Die Verwaltung ist in der Krise. Eine Chronik.

Noch vor etwa 30 Jahren war die Verwaltung des Bundes geprägt von einem etwas altmodischen Beamtenethos, das gelegentlich Reformen allzu sehr bremste, aber insgesamt für eine hohe Qualität der Verwaltungsarbeit und für Stabilität im Staat sorgte. Die Beamt:innen aller Ebenen fühlten sich dem Wohl der Republik verpflichtet. Die höchsten Beamten, die Sektionschefs und Sektionschefinnen, waren unbefristet bestellt. Dies gab ihnen Unabhängigkeit und Selbstwert. Hatten sie gegen Pläne eines Ministers/einer Ministerin rechtliche oder sonstige Bedenken, so sprachen sie diese aus. Sie nahmen oft eine wichtige Warn- und Mahnfunktion ein, mahnten das Staatswohl ein und konnten oft Nachdenkphasen vor unüberlegten politischen Plänen erwirken.

Das änderte sich mit der Befristung der Sektionschefverträge auf fünf Jahre. Sektionschefs und Sektionschefinnen haben nun permanent die Schere im Kopf: sie arbeiten letztlich ständig auf die Verlängerung ihres Vertrages hin, der mit viel Prestige und Geld verbunden ist. Sie widersprechen Ministern und Ministerinnen kaum mehr, werden oft zu unkritischen Unterstützern jeder noch so undurchdachten tagespolitischen Aktion, umso mehr, wenn sie direkt aus dem Ministerbüro in ihre Funktion ernannt wurden. Denn parallel zur Befristung der Sektionschef:innen wuchsen auch die Ministerbüros an: bis zu 25 Personen arbeiten heute in Ministerbüros. Es entsteht eine Parallelstruktur zum eigenen Ministerium. Für die Tätigkeit im Ministerbüro gibt es keine Voraussetzungen oder Standards. Aus den Ministerbüros werden laufend Personen in Spitzen- und Leitungsfunktionen der Verwaltung ernannt, ohne die dort üblichen (und auch erforderlichen) Erfahrungen gesammelt und Prüfungen abgelegt zu haben. Eine ganze Heerschar von Personen mit reiner Parteikarriere ist in den letzten 20 Jahren in die Verwaltung eingesickert. Viele von ihnen fühlen sich mehr einem Minister/einer Ministerin oder einer Partei verpflichtet als der Verfassung oder Republik. Diese Personen nehmen Beamt:innen mit Erfahrung und Qualifikation Karrieremöglichkeiten und tragen zu einer breiten Demotivation im öffentlichen Dienst bei. Mittlerweile kommt die Mehrzahl der Sektionschef:innen direkt aus Ministerbüros. Den Spitzenbeamt:innen fehlt damit oft die langjährige Erfahrung innerhalb der Verwaltung.

Es gibt Jobausschreibungen, Verfahren und Kommissionen, aber es sind oft nur Alibiverfahren. Alle wissen, dass vor allem Willfährigkeit belohnt wird, kritische Stimmen gibt es kaum mehr oder sie gehen in die innere Emigration. Der Verwaltung fehlt die Selbstreflexion, die Qualität rasselt nach unten. Mitunter bewerben sich kaum mehr Personen für Spitzenjobs, weil sie (oft zu Recht) annehmen, dass ohnedies alle parteipolitisch ausgedealt sei. Die Politik wiederum lässt je nach Laune wichtige Funktionen lange unbesetzt, oder besetzt absichtlich mit Personen kurz vor der Pension, um bald wieder neu besetzen zu können, oder taktiert auf sonstige Weise mit sensiblen Positionen. Wer die früheren Sektionschefs der 1980er- und 1990er-Jahre kannte, die Strategien und Visionen für ihre Ministerien für zehn bis zwanzig Jahre im Voraus entwarfen, der sieht den intellektuellen Abstieg, der hier eingetreten ist. Die Masse der Beamt:innen wird nahezu wöchentlich mit Compliance- und Antikorruptionsregelungen geflutet und muss zusehen, wie sich auf politischer und oberster Ebene eine Alles-geht-Mentalität unbehindert breit macht. Die Politik trägt mit ihrem Agieren stark zur Demotivation bei: Minister:innen und ihre Kabinette vermitteln den Eindruck, dass es vor allem um Content für social media geht. Der hohe Zeitaufwand, der von Minister:innen und ihren Mitarbeiter:innen mittlerweile in die tägliche Produktion von Inhalten für social media gesteckt wird, verhindert oft eine seriöse Sacharbeit. Sie schwächt zugleich massiv das Vertrauen der Beamt:innen im Haus, die den Respekt vor der zunehmend showartig agierenden Ressortspitze verlieren.

Zwischenzeitig wird der Niedergang der Verwaltung des Bundes immer deutlicher sichtbar. In fast allen Ministerien finden sich dafür Beispiele: das Corona-Chaos im Gesundheitsministerium, der Spionageskandal, die Pannen vor dem Wiener Terroranschlag und die Defizite im Flüchtlingsmanagament im Innenministerium, die Turbulenzen im Strafrechtswesen im Justizministerium, das Kaufhaus-Österreich-Projekt im Wirtschaftsministerium.

Wie es anders ginge zeigen in den letzten Jahren vor allem Untersuchungskommissionen nach § 8 Bundesministeriengesetz. Sie werden dann eingesetzt, wenn viel schiefgelaufen ist. Dann holt man Personen wie Irmgard Griss, Ingeborg Zerbes und Martin Kreutner. Und siehe da: diese der Republik verpflichteten Expert:innen liefern mit einer Handvoll von Fachkräften binnen Wochen starke Analysen und Vorschläge für Reformmaßnahmen (Hypo-Kommission, Terror-Kommission, Kindeswohlkommission usw). In der regulären Verwaltung wären solche Personen schon lange nicht mehr gefragt: zu eigenständig denkend, zu wenig anpassungsfähig, zu lästig.

Es wird viele Jahre brauchen, um die Qualität der Verwaltung wieder zu heben. Nötig wird eine Bundesregierung sein, die sich einig ist, nur die besten Beamt:innen in Spitzenfunktionen zu bringen. Die Zahl der Mitarbeiter:innen in den Ministerbüro muss beschränkt werden – etwa nach dem Vorbild der EU-Kommission auf sechs Personen. Der Zugang zum öffentlichen Dienst sollte mit einem Prüfungssystem wie in Frankreich oder wie in der EU verbunden sein, damit nicht willkürlich externe Personen in hohe Verwaltungsfunktionen gesetzt werden können. Es müssen Maßnahmen gesetzt werden, um wieder ein Berufsethos des öffentlichen Dienstes zu begründen. Das Antikorruptions-Volksbegehren und die Initiative Bessere Verwaltung haben viele Vorschläge für dringende Reformen der Verwaltung erarbeitet.

https://www.wienerzeitung.at/h/selbstverblodung-des-staates

https://www.wienerzeitung.at/h/die-hohen-kosten-der-banalisierung-des-regierens

www.bessereverwaltung.at

https://www.bmi.gv.at/411/Volksbegehren_der_XX_Gesetzgebungsperiode/Rechtsstaat_und_Antikorruptionsvolksbegehren/start.aspx#pkt_01

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Seien wir achtsam – verteidigen wir den Rechtsstaat. Rede bei der Kundgebung gegen Rechtsextremismus am 23.3.2024 in Wien.

Liebe Freundinnen und Freunde!

Rechtsstaat und Demokratie sind in der Verfassung unseres Landes festgeschrieben. Und dennoch dürfen wir uns nicht in Sicherheit wiegen.

Denn die Zahl der Demokratien nimmt laufend ab. Im Jahr 2004 lebte die Mehrheit der Weltbevölkerung noch in Demokratien; heute lebt die Mehrheit der Weltbevölkerung in autoritären Staaten. Nur mehr 63 Staaten sind Demokratien, dagegen sind 74 Staaten Autokratien. Wir müssen achtsam sein.

Autoritäre Parteien greifen nach der Macht und sie demolieren Demokratie und Rechtsstaat.

Autoritäre Parteien haben dabei 2 Hauptgegner:
Die unabhängige Justiz und unabhängige Medien.

Wer ohne Kontrolle, wer autoritär regieren will, der greift zuallererst die Justiz und Medien an. Wir haben es beobachtet: bei Trump, bei Bolsonoaro in Brasilien, bei Orban, bei Kaczynski in Polen und gerade in diesen Tagen bei Fico in unserem Nachbarland Slowakei, nur 50 km von Wien entfernt.

Wir dürfen nicht naiv sein und wir dürfen uns nichts vormachen: Institutionen können rasch beschädigt und unterworfen werden, auch in Österreich. Es ist schnell gegangen in Ungarn, und auch schnell vor acht Jahren in Polen. Wichtige Institutionen, wie etwa die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, lassen sich auch in Österreich binnen Wochen lahmlegen oder zerschlagen. Es muss uns beunruhigen, wie bereits in den letzten Jahren die Institutionen in Österreich geschwächt wurden. Durch eine sich ausbreitende politische Korruption; dadurch, dass
in bisher einmaliger Weise Ministerien die Herausgabe von Akten an Parlament und Staatsanwaltschaft verweigern. Durch ständiges Sticheln gegen unabhängige Medien und die Justiz.

Vor bald 100 Jahren ist der Faschismus groß geworden und hat viele Millionen Menschenleben gefordert. Die Lehre daraus war die heutige Menschenrechtsordnung. Für die Europäische Menschenrechtskonvention und die anderen großen Menschenrechtssammlungen müssen wir jetzt kämpfen.

In Israel, in Polen, jetzt in der Slowakei sind hunderttausende Menschen gegen die Pläne autoritärer Regierungen auf die Straße gegangen. Fast immer geht es dabei um die Unabhängigkeit der Justiz, der Gerichte.

Lassen wir es in Österreich gar nicht so weit kommen. Nutzen wir unsere Kraft, unsere Freiheit, unsere Solidarität jetzt VOR den Wahlen. Es kommt auf uns überzeugte Demokratinnen und Demokraten an, ob WIR aktiv werden, ob WIR das Wort ergreifen, ob WIR uns auf der Straße zeigen. WIR sind in der Mehrheit, WIR sind entscheidend, nicht die Minderheit, die politischen Extremisten nachläuft.
Diese Herausforderung, für die Demokratie einzutreten, trifft uns alle.

Zeigen wir uns bis zu den Wahlen dieses Jahres auf den Straßen, machen wir das Jahr 2024 zu einem Fest für Demokratie und Rechtsstaat. Danke.

Demokratie verteidigen! Keine Koalition mit dem Rechtsextremismus!

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Massimo Cacciari im Teatro Goldoni: Sul Sogno

Zu den vielen Faktoren, die Italiens Kultur und Gesellschaft bei aller Widersprüchlichkeit so einzigartig, kraftvoll und großartig machen, zählt die starke Beteiligung der Intellektuellen am politischen Diskurs. Immer wieder finden Intellektuelle auch selbst den Weg in die Politik. Massimo Cacciari ist ein Beispiel dafür. Der Philosoph bekleidete zunächst Funktionen an der Universität und gründete mehrere Fachzeitschriften, ehe er für das Bürgermeisteramt in seiner Geburtsstadt Venedig kandidierte. Von 1993 bis 2000 repräsentierte er das weltoffene, kunst- und wissenschaftsaffine Venedig. Anschließend war er für kurze Zeit Abgeordneter zum Europäischen Parlament. 2010 zog sich Cacciari ganz aus der Politik zurück.

Cacciari steht für eine weitere Besonderheit, die Italien auszeichnet – die niederschwellige Vermittlung von Wissenschaft und Kunst an breite Bevölkerungsschichten. Roberto Benigni hat mit seinen Rezitationen aus Dantes Göttlicher Komödie auf öffentlichen Plätzen ein faszinierendes Beispiel dafür gegeben. Massimo Cacciari, der im Juni dieses Jahres seinen 80. Geburtstag feiern wird, hat nun im Teatro Goldoni in Venedig über die Bedeutung von Träumen referiert und dazu Texte aus Stücken von Shakespeare zusammengestellt, die von jungen Schauspielerinnen und Schauspielern rezitiert wurden.

Links:

https://de.wikipedia.org/wiki/Massimo_Cacciari  

https://www.youtube.com/watch?v=zQhNnrOJ0A8

https://www.teatrostabileveneto.it/spettacolo/810_826_sul_sogno__letture_shakespeariane_da_la_tempesta

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Österreich im Wahljahr 2024: Grund zur Sorge, doch Hoffnung besteht. Eine Einschätzung.

Österreich steht am Beginn eines Wahljahres. Vor bald zwei Jahren hat profil-Redakteurin Eva Linsinger einen Befund gestellt, der unverändert gilt: „Österreich hat ein veritables und tief sitzendes Korruptionsproblem. Wesentliche Säulen von Staat und Demokratie zeigen sich gefährlich verrottet. Im Machtrausch verwechseln Politiker ungeniert Staat und Partei, achten keine moralischen Grenzen, werden Spitzenbeamte nach Parteibuch ausgewählt.“ (profil 14/2022). Der Bundespräsident stellte angesichts der zahlreichen Korruptionsfälle ebenfalls 2022 einen Wasserschaden in der Republik fest. Den Installateur hat dennoch bis heute niemand gerufen, von der notwendigen Generalsanierung des Hauses Österreich ist schon gar keine Rede.

Problematisch ist nicht nur die verbreitete Korruption, ebenso verhängnisvoll ist die Ideen- und Visionslosigkeit der Regierung. Österreichs Politik ist, mehr noch als in anderen Ländern, von der ganz kurzfristigen Perspektive der wöchentlichen Umfragen getrieben. Statt eine große gemeinsame Anstrengung des Landes für Reformen einzuleiten, treibt man eine Polarisierung voran, die man selbst beklagt. Das beste Beispiel ist die Klimastrategie, die von der Grünen Umweltministerin den EU-Behörden vorgelegt und von der türkisen Europaministerin ebendort wieder zurückgezogen wurde. Als Ergebnis drohen Österreich Verfahren und Strafzahlungen.

Der Unmut der Bevölkerung ob dieser Politik ist nachvollziehbar und führt, im globalen Trend, zu guten Umfragewerten für rechtspopulistische und destruktive Gruppierungen. Doch sind die Warnungen vor einem demnächst schon autoritär regierten Österreich wirklich berechtigt?

Die vergangenen Jahre haben den Boden für autoritäres Regieren aufbereitet. Mit der Übernahme der Parteiführung durch Sebastian Kurz 2017 hat die Volkspartei ihre Verantwortung als staatstragende Partei abgestreift und sich dem Rechtspopulismus verschrieben. Bedeutende Christdemokraten wie Franz Fischler, Jean Claude Juncker oder Karl Schwarzenberg haben frühzeitig auf die Gefährlichkeit dieses Wegs hingewiesen. Der Kreis um Kurz hat sich in seinen Chats treffend selbst beschrieben. Die Etiketten der Niedertracht, Gier und Hybris, die politische Kommentatoren für die Ära Kurz fanden, sprechen für sich.

Die letzten beiden Regierungen – Türkis/Blau und Türkis/Grün – haben die Institutionen der Republik geschwächt. Dabei sei an die Verweigerung von gesetzlich vorgesehenen Aktenlieferungen (des Finanzministeriums an das Parlament, des Bundeskanzleramts an die Staatsanwaltschaft) erinnert – in der Zweiten Republik beispiellose Vorgänge. Oder an die teilweise jahrelange Nichtbesetzung von Leitungsfunktionen in der Verwaltung durch die Regierung oder an das Amtsverständnis des Nationalratspräsidenten. Das Parlament verfügt im internationalen Vergleich über wenig Ressourcen und wenig Selbstbewusstsein. Mit Wolfgang Sobotka den nach allen Umfragen unbeliebtesten Politiker des Landes an die Spitze der Volksvertretung zu wählen war ein Akt der Selbstbeschädigung des Parlaments. Regierungsmitglieder führten zudem die letzten Jahre laufend verbale Angriffe auf die Justiz und auf parlamentarische Untersuchungsausschüsse.

Diese autoritären Vorzeichen werden begleitet von einer unglücklichen Medienstruktur, in der die Regierung die Medien von Regierungsinseraten abhängig gemacht hat und zugleich die Gremien des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks dominiert. Österreich hat heute wohl so viele gut ausgebildete Journalistinnen und Journalisten wie nie zuvor, ihr Potenzial kann aber in den herrschenden Strukturen nicht wirksam werden. Nähe, Vernetzung und wechselseitige Abhängigkeit von Politik und Medieninhabern verhindern das.

Viel spricht dafür, dass FPÖ und ÖVP nach der anstehenden Nationalratswahl eine gemeinsame Regierung bilden, wenn sie – was nach aktuellen Umfragen offen ist – über eine Mehrheit verfügen. Die FPÖ wird, führt sie eine Regierung an, das tun, was sie seit längerem offen ankündigt – ein illiberales System nach dem Vorbild Ungarns aufbauen, in dem das Recht der Politik folgt.

Aber sind die Voraussetzungen für einen autoritären Umbau im Sinne Orbans oder Kaczynskis in Österreich überhaupt gegeben? Wohl ja. Denn sowohl bei der Unabhängigkeit der Medien als auch Justiz, entscheidend für die Abwehr autoritärer Versuchungen, hat Österreich Defizite. Wie beim Klimawandel gibt es auch in Rechtsstaatfragen Kipppunkte. Bereits geschwächte Strukturen fallen ab einem bestimmten Zeitpunkt in sich zusammen. In der beschriebenen Medienstruktur haben autoritäre Projekte wenig Widerstand von breitenwirksamen Medien zu erwarten. Die Gremien des ORF sind mehrheitlich von der Regierung bestimmt. Ähnliches gilt für den Verfassungsgerichtshof, dessen Entscheidungen in den letzten Jahren ein wichtiges Korrektiv zu offenkundig rechtswidrigen Regierungsprojekten waren. De facto bestimmt die Regierung alle Mitglieder des Gerichtshofs; gehen nur wenige Richter:innen in Pension (weil man sie etwa mit Golden Handshakes oder persönlichen Angriffen dahin drängt) und ernennt neue linientreue („steuerbare“) Wegbegleiter, so fällt das Verfassungsgericht als Korrektiv zu Regierung und Gesetzgeber aus. Inhaltlich verfassungswidrige Gesetze würden von einem regierungstreuen Verfassungsgericht formal gehalten werden, eine FPÖ-geführte Regierung das von ihr bereits ausgegebene Motto „Das Recht muss der Politik folgen“ umsetzen. Ein solches Szenario hat zuletzt Polen erlebt, wo der Kaczynski-Regierung nach längeren Kämpfen der Umbau des Verfassungsgerichts gelungen ist. Der Blick in die Geschichte der Ersten Republik erinnert uns außerdem daran, wie leicht es für das autoritäre christlichsoziale Regime Anfang der 1930er-Jahre war, den Verfassungsgerichtshof auszuschalten. Die Verfassung war damals dieselbe wie heute.

Nicht besser sieht es für die Korruptionsbekämpfung aus. Die Angriffe der ÖVP auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sind ein deutlicher Hinweis darauf, was der Justiz unter Blau-türkis bevorstünde. Die vielen anhängigen Ermittlungsverfahren wegen Wirtschaftskriminalität und Korruption wird eine blau-türkise Regierung binnen Wochen entweder einstellen, oder, wenn sie es geschickter anlegt, durch umfassende Berichtsaufträge zu Tode administrieren. Das österreichische System mit dem Weisungsrecht der Justizminister ermöglicht den vollen Durchgriff der Regierung auf die Strafverfahren. Das Justizministerium hat aber nicht nur das Weisungsrecht in der Hand, es bestimmt auch über die Karrieren der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Ein solches System ist kontraproduktiv, wenn man sich selbstbewusste Staatsanwaltschaften wünscht. Der eine zentrale taktische Fehler von Sebastian Kurz war es, das Innenministerium für bedeutender für seine Politik zu halten als das Justizministerium; er unterschätzte die Wirkungskraft unabhängig arbeitender Ermittlungsbehörden und überließ das Justizministerium den Grünen. Eine rechtspopulistische Regierung wird kein zweites Mal auf den Zugriff auf die Justiz verzichten. Wichtig(st)es Gebot im Wahljahr 2024 wäre es, den allgemeinen politischen Konsens darüber herzustellen, das Justizressort in dieser politisch sensiblen Phase auch künftig einer über den Parteien stehenden anerkannten Persönlichkeit des Rechtslebens anzuvertrauen. Diesen Konsens sollte man am besten schon vor der Wahl anstreben.

Im Ergebnis: die Gefahr einer autoritären Wende in Österreich nach der Wahl 2024 ist real. Es ist wichtig, dafür ein breites Bewusstsein zu erzeugen. Österreich steht ja nicht allein da: die USA haben vor drei Jahren einen Putschversuch erlebt, Polen hat acht autoritäre Jahre hinter sich, Ungarn, Argentinien, Israel sind autoritär regiert, in Italien macht sich Premierministerin Meloni gerade an den Abbau der Demokratie, indem sie einen Gesetzesvorschlag vorlegte, wonach die stimmenstärkste Partei künftig stets eine absolute Mehrheit der Parlamentsmandate erhalten soll – so will Meloni ihrer eigenen Partei dauerhaft die absolute Macht verschaffen. Die Demokratie ist weltweit auf dem Rückzug, jedes Jahr kippen einige Demokratien. Die demokratische Aufbruchsstimmung der 1970er- und 1980er-Jahre war trügerisch. Heute sehen wir: um die Demokratie werden wir dauerhaft kämpfen müssen.

Das Bild, das die österreichische Politik in den letzten Jahren abgegeben hat, hat dazu beigetragen, dass große Teile des Landes in Lethargie und Resignation verfallen sind, dass Beamtenschaft wie Wirtschaft eine Kanzlerschaft Kickls als unausweichlich sehen. Diese Lethargie und Apathie ist gefährlich; denn radikale politische Gruppen erringen selten Mehrheiten, sondern gelangen erst durch die Passivität und Duldung der Mehrheit an die Macht. Warum aber sollen zwei Drittel der Bevölkerung das Experiment des weiteren Drittels mitgehen, dessen schlechter Ausgang vorhersehbar ist?

Machen sich breite Kreise der Bevölkerung die Ausgangssituation bewusst, dann wäre auch der erste Schritt dahin getan, die Lethargie aufzugeben und Allianzen für die Demokratie und den Rechtsstaat zu bilden. Diese Allianzen, die über mehrere Parteien und die Zivilgesellschaft hinweg reichen müssen, werden notwendig sein, um eine autoritär gesinnte Regierung zu verhindern; und, sollte sie doch kommen, um den Rechtsstaat mit allen Mitteln zu verteidigen. Der Machtanspruch der Gegner der Demokratie verlangt, dass sich in diesem Jahr Alle deklarieren und beteiligen. Neutral zu sein, sich nicht einzumischen, ist keine Option, wenn es um die Demokratie geht.

Seit kurzem demonstrieren in Deutschland hunderttausende Menschen gegen das Wiedererstarken der extremen Rechten, nachdem in den letzten Wochen quer durch Europa faschistische Reden und Wortbilder zu hören sind. Dieses starke, sichtbare Bekenntnis zur und Eintreten für die Demokratie greift auf Österreich über. Die Demonstrationen sind ein wichtiges Zeichen an die Politik und ein Zusammenrücken der demokratischen Kräfte, mit dem sich die bisher schweigende Mehrheit durch Solidarität stärkt.

Für die Bildung einer breiten Allianz hilfreich wäre die Rückbesinnung darauf, dass die Grundlagen der großen politischen Lager, Sozialismus einerseits, christlich-soziales Denken andererseits, zu denselben bestimmenden Werten führen: Menschlichkeit und Solidarität. Dies sollte der Gesellschaft als Grundlage für einen breiten gesellschaftlichen Konsens dienen. Die Personen dafür sind vorhanden. Die SPÖ hat, so turbulent die Umstände waren, erstmals seit langem mehrere Kandidaten für die Parteispitze zur Wahl gestellt. Mit Andreas Babler hat sich der Bewerber durchgesetzt, der über viele Jahre bei der schwierigsten denkbaren Ausgangslage – eine kleine Stadt mit überfülltem, schlecht verwaltetem Flüchtlingslager – mit einer Politik erfolgreich war, die auf fremdenfeindliches Sentiment verzichtet und das Miteinander Aller ins Zentrum stellt. Und auch im konservativen Lager gibt es an vielen Stellen und erst recht an der Basis Menschen, die der Idee der staatstragenden, verantwortungsvollen konservativen Partei verbunden sind. Es ist wichtig, dass sich zuletzt auch aus der Volkspartei mit Othmar Karas eine starke Persönlichkeit klar positioniert hat und als Sammelpunkt der Rückbesinnung dienen kann. Erste Landeshauptleute schienen sich zuletzt der Politik der Mitte von Karas anzuschließen. Es gilt, einen Schlussstrich unter die Verwerfungen der Ära Kurz zu ziehen und auch den Mitläufern des Systems Kurz die Hand zu reichen bei ihrer Rückkehr in die politische Mitte.

Es bleibt nicht viel Zeit. Es sollte kein Tag mehr verloren gehen, wo wir nicht über alle Parteien und Gruppierungen hinweg darüber sprechen, wie wir den Rechtsstaat absichern. Worüber wir reden müssen, was wir anstreben sollten: die Gremien des ORF rasch entpolitisieren, die Ernennungsverfahren für die Richterinnen und Richter des Verfassungsgerichtshofs so reformieren, dass die Ernennungserfordernisse erhöht werden und kein beherrschender Einfluss der Regierung mehr besteht, die Medien aus der Abhängigkeit der Regierungsinserate befreien. Auch die Staatsanwaltschaften müssen endlich dem Einfluss der Regierung entzogen und tatsächlich unabhängig gestellt werden. Die WKStA, die oft in politisch heiklen Causen ermittelt, bedarf eines besonderen Schutzes der Unabhängigkeit. Schließlich sollten wir zur Belebung der Demokratie die Möglichkeit von Minderheitsregierungen in die Überlegungen einbeziehen und mehr Menschen den Zugang zum Wahlrecht geben. Durch das restriktive Staatsbürgerschaftsrecht ist in Wien etwa ein Drittel der in der 2-Millionen-Stadt lebenden Personen vom Wahlrecht ausgeschlossen; auch dieser eingeschränkte demokratische Prozess gefährdet den gesellschaftlichen Frieden. Je nach Ergebnis sollte nach der Wahl auch die Möglichkeit einer Konzentrationsregierung zur Vermeidung einer weiteren Polarisierung diskutiert werden.

Österreich hatte nach dem Abgang von Sebastian Kurz mehrere Jahre Zeit, die Institutionen wieder zu stärken. Das wurde nicht genutzt. Jetzt ist die Zeit knapp. Es lohnt sich darum zu kämpfen, Österreich die bittere Erfahrung von rund zehn verlorenen Jahren zu ersparen, wie sie etwa Polen gemacht hat. Dort zeigt sich gerade, wie schnell rechtsstaatliche und demokratische Strukturen zu beschädigen sind und wie mühsam es ist, sie wieder aufzubauen. Darum braucht Österreich 2024 eine breite, geeinte Allianz aller Verteidiger:innen von Demokratie und Rechtsstaat, von Einrichtungen und Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft über alle politischen Anschauungen hinweg. Ein Einverständnis Aller, die fest am Boden der Menschenrechtsordnung und des demokratischen Grundkonsenses 1945 stehen. Das Potenzial von Österreichs Zivilgesellschaft mit der auch wieder intellektuell pulsierenden Hauptstadt Wien ist groß, damit lässt sich viel bewegen.

Österreich steht am Beginn eines Wahljahres. Erlauben wir uns wieder Träume und langfristige Strategien und setzen wir sie gemeinsam um. Österreich kann sehr gute Jahre vor sich haben.

 

Mehr in: „Sozialdemokratie – Letzter Aufruf!“ (bahoe books, 2019), „Mut zum Recht“ (falter-Verlag 2019), „Die Krise der Volkspartei“ (bahoe books, 2023).

 

 

 

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Welche Reformen in der Justiz heute gefragt wären

Von der juristischen Ausbildung über die Organisation des Ministeriums bis zur Berufsausübung und Forschung: Eine Reihe von Veränderungen tut not.

Gastbeitrag für Die Presse – Rechtspanorama vom 15.1.2024 

Oliver Scheiber

Der Jahreswechsel ist eine gute Gelegenheit, aus dem Alltag herauszutreten und Grundsätzliches zu überdenken. Das gilt auch für den Rechtsbereich. Die letzten Jahre waren durch die Diskussion über Korruptionsprozesse und die Stellung der Staatsanwaltschaften bestimmt. Andere Themen kommen zu kurz. Auch wenn das Wahljahr im Allgemeinen kein guter Zeitpunkt für Reformen sein mag – Ideen für künftige Regierungsprogramme kann es nie genug geben, wenn man Stillstand vermeiden will. Im Folgenden ein paar Gedanken, wo künftige Reformen ansetzen könnten.

  1. Das Jusstudium

Die Inhalte des Jusstudiums sind seit Jahrzehnten recht unverändert. Die Gesellschaft und auch der Alltag der Rechtsberufe haben sich aber stark verändert. So kommt heute außergerichtlichen Konfliktlösungen viel mehr Bedeutung zu. Vor Gericht sind die Verfahren in Zivilsachen und Strafsachen nicht so starr wie früher, es gibt eine ganze Palette an Handlungsmöglichkeiten für Gericht und Anwaltschaft. Dadurch sind Kreativität und Kommunikationsfähigkeiten in den Rechtsberufen ungleich wichtiger als früher. Vor den Gerichten nimmt die Beschäftigung mit vulnerablen Personengruppen (Kinder, Pflegebedürftige, psychisch Kranke) viel Raum ein, das Familienrecht ist eines der größten Tätigkeitsfelder der Gerichte und damit auch der Anwaltschaft. All dem trägt die Universitätsausbildung nur unzureichend Rechnung. Der verstärkte Einbau von Grundkenntnissen der Soziologie, der Psychologie und Psychiatrie, der Mediations- und Kommunikationstechniken in die Lehrpläne könnte Studierende besser auf den Berufsalltag vorbereiten; das Familienrecht könnte entsprechend seiner praktischen Bedeutung mehr Beachtung finden. Das immer wichtiger werdende Klima- und Umweltrecht findet bereits vereinzelt seine Verankerung in den Fakultäten. Angesichts des weltweiten Rückzugs der Demokratie wäre zu überlegen, ob nicht am Beginn der rechtswissenschaftlichen Studien die geschichtlichen Entwicklungen vermittelt werden sollten, die der Anlass zur heutigen europäischen Menschenrechtsordnung waren. Die Umbrüche des 20. Jahrhunderts mit Weltkriegen, Faschismus und darauf folgendem Aufbau der modernen Grundrechtsordnung sind offenkundig zu wenig im kollektiven juristischen Bewusstsein verankert.

  1. Das Justizministerium

Die schon angeführten Umwälzungen des Alltags im Rechtsleben finden sich auch in der Organisation des Justizministeriums kaum wieder. Eine Neuordnung des Ministeriums könnte der Entwicklung der Gerichtsbarkeit wichtige Impulse geben. So könnte eine eigene Sektion für Soziologie und Kriminologie die Begleitforschung zur Gerichtsbarkeit koordinieren und zugleich der Legistik des Ministeriums Grundlagen liefern. Für die Justiz relevante gesellschaftliche Entwicklungen könnten ebenso fundiert beobachtet werden wie Entwicklungen in der Rechtsprechung und im Strafvollzug. Die bisher nach Straf- und Zivilrecht getrennten Legislativsektionen könnten zusammengeführt werden, um Gesamtbetrachtungen des Rechtssystems zu fördern; zugleich könnte der europarechtliche Fokus der Legistik gestärkt werden.

  1. Die Gesetzgebung

Die Justizgesetzgebung ist heute ein weites Feld. In erster Linie könnte man Reformen angehen, die seit Jahren überfällig sind. Im Jahr 2008 etwa ist das neue strafrechtliche Vorverfahren in Kraft getreten. Die damit verbundene Reform des Hauptverfahrens wurde nie begonnen. Dabei könnte eine neue Hauptverhandlung wichtige Verbesserungen bringen: durch eine Zweiteilung des Verfahrens in die Schuld- und Straffrage würden – dem Beispiel anderer Staaten folgend – mehr Ressourcen in die Überlegung der Strafe fließen. Damit könnte die Sanktion besser ausgewählt werden, unnötige Haftjahre eingespart und die Rückfallsquote gesenkt werden. Die könnte mit der oben erwähnten stärkeren Vernetzung zur Wissenschaft unterstützt werden.

Ein weiteres Reformprojekt wäre die Umsetzung der Stärkung der Kinderrechte, die in dieser Legislaturperiode von der so genannten Griss-Kommission mit zahlreichen Vorschlägen konkretisiert wurde. Dabei geht es vielfach um die Änderung der Gerichtsverfahren – ganz generell gilt, dass die Qualität der Gerichtsverfahren vor allem über Änderungen der Verfahren erreicht werden kann. International steht die so genannte Verfahrensgerechtigkeit stark im Fokus. Es geht zB darum, mehr an mündlichen Verhandlungen, runden Tischen und Fallkonferenzen vorzusehen, da auf diese Weise eine weitaus bessere Entscheidungsgrundlage für die Gerichte entsteht als etwa durch Schriftsätze und schriftliche Gutachten.

  1. Rechtsprechung

 Jede Berufsgruppe ist gut beraten, ihre Tätigkeit laufend zu hinterfragen. Das gilt auch für die Rechtsprechung. Gerichte und Staatsanwaltschaften sind hier gefordert, nicht nur allein, auch gemeinsam mit den anderen Rechtsberufen, Notariat und Anwaltschaft. Alle Rechtsberufe arbeiten im gesellschaftlichen Auftrag und müssen sich fragen: gehen wir mit ausreichend Empathie mit Mandanten und Verfahrensbeteiligten um? Werden wir unserer Verpflichtung zum Schutz vulnerabler Gruppen (der Kinder im Familienrecht, der psychisch Kranken im Erwachsenenschutzrecht und Strafrecht) ausreichend gerecht? Wären vielleicht gemeinsam regelmäßige Diskussionen zu diesen Fragen auf lokaler Ebene hilfreich? Die Strafjustiz muss sich fragen, ob sie ihre härtesten Mittel entsprechend den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und ultima ration einsetzt und wie sehr sie sich  – etwa im Bereich Schlepperei oder Klimakleber – bewusst oder unbewusst von tagespolitischen Stimmungen treiben lässt. Überfüllte Gefängnisse, in denen moldawische Familienväter sitzen, die sich gegen geringes Entgelt dazu verleiten ließen, Flüchtlinge Richtung Nordwesten zu chauffieren und am Ende als Mitglied einer kriminellen Vereinigung verurteilt werden, sollten Anlass zu einem solchen Hinterfragen sein.

Das sind nur einige der Gedanken, die sich aufdrängen. Natürlich sollte auch die einganhgs erwähnte Frage der Aufsicht über die Staatsanwaltschaften einer Lösung zugeführt werden. Die letzten Jahre weisen eher in die Richtung, dass Österreich nicht reif ist für eine politische Aufsicht über die Staatsanwaltschaften. Zwei Reformmodelle sind daher naheliegend: erstens das System der neuen Europäischen Staatsanwaltschaft. Hier hat man sich dafür entschieden, einen Instanzenzug innerhalb der Staatsanwaltschaft selbst einzurichten. Ist man also mit der Entscheidung einer Staatsanwältin und eines Staatsanwalts nicht einverstanden, so kann man ein großes Gremium innerhalb der Europäischen Staatsanwaltschaft anrufen. Eine Alternative dazu wäre das italienische Modell, in dem Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ähnlich unabhängig sind wie Gerichte. Ein Rechtsschutzdefizit besteht auch hier nicht, da nahezu alle wichtigen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Sicherzustellen wäre nur, dass es im Falle des Untätigbleibens von Staatsanwaltschaften ein Mittel gibt, Ermittlungsverfahren in Gang zu bringen. Dafür gibt es wiederum verschiedene Modelle, auch hier könnte man ein Gericht einschalten, das darüber entscheidet, ob ein Verfahren einzuleiten ist oder nicht.

Oliver Scheiber ist Richter und Lehrbeauftragter (Univ. Wien, FHWKW) sowie Autor von Büchern zu Justiz und zu Politik.

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