krapfenwald`l“ hören und, zum Abschluss des Konzerts, den Donauwalzer. Das Konzert ist nicht nur Beleg des Erfolgs österreichischer Kultur, sondern auch des Zusammenwachsens Europas, des Entstehens einer europäischen Identität. Wenn so oft von Krisen die Rede ist, sollen wir das Positive nicht übersehen. Die europäische Einigung hat den beteiligten Ländern bereits 80 Jahre Frieden gebracht.

2025 feiert Österreich nicht nur 80 Jahre Befreiung vom Nationalsozialismus, sondern auch 30 Jahre Zugehörigkeit zur Europäischen Union. In 20 Jahren, so wollen wir hoffen, wird Österreich 100 Jahre durchgehender Demokratie begehen können und dann die Hälfte dieser Zeit eingebettet in ein gemeinsames Europa verbracht haben.

Die Errichtung der Zweiten Republik wie auch der Beitritt zur Europäischen Union war wesentlich von den beiden Traditionsparteien ÖVP und SPÖ getragen. Ihr Zusammenwirken hat Österreich diese lange Periode der Demokratie gesichert. Das sollte man in Zeiten, wo jedes Jahr mehrere Staaten vom demokratischen ins autoritäre Regime kippen, schätzen. Man konnte in der Vergangenheit einiges am politischen Kurs von Bundeskanzler Nehammer kritisieren; im entscheidenden Moment nach der Wahl vom September 2024 hat er eine unbeugsame demokratische Haltung bewiesen und der Versuchung einer einfachen Regierungsbildung mit der extremen Rechten widerstanden. Das verdient Respekt; dieselbe Wertschätzung gilt den weiteren Regierungsverhandlern Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger, die sich mit Nehammer um eine Regierung der politischen Mitte bemühen. Eine solche Koalition ist, von einer Minderheitsregierung abgesehen, die einzige verantwortungsvolle politische Option.

Das Weltgeschehen ist aktuell von oft skrupellosen Populisten bestimmt, die Frieden, Demokratie und Rechtsstaat gefährden, verspielen und nicht selten bewusst zerstören. Lange Regierungsverhandlungen sind da im Vergleich kein Unglück und langweilig wirkende Politik ist oft die bessere – Österreich sollte es nach den Erfahrungen mit seinen begabten Populisten wissen.  Die Hoffnung auf gute politische Jahre ist intakt, machen wir etwas daraus.

Zum Jahreswechsel

Es gibt das Bild der Geburtslotterie: Wo wir geboren werden, suchen wir uns nicht aus, und man kann es gut oder weniger gut treffen. Es gibt Orte, an denen ist für die meisten Menschen ein hartes Leben vorgezeichnet. Und es gibt Orte, die zumindest eine recht gute Chance für ein glückliches Leben bieten.

Oft sind es kurze Begegnungen, die uns daran erinnern, wie ungleich Chancen und Glück verteilt sind. Letzte Woche bin ich mit einem jungen Mann, Enis, vielleicht an die 30, ins Gespräch gekommen. Er arbeitet in Wien in der Gastronomie. 2015 ist er mit seinem Bruder aus Syrien vor Krieg und Verfolgung nach Österreich geflüchtet, hat Asyl erhalten, arbeitet seit Jahren als Koch und Kellner. Die Eltern der beiden Brüder, die als Jugendliche nach Europa geflüchtet sind, blieben in Syrien zurück. Das Assad-Regime erlaubte Auslandssyrern, die 2015 geflüchtet waren, die Wiedereinreise nur gegen Bezahlung von 10.000 Euro. So konnte Enis seine Eltern auch nicht besuchen, nachdem er einen Daueraufenthaltstitel in Österreich erlangt hatte. Jahrelang sparte er, um auf der Konsularabteilung der syrischen Botschaft ein Einreisevisum kaufen zu können, wie er mir erzählt. Im Sommer 2024 hatte Enis endlich 10.000 Euro beisammen, ging auf die Botschaft Syriens, bezahlte 10.000 Euro und erhielt ein Visum, um seine Eltern in Syrien besuchen zu können. Sein Bruder hatte es nicht geschafft 10.000 Euro anzusparen, also flog Enis allein nach Syrien. Drei Wochen verbrachte er bei seinen Eltern, besuchte Freunde und Angehörige. „Meine Eltern und ich haben nahezu drei Wochen durchgehend geweint. Um die verlorenen Jahre, über das Wiedersehen, über die bevorstehende Trennung.“ Enis ist zurück in Wien, er arbeitet wieder.

Das Assad-Regime ist gefallen, die Zukunft des Landes ungewiss. Immerhin, das 10.000-Euro-Visum ist fürs Erste abgeschafft.

Menschen und Medien hier in Europa sprechen und schreiben vielfach von illegaler Migration, von Integrationsproblemen, von hohen Sozialleistungen. Oft haben sie wenig Ahnung von den tatsächlichen Lebensverhältnissen geflüchteter und zugewanderter Menschen. Von den traumatisierenden Gewalttaten in Herkunftsländern und auf der Flucht, vom Drama getrennter Familien, wo Kinder jahrelang ihre Eltern oder Geschwister nicht sehen, von den Enttäuschungen und Demütigungen, die Geflüchtete wie Zugewanderte in Europa mitunter erleben.

Im Grunde ist es einfach: geflüchtete und zugewanderte Menschen sind nicht bessere Menschen. Aber eben auch nicht schlechtere. Sehr oft verletzte und verletzliche Menschen und sehr oft jene, die die unbeliebtesten Jobs übernehmen und so unseren Wohlstand mittragen. Und ganz sicher sind sie nicht schuld an den existenziellen Problemen unseres Kontinents – an Klimawandel, Kriegen, Wohlstandsgefälle. Erst wenn sich diese Erkenntnis durchsetzt, kann Europa seine nach 1945 aufgebaute Stärke wiederfinden – als Kontinent, in dem Solidarität und Menschenrechte möglichst Vielen ein glückliches Leben schenken.

Bild: Josef Schützenhöfer – „71“

Wo der Demokratie Gefahr droht, ist Positionierung eine Pflicht – Gedanken zur Wahl

Meine Großmutter hat in ihrem Leben zwei Mal unter Verfolgung und Lebensgefahr durch politische Regime gelitten; unter dem Austrofaschismus und unter dem Nationalsozialismus. Unter den Nazis wurde ein Teil ihrer Familie ermordet, ein Teil konnte in die USA flüchten, ein kleiner Teil der Familie überlebte in Österreich. Meine Großmutter erzählte oft von den düsteren Jahren; meine Erinnerungen an ihre Erzählungen sind frisch.

Als in den 1980er-Jahren der Aufstieg Jörg Haiders und seiner FPÖ begann, sagte meine Großmutter nicht einmal: diese Töne, diese Reden bei Veranstaltungen, genau so hat es damals begonnen. Ich wünsche Euch, meinen Enkelkindern, dass es sich nicht so weiterentwickelt wie damals, und dass Euch solche Zeiten erspart bleiben.

Dieses Vorwissen hat mein Engagement für Rechtsstaat und unsere Menschenrechtsordnung, die ja das Ergebnis der Lehren aus Krieg und Faschismus ist, mitbestimmt.

Fast 40 Jahre sind seit Haiders Aufstieg vergangen, das Erstarken der FPÖ wiederholt sich immer wieder nach periodischen Rückschlägen. Mittlerweile verwendet die FPÖ ungeniert Begrifflichkeiten, die auch die Nationalsozialisten gerne gebrauchten, stellt die Menschenrechtskonvention in Frage, fordert Außerlandesbringungen von Menschen in größerer Zahl und nennt als Vorbild ihrer Politik immer wieder Ungarn unter Viktor Orban. Sich Ungarn unter Viktor Orban zum Vorbild zu nehmen bedeutet aber, eine Gesellschaft schaffen zu wollen, in der Antisemitismus und Fremdenhass den Ton angeben, in der es keine freien Medien mehr gibt, keinen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und keine unabhängige Justiz. Es bedeutet schlicht die Abschaffung der Demokratie und der Freiheit, wie wir sie seit 1945 kennen.

Wir konnten in der jüngeren Vergangenheit gut beobachten, wie vor unserer Haustüre Demokratien kippen. Die Türkei, Ungarn, Polen, zuletzt Israel oder die Slowakei – der Wandel von der Demokratie zum autoritären Regime vollzieht sich manchmal langsamer, manchmal ganz rasch. Ich habe in Österreich viele öffentliche Diskussionen und Analysen zur Situation in den genannten Staaten gehört; die Kritikfähigkeit der österreichischen Teilnehmer:innen ist da gegeben; sie schwindet allzu oft, wenn es um die Beurteilung bedenklicher Entwicklungen im eigenen Land geht. Es ist nicht angenehm, sich mit den Schwächen des eigenen Landes auseinanderzusetzen und Gefahren zu benennen. Sich dadurch auch unbeliebt zu machen und dem billigen Anwurf der Nestbeschmutzung auszusetzen.

Die Zahl der Demokratien geht in den letzten Jahren weltweit laufend zurück. Österreichs Demokratie droht akute Gefahr dadurch, dass sich die einst staatstragende ÖVP inhaltlich, zum Teil auch in Worten von extremen Positionen nicht mehr (deutlich) abgrenzt. Die Demokratie gerät immer dann in Gefahr, wenn die Mehrheit aus der Mitte keinen Widerstand gegen extreme Positionen leistet. Genau das ist etwa mit den Republikanern in den USA passiert. Warnsignale gibt es in Österreich: die Weigerung des früheren Finanzministers Blümel, Akten an den parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu liefern, war ein Tabubruch und deutliches Blinken in eine autoritäre Richtung. Ähnliches gilt für das Infragestellen hart erkämpfter Menschenrechte vor allem im Zusammenhang mit Flucht und Migration.

Unsere Apathie angesichts der möglichen autoritären Entwicklung ist bemerkenswert. Als ob wir aus der Geschichte nichts gelernt hätten, schauen alle dem Aufstieg rechtsextremer Positionen zu und richten sich auf eine autoritäre Gesellschaft ein. Manche unterschätzen wohl auch die Gefahr für die Demokratie, andere ziehen Schweigen vor, um es sich mit keinem zu verscherzen. Jetzt, wo es sich noch viele leisten könnten, wird viel zu wenig Widerspruch gegen autoritäre Ansinnen erhoben. Das Stillhalten wird oft mit der nötigen Neutralität und Unbefangenheit erklärt: Journalist:innen könnten sich nicht positionieren, Jurist:innen und Wiisenschaftler:innen könnten sich nicht positionieren, Lehrer:innen könnten sich nicht positionieren. Es ist ein großes Missverständnis: das Bekenntnis zur Demokratie und zu den Grundrechten kann kein falsches Bekenntnis sein und keine Befangenheit auslösen. Wo der Demokratie Gefahr droht, ist Positionierung eine Pflicht. Schon einmal ist die so genannte Mitte der Gesellschaft unbefangen und neutral und schweigend in Diktatur und Faschismus mitmarschiert.

Positionierung bedeutet fallweise auch die Notwendigkeit, sich zu bestimmten Parteien oder Politiker:innen zu bekennen. Die Stichwahl zwischen Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen war ein solcher Moment.
Jetzt geht es wieder um die Beteiligung rechtsextremer Positionen an der Macht. Sich nicht zu positionieren bedeutet, die Fehler der 1930er-Jahre zu wiederholen: am Ende will keiner am Unglück schuld gewesen sein, das durch rechtzeitiges Handeln zu verhindern gewesen wäre.

Die FPÖ hat im Vorfeld dieser Wahl Positionen bezogen, die mit dem nach 1945 entwickelten Verständnis von Demokratie und Rechtsstaat nicht vereinbar sind. Die ÖVP schließt eine Koalition mit der FPÖ nicht aus. Es ist klar, dass eine Koalition dieser beiden Parteien die hohe Gefahr einer Beschädigung demokratischer Institutionen und des Abbaus demokratischer Freiheiten in sich trägt, dass der unabhängige Rundfunk und die unabhängige Justiz so gefährdet wären, wie in Ungarn oder der Slowakei.

Dazu kommt die Klimafrage: die Einsicht in die Dramatik der Lage und die Bereitschaft, ernsthaften Klimaschutz zu machen, wird für die Zukunft jedes Landes zentral sein.

Es ist unser aller Verantwortung und Pflicht, alles zur Bewahrung von Demokratie und Rechtsstaat zu unternehmen. Noch haben wir alle ein paar Tage Zeit, in unserem Umfeld zu informieren, aufzuklären und zu mobilisieren. Immerhin gibt es allein unter den fünf aktuellen Parlamentsparteien mit SPÖ, Grünen und Neos drei Parteien, die die Brandmauer gegen die extreme Rechte aufrecht erhalten und zusätzlich die Herausforderungen der Klimakrise in ihrer ganzen Dimension erfasst haben.