80 Jahre Zweite Republik – Freitagsgespräch mit Martin Kreutner

Martin Kreutner ist der österreichischen Öffentlichkeit als Initiator des Antikorruptions- und Rechtsstaatvolksbegehrens und als Korruptionsexperte bekannt.

Im Freitagsgespräch der Alten Schmiede wurden viele weitere Facetten seiner Persönlichkeit deutlich: nach Studium in Innsbruck und Leicester absolvierte Martin Kreutner die Offiziersausbildung, verbrachte einige Jahre auf Auslandseinsätzen des Bundesheers und wechselte dann ins Innenministerium. Dort baute er ab 2001 eine Antikorruptionseinheit der Polizei auf und wurde in der Folge zum ersten Dekan der Internationalen Antikorruptionsakademie berufen. Heute unterrichtet er an mehreren Hochschulen und berät bzw unterstützt Regierungsstellen und NGOs.

Zum Gespräch: https://www.youtube.com/watch?v=84Iv8pJVMMo

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Dikh He Na Bister! Schau und vergiss nicht

2. August – Gedenktag an den Völkermord an Roma und Sinti
Seit 10 Jahren kommen Roma und Sinti am 2. August auf dem Wiener Ceija-Stojka Platz zusammen, um der rund halben Million Rom*nja zu gedenken, die während des Porajmos ermordet wurden.
Auch am heutigen 2. August fand eine überaus berührende Feier mit Musik und Reden statt, unter anderem las Nuna Stojka aus den Berichten ihrer Schwiegermutter Ceija Stojka über ihre Zeit im Vernichtungslager.
In der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 wurden 2.897 Roma – Männer, Frauen und Kinder – in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau ermordet.
Erst 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der Genozid an einer halben Million Roma und Sinti vom Europäischen Parlament anerkannt. Österreichs Roma und Sinti fordern seit langem ein Denkmal für die ermordeten Mitglieder der Volksgruppe ein, bisher erfolglos. Dieser Umstand des fehlenden Denkmals wurde von mehreren Redner:innen beklagt, ebenso wie das Fehlen eines würdigen jährlichen Gedenkakts der Republik.
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Claus Peymann (1937-2025)

Es gibt öffentliche Personen, die begleiten uns durch das Leben. Sie stärken uns, ohne uns persönlich zu kennen, geben uns Zuversicht oder zaubern uns im Stillen ein Lächeln ins Gesicht.So ist es mir mit Claus Peymann gegangen, und ich teile das wohl mit ganz vielen.

1982 zog ich als 14-Jähriger mit meiner Familie vom noch grauen, aber immerhin städtischen Wien nach Salzburg, in eine bis dahin unbekannte, beklemmend-reaktionäre Welt. Im Salzburg der 1980er-Jahre regierten die früheren Nationalsozialisten und ihre unbekehrten Kinder. Meine Rettung war Thomas Bernhard, der diese Stadt wortgewaltig so beschrieb wie sie war, als Machtallianz der katholischen Kirche mit den Nationalsozialisten.

Ganz Österreich hielt bis zu den 1980er-Jahren an der Opferthese fest; man gerierte sich als Opfer der Nationalsozialisten, deren Geist man gleichzeitig hochhielt. Im Jahr 1986 brach dieses gesellschaftliche Konstrukt zusammen, als die ÖVP einen Prototyp des Österreichers des 20. Jahrhunderts, Kurt Waldheim, zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten machte. Es brach eine wilde gesellschaftliche Auseinandersetzung aus, wie man es sich heute nur mehr schwer vorstellen kann. Der Dokumentarfilm Waldheims Walzer gibt einen Eindruck von der Atmosphäre dieser Jahre. Erich Fried, Hilde Spiel, Doron Rabinovici, Alfred Hrdlicka waren einige der Vertreter:innen der Anti-Waldheim-Bewegung, die zugleich eine Bewegung der Aufklärung und des neuen Österreich war.

Die Bedeutung Claus Peymanns für Österreich kann man nur verstehen, wenn man sich die damaligen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die aufgeheizte Stimmung, in Erinnerung ruft. Bundespräsident Waldheim, der klassische Österreicher, der seinen Dienst in der Wehrmacht mit „nur meine Pflicht erfüllt“ umschrieb, war Bundespräsident und hatte wegen seiner Wehrmachtsvergangenheit Einreiseverbot in die USA. Der Aufstieg Jörg Haiders, des ersten der neuen Rechtspopulisten, begann in diesem Jahr. Österreich hatte sich gleichsam eingebunkert, während gleichzeitig unter dem neuen sozialdemokratischen Kanzler Franz Vranitzky die gesellschaftliche Stimmung langsam kippte, die Opferthese in sich zusammenbrach, ein neues gesellschaftliches Selbstverständnis sich durchsetzte, das Österreich sowohl als Täter- als auch Opferland erkannte. Es war rund zehn Jahre vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union.

Mitten in den Aufruhr des Jahres 1986 hinein kam Claus Peymann nach Wien, um hier bis 1999 Burgtheaterdirektor zu sein. Es fühlte sich an, als käme da einer in das muffige Haus Österreich, der zunächst einmal alle Fenster öffnet, um Luft hereinzulassen. Von Beginn an war Peymann mittendrin in den innerösterreichischen Auseinandersetzungen, durchschaute, Bernhard an seiner Seite, schnell die Spieler des innenpolitischen Zirkus und demaskierte sie der Reihe nach. Peymann hat in diesen Jahren nicht nur das Burgtheater entstaubt, er hatte die Kraft, einen nicht unerheblichen Beitrag zur Veränderung Wiens zur Weltstadt zu leisten. Er war in seinen ersten Wiener Jahren in erster Linie Aufklärer, langsam wurde dahinter die Rolle als wohl bedeutendster Burgtheaterdirektor deutlich, als überragender Regisseur, aber auch als Zauberer und Poet im Sinne Dario Fos oder Fellinis.

Zum 100-Jahr-Jubiläum des Burgtheaters beauftragte der Theaterdirektor Peymann Bernhard mit einem Stück, Heldenplatz, am 4.11.1988 sollte es Premiere haben. Sowohl Bernhard als auch Heldenplatz werden immer wieder mit dem Wort „Übertreibung“ etikettiert; ein Unsinn, Bernhard war ein Chronist des Nachkriegsösterreich, das so faulig war, dass man es gar nicht mehr übertreiben konnte. Die Auseinandersetzungen um Heldenplatz hat der ORF in einer Dokumentation nachgezeichnet; ich erinnere mich an meinen Schmerz, als ich Bernhard bei der Heldenplatzpremiere auf der Bühne sah. Der Dichter war schwach und nun lag, wie er es oft in Interviews formuliert hatte, tatsächlich die Hand des Todes auf seiner Schulter. Wenige Wochen später sollte er sterben.

Claus Peymann fügte dem Triumph mit Heldenplatz viele weitere Theatererfolge hinzu; er hatte die Stärke und Größe, aus allen Bereichen die Besten um sich zu scharen; Hermann Beil, Karin Bergmann, Ritter, Dene, Voss und Minetti. Er war der wohl größte Förderer österreichischer Literatur des 20. Jahrhunderts; er hat seinen Beitrag dazu geleistet, Bernhard, Jelinek und Handke in der Weltliteratur und in den Theatern weltweit zu etablieren. So fordernd und angemessen frech Peymann in politischen Diskussionen war, so sehr war seine Demut vor dem künstlerischen Werk immer spürbar. Auch aus der Ferne waren seine Eigenschaften so greifbar: eine kindliche Neugierde, der permanente Schalk im Nacken, die Fähigkeit, Poesie und Zauber zu schaffen. In seiner letzten Inszenierung in Wien, Warten auf Godot im Theater in der Josefstadt, war all das nochmals zu erfahren. Unvergessen bleibt Peymann, wie er sich im Bernhard-Dramolett Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen selbst spielt; bis zuletzt trat er in dieser Rolle gemeinsam mit seinem Weggefährten Hermann Beil in Wien auf, selbst vergnügt auf der Bühne und zum größten Vergnügen des Publikums.

Früh zur Legende geworden, war Peymann doch nie abgehoben. Er besuchte die Proben der Schauspielschüler:innen am Max Reinhardt-Seminar, oft konnte man ihn in Wiener Lokalen sehen, wie er angesprochen wurde und sich daran erfreute. Ein einziges Mal habe ich ihn gesprochen: Ich hatte das Glück, Peymann nach dessen Auftritt in Bad Vöslau am 27. Juni 2016 kennenzulernen; es war mein Geburtstag und das Zusammentreffen mein schönstes Geschenk.

Nach vielen Anfeindungen in den ersten Jahren hat Claus Peymann wohl an keinem Ort so viel Zustimmung, Wärme und Verehrung erfahren wie in Wien. Das spricht sehr für Peymann und ein bisschen auch für Wien. Peymann hat für mich immer eine besondere Form von Zärtlichkeit ausgestrahlt; und eine zärtliche Beziehung war es wohl, die Peymann mit Wien und dem Wiener Publikum verband. Alle die ihn mochten werden Peymanns Zärtlichkeit und Zuversicht immer empfinden.

 

Claus Peymann am 27.6.206 in Bad Vöslau.

Claus Peymann am 27.6.2016 in Bad Vöslau.

Warten auf Godot, Theater in der Josefstadt, 4.11.2024.

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Strafsachen am Bezirksgericht – Reportage von Florian Klenk

Die tausenden jährlichen bezirksgerichtlichen Strafverfahren haben wenig mit den großen Korruptions- und Wirtschaftsstrafsachen gemeinsam, über die die Medien breit berichten. Die Angeklagten am Bezirksgericht haben meistens keinen Verteidiger/keine Verteidigerin, die Schadenssumme ihrer Delikte liegt oft im 10 Euro-Bereich.

falter-Chefredakteur Florian Klenk hat einen Tag lang Strafverhandlungen am Bezirksgericht Meidling verfolgt und eine große Reportage darüber geschrieben. Und ergänzend haben wir im falter-Radio mit Raimund Löw über Grundsatzfragen des Strafrechts diskutiert.

Links:

falter-Reportage

podcast

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Bürglkopf

Zum Weltflüchtlingstag zeigten heute SOS Balkanroute und ÖH den mit dem Diagonale-Preis 2025 ausgezeichneten Dokumentarfilm Bürglkopf von Lisa Polster.

Der Film beschäftigt sich mit dem so genannten Rückkehrzentrum am Bürglkopf in Tirol. Flüchtlinge sind dort, rund 2 Stunden Fußmarsch vom Ort Fieberbrunn entfernt, auf einem Berg untergebracht, abgeschottet von der Gesellschaft.

Der Film und die Unterkunft, mit der er sich beschäftigt, zeigt die ganze Unvernunft des europäischen Umgangs mit Flucht und Asyl. Die stärkste Szene im Film sind wahrscheinlich die Gondelkabinen der Bergbahnen, die Aufschriften wie „Diversität“ und „Toleranz“ tragen und im Gegensatz zu dem stehen, was einige hundert Meter weiter praktiziert wird.

Die frühere Bewohnerin Nabaa Alawam formulierte es in der Publikumsdiskussion so: mit ganz vielen Hoffnungen und Träumen sei sie als Jugendliche in Österreich angekommen – und habe dann zehn Jahre ihres Lebens mit dem Warten auf einen Aufenthaltstitel verbracht und verloren. Sie wollte ebenso in einem Gesundheitsberuf arbeiten wie ein anderer Bürglkopf-Bewohner – seinen Traum, Arzt oder Pfleger zu werden, hat er aufgegeben.

Österreich investiert viel Geld dafür, Menschen wieder los zu werden, die es am Arbeitsmarkt dringend braucht. Der Film zeigt, wie sehr sich geflüchtete Menschen wünschen, Teil der österreichischen Gesellschaft zu werden, arbeiten und lernen zu dürfen. Selbst Einheimische, die der Zuwanderung skeptisch gegenüberstehen, räumen ein, dass die Unterbringung fernab jedes Siedlungsgebiets kontraproduktiv sei.

Der Staat produziert mit seinem unvernünftigen Umgang mit dem Fluchtthema nur Verlierer:innen: zerbrochene Familien (einige Familienmitglieder abgeschoben, einzelne dürfen bleiben), resignierte, erschöpfte junge Menschen, für Österreich wichtige Arbeitskräfte, die verloren gehen. Bürglkopf ist ein Extrembeispiel, selbstverständlich gelingt der Umgang mit Asyl/Flucht in anderen Einrichtungen in Österreich besser: aber einen Ort wie den Bürglkopf dürfte es in einem Land, das sich als Rechtsstaat versteht, nicht geben. Der Eindruck, den Behörden und Einrichtungsbetreiber im Film abgeben, ist verheerend. Zynisch, überheblich, unehrlich, intransparent. Die so genannte Rückkehrberatung offenkundig eine Farce; die Bewohner:innen werden gedemütigt und schikaniert.

Hoffnung bleibt wenig: die Initiativen (auch vor Ort), die sich um einen anständigeren Umgang mit den Flüchtlingen einsetzen; Einheimische, die aktiv den Kontakt zu den Heimbewohner:innen suchen; und die portraitierten Menschen, die so viel Potenzial haben. Wie die beeindruckende Nabaa Alawam, die aus Verzweiflung über die Abschottung zu malen begann, den Umzug ihrer Familie ins Dorf durchsetzte und nun nach der Abschiebung des Großteils ihrer Familie nach Wien gezogen ist, malt, schreibt und an Filmen mitwirkt.

Österreich ist alles in allem ein funktionierender Rechtsstaat. Orte wie den Bürglkopf darf es sich nicht leisten. Der Tiroler Landeshauptmann und der Innenminister sollten sich diesen Film ansehen. Sie werden zum Entschluss kommen, die Einrichtung am Bürglkopf schnell zu schließen – solche Zustände will niemand in seinem Verantwortungsbereich haben.

Danke Lisa Polster für den Film und an alle, die das Thema heute so wirksam bearbeitet haben, vom Team um SOS Balkanroute rund um Petar Rosandić, die ÖH und die Omas gegen Rechts.

https://www.falter.at/kino/1039915/buerglkopf-out-of-sight
https://kitzaktiv.at/naaba-alawaam/
https://www.facebook.com/SOSBalkanroute/?locale=de_DE
https://omasgegenrechts.at/

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