Korruption und Sühne – Text für DIE ZEIT Nr 48/2012

 
Vor dem Prozess gegen Ex-Minister Ernst Strasser
zeigt die Justiz frischen Elan bei Delikten im Umfeld der Politik. Der
Richter Oliver Scheiber verlangt allerdings viel mehr Transparenz bei
den Ermittlungen.
Einer der ehemals mächtigsten Minister der Regierung von Wolfgang
Schüssel steht ab nächster Woche in Wien vor Gericht. Dem
ehemaligen Innenminister und späteren Europaabgeordneten Ernst
Strasser wird Bestechlichkeit vorgeworfen, nachdem er im März des
vergangenen Jahres zwei britischen Undercoverreportern in die Falle gegangen war: Laut Anklage soll er vor einer versteckten Kamera seine
Bereitschaft erklärt haben, gegen Honorar im Sinne mysteriöser
Auftraggeber Gesetze zu beeinflussen. Der Prozess ist der vorläufige
Höhepunkt im Kampf der Justiz gegen Korruption, der anscheinend
Fahrt gewonnen hat. Demnächst schon wird sich auch der politiknahe
Lobbyist Alfons Mensdorff-Pouilly im Zusammenhang mit Tätigkeiten im
globalen Waffengeschäft vor Gericht verantworten müssen.

Zwei Monate nach den noch nicht rechtskräftigen Urteilen gegen den
ehemaligen Kärntner ÖVP-Obmann Josef Martinz und den Steuerberater
Dietrich Birnbacher, denen ein Millionenhonorar für ein fragwürdiges
Gutachten zum Verhängnis wurde, glauben nun einige Medien, bei der
Verfolgung von Delikten, in die Politiker verwickelt sind, sei eine
Trendwende eingetreten. Selbst wenn der Leiter der
Korruptionsstaatsanwaltschaft Walter Geyer angesichts der Fülle an
Fällen einschränkt, dass »auch das, was wir jetzt sehen, nur die Spitze
des Eisbergs« sei.

Innerhalb der Justiz empfindet man indes das Birnbacher-Verfahren
überwiegend als Durchbruch. Es zeigt, wie wichtig es ist, Fälle von
Wirtschaftskriminalität und politischer Korruption vor Gericht zu
bringen, sobald die Verdachtslage dicht ist. Wichtig deshalb, weil sich
das von der Staatsanwaltschaft geführte Ermittlungsverfahren ganz
entscheidend von der Verhandlungssituation vor Gericht unterscheidet.
Kurz gesagt: Das Ermittlungsverfahren ist geheim, das Hauptverfahren
öffentlich.
Strafrechtliche Ermittlungen werden zunächst von Polizei und
Staatsanwaltschaft geführt. Diese Verfahren sind nicht öffentlich, die
Entscheidungen der Staatsanwaltschaft bleiben in der Regel im Dunkel des
Aktenlagers. Sobald die Staatsanwaltschaft eine Anklage erhebt, wird
gleichsam das Licht aufgedreht. Bei der öffentlichen Hauptverhandlung
vor Gericht können sich Medienvertreter und interessierte Bürger ein
eigenes Bild über die Gewichtigkeit der Beweise machen. Dies ist
zunächst einmal für viele Angeklagte unangenehm. Wer sich bei der
Vernehmung im Zimmer des Wirtschaftspolizisten oder Staatsanwalts an der
Seite seines Starverteidigers noch beruhigt zurücklehnt, die Aussage
verweigert oder skurrile Ausflüchte zum Besten gibt, der verspürt im
Gerichtssaal ganz anderen Druck. Wenn eine mögliche Haftstrafe näher
rückt, veranlasst es den einen oder anderen auszupacken.
Die Gerichte wiederum erklären ihre Entscheidungen öffentlich – im
Birnbacher-Verfahren erläuterte der Richter eineinhalb Stunden lang sein
Urteil im Verhandlungssaal. Öffentlichkeit und Transparenz des
Verfahrens stellen hohe Anforderungen an den verhandlungsleitenden
Richter. Der Druck wirkt qualitätssichernd. Gleichzeitig schafft die
öffentliche Verhandlung Vertrauen.
Die Richterschaft hat gegenüber ihren Kollegen bei den
Staatsanwaltschaften freilich einen Vorteil, wenn es darum geht, in
heiklen Fällen rasch und ohne falsche Rücksichtnahme zu agieren. Richter
agieren tatsächlich unabhängig. Sie müssen ihre Vorgangsweise mit
niemandem abstimmen, niemanden vorab informieren und sich auch im
Nachhinein nicht rechtfertigen. Sie verhandeln die Sache öffentlich und
begründen ihre Urteile zuerst mündlich, dann schriftlich. Wenn die
Verfahrensparteien gegen das Urteil berufen, beurteilt das Höchstgericht
den Fall endgültig.
Anders bei den Staatsanwaltschaften: Staatsanwälte sind in Österreich
weisungsgebunden. Für sogenannte »clamorose Causen«, also Fälle von
besonderem öffentlichem Interesse, gilt Berichtspflicht. Ein kafkaeskes
Regelwerk aus Gesetzen, Verordnungen und internen Erlässen schreibt vor,
wann und wie Staatsanwälte in heiklen Strafsachen ihre Vorgesetzten in
der Justiz über ihre geplante Vorgehensweise zu informieren haben.
Jeder Ermittlungsschritt wird von Gruppenleitern, Leitern der
Staatsanwaltschaften, Oberstaatsanwaltschaft und Justizministerium
begutachtet und gegengezeichnet. In größeren Verfahren wandert auf diese
Weise ein Akt mehrmals vom bearbeitenden Staatsanwalt ins
Justizministerium und zurück, und jedes Mal durchläuft er dabei gut
sieben Stationen. Das verursacht bei bestem Bemühen aller Beteiligten
erhebliche Zeitverzögerungen. Vor allem aber übt dieses institutionelle
Misstrauen eine lähmende Wirkung aus. Am Ende der Weisungskette steht
das Justizministerium, das auch für Personalentscheidungen zuständig
ist, also über die Karrieren der Staatsanwälte entscheidet. Dieser
Umstand wird kaum einen Staatsanwalt bei einem politisch heiklen
Verfahren beflügeln.
Angesichts dieser Rahmenbedingungen verwundert es wenig, wenn die
Gerichte im Vergleich zur Staatsanwaltschaft entschlossener auftreten.
Der Gesetzgeber ist schlecht beraten, wenn er von Richtern und
Staatsanwälten erwartet, heldenhaft aufzutreten. Er muss ihnen vielmehr
Strukturen bieten, die unabhängiges Handeln erleichtern. Bei den
Richtern ist das weitgehend gelungen: Sie sind bei der Führung
politischer Verfahren nicht durch Ängste um die eigene Karriere und das
künftige Arbeitsklima behindert. Sie können im Großen und Ganzen frei
und ohne Rücksichtnahmen nach ihrer rechtlichen Überzeugung und ihrem
Gewissen handeln.
Es ist kein Zufall, dass es das Birnbacher-Verfahren erst im dritten
Anlauf zur Anklageerhebung schaffte, nämlich in dem Moment, in dem die
2009 neu geschaffene Korruptionsstaatsanwaltschaft den Fall an sich zog.
Dieser neuen Spezialbehörde hat der Gesetzgeber in mehrfacher Hinsicht
besseres Werkzeug zur Hand gegeben. Zunächst ist diese Sondereinheit
bundesweit tätig und zentralisiert, sie handelt also losgelöst von der
Verflechtung in lokale Netzwerke. Zudem arbeiten bei ihr Spezialisten
für Bilanzierung, Finanzmarkt und Buchhaltung Tür an Tür mit
Staatsanwälten. Vor allem aber, und das scheint ganz entscheidend, sind
die Berichtspflichten für die neue Staatsanwaltschaft gelockert. Sie

kann selbst gegen Politiker Ermittlungen aufnehmen, ohne darüber nach
oben zu berichten. Die Berichtspflicht setzt erst ein, wenn das
Verfahren eingestellt oder Anklage erhoben werden soll. Für den guten
Start der neuen Spezialstaatsanwaltschaft war zudem die Person des
ersten Leiters mitentscheidend. Walter Geyer nahm in der Kombination von
Kompetenz und Courage seit Langem eine herausragende Stellung innerhalb
der öffentlichen Anklage in Österreich ein.

Einige weitere Gesetzesnovellen der letzten Jahre erleichtern
zusätzlich die Korruptionsbekämpfung: Der Gesetzgeber hat die
Korruptionsgesetze 2008 verschärft, sie allerdings 2009 wieder
aufgeweicht und erst vor einigen Monaten durch die Wiedereinführung des
wichtigen Anfütterungsverbots neuerlich angezogen. Die Einführung einer
großen Kronzeugenregelung Anfang 2011 wirkte sofort positiv:
Ex-Telekom-Austria-Vizefinanzvorstand Gernot Schieszler brachte als
erster Kronzeuge das Telekom-Strafverfahren ins Rollen.
Die Korruptionswelle, die Österreich überflutet hat, verlangt eine
schonungslose politische sowie strafrechtliche Aufarbeitung. Für die
Schlagkraft der Strafjustiz wird die Nachbesetzung in der Wirtschafts-
und Korruptionsstaatsanwaltschaft ganz entscheidend sein – ihr Leiter
Walter Geyer wechselt dieser Tage in den Ruhestand. Die noch immer junge
Behörde benötigt an der Spitze wiederum eine Persönlichkeit von seinem
Format.
Darüber hinaus wäre es unterstützend, wenn der Gesetzgeber den
Staatsanwaltschaften mehr Transparenz gestattete. Was spricht dagegen,
die Begründungen von Verfahrenseinstellungen (zumindest in Fällen von
öffentlichem Interesse) verpflichtend im Internet bekannt zu machen?
Wenn staatliche Entscheidungsträger ihr Handeln erläutern müssen, ist
das seit je ein taugliches Rezept zur Erhöhung der Qualität. Das
Interesse der Bevölkerung an einer funktionierenden öffentlichen Anklage
steht hier über den Datenschutzinteressen der an den Verfahren
beteiligten Personen.
Eine ernste Überlegung wäre das italienische Beispiel wert. Im
Nachbarland genießen die Staatsanwälte dieselbe Unabhängigkeit wie die
Richter – mit durchaus gutem Erfolg. Will man sich nicht so weit
hinauswagen, so müsste in jedem Fall das herrschende Berichtswesen
radikal gestutzt werden.
Nach der Einführung der Kronzeugenregelung wäre eine Schutznorm für
die sogenannten Whistleblower der logische nächste Schritt. Erfolgreiche
Korruptionsbekämpfung kann auf Insider, die im Schutz der Anonymität
ihr Wissen über sinistre Vorgänge an Behörden herantragen, schwer
verzichten. Spannende Vorbilder für solche Regelungen finden sich im
Ausland, vor allem in den USA und in Großbritannien, aber ebenso auf
Länderebene in Deutschland.
Schließlich lässt sich auch justizintern einiges verbessern. Das
EU-Recht sieht gemischte Ermittlungsteams von Staatsanwälten mehrerer
Mitgliedsländer vor. Eurojust, eine EU-Einrichtung, dient als
hochrangige Service- und Koordinierungsstelle europaweiter
Strafverfolgung. Die Nutzung dieser Einrichtungen muss in den einzelnen
Staatsanwaltschaften zum selbstverständlichen Instrumentarium der
Strafverfolgung werden, gerade dort, wo sich, wie in vielen der
aktuellen Fälle, die verräterische Spur des Geldes über alle
Landesgrenzen hinweg zieht.
Wenn man davon ausgeht, dass bei der Verfolgung von Bestechungsfällen
und Wirtschaftsdelikten, in die Politiker involviert sind, im
Justizsystem ein frischer Wind weht, so muss nun der noch junge Elan
durch eine ganze Palette begleitender Maßnahmen abgesichert werden.
Entschlossene Korruptionsbekämpfung ist nicht nur ein Indikator für die
Reife einer Gesellschaft, sie ist auch prägend für das Vertrauen der
Bevölkerung in Rechtsstaat und Justiz.
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