Assoziierungsabkommen EU – Türkei

Ein kürzlich abgeschlossenes Gerichtsverfahren illustriert sehr schön, wie Europarecht funktioniert. Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) als österreichisches Höchstgericht legte während eines laufenden Verfahrens eine europarechtliche Frage dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Beantwortung vor. Auf Basis des Urteils des EuGH vom 15.11.2011 im so genannten Vorabentscheidungsverfahren erging bald darauf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (Zahl 2011/22/0313-8).
Die von Medien und österreichischer Politik kommentierte Entscheidung besagt im wesentlichen, dass gegenüber Türkinnen und Türken, die mit
österreichischen StaatsbürgerInnen verheiratet sind, die seit dem
Jahr 1995 (österreichischer EU-Beitritt) vorgenommenen Verschärfungen des österreichischen Fremdenrechts unwirksam sind. Konkret bedeutet das für diese Menschen, dass diverse vor allem seit
der Jahrtausendwende vollzogene Verschärfungen des Fremdenrechts wie etwa die Deutschprüfungspflicht vor
der Einreise, die Abschiebedrohung für den Fall einer nicht bestandenen  Deutschprüfung oder die Vorgabe, dass
man erst ab dem 21. Lebensjahr (früher 18.) einen Antrag auf
Familienzusammenführung stellen kann, nicht gelten. 
Bild: AP – Osman Orsal

Diese Rechtslage ist durch das so genannte  Assoziierungsabkommen (Abkommen zur Gründung einer Assoziation
zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der
Türkei) vorgegeben, das die Europäische Gemeinschaft bereits 1963 mit der Türkei abgeschlossen hat. Die Regelungen wurden von Österreich mit dem EU-Beitritt 1995 übernommen, auch wenn die österreichische Behördenpraxis in der Folge vielfach die im Abkommen vorgesehene Privilegierung türkischer Staatsangehöriger gegenüber anderen Nicht-UnionsbürgerInnen ignorierte. 
Durch die jüngsten Urteile könnte das Assoziierungsabkommen endlich stärker ins Bewusstsein von Bevölkerung und Behörden treten. Das Abkommen ist Ausdruck eines seit bereits fünf Jahrzehnten bestehenden rechtlichen und politischen Naheverhältnisses der EU zur Türkei – völlig unangebracht ist daher einsetzendes Jammern über das Urteil und seine angeblich negativen integrationspolitischen Folgen. Das Urteil sollte vielmehr Anlass sein, auf Schikanen im Fremdenrecht zu verzichten und für Integrationsmaßnahmen wie Deutschkurse positive Anreize zu setzen. Rufe nach einer Kündigung des Assoziierungsabkommens sind genau so zu werten wie jüngste Forderungen nach der Wiedereinführung von Grenzkontrollen in der EU: als nationalistisch-populistisch motivierte, rückwärts gewandten Äußerungen eines Politikverständnisses, das letztlich auf ein Ende der europäischen Friedensordnung hinausläuft.

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