Land der Geber, Land der Nehmer

Text für die Tageszeitung DIE PRESSE (Printausgabe vom 2.3.2013)


Von politischer Korruption ist neuerdings
hierzulande viel die Rede. Und was ist mit Ärzten, die von
Pharmakonzernen „angefüttert“ werden? Wo bleibt eine effiziente
Börsenkontrolle? Korruptionsbekämpfung in Österreich: eine
Zwischenbilanz.




Korruption ist in aller
Munde. Nicht wenige österreichische Medien haben das Jahr 2012 in ihren
Rückschauen als „Jahr der Korruption“ bezeichnet. Tatsächlich startete
2012 nach jahrelangem Stillstand ein Reigen von Strafprozessen wegen
politischer Korruption und Wirtschaftskorruption: Die Staatsanwälte
erhoben Anklagen gegen den früheren Innenminister Ernst Strasser, gegen
den stellvertretenden Kärntner Landeshauptmann Josef Martinz und gegen
den politiknahen Lobbyisten Alfons Mensdorff-Pouilly. Gegen weitere
prominente Verdächtige wird ermittelt. Die Fälle dokumentieren das
Absinken Österreichs ins europäische Mittelfeld, was die Verbreitung von
Korruption betrifft. So ist nach Expertenmeinung Korruption in
Deutschland und der Schweiz weniger ausgeprägt. Doch wo steht Österreich
bei Korruption und Korruptionsbekämpfung aktuell?



Rechtspolitisch interessieren bei einer solchen Bilanz drei
Themenbereiche: die Rahmenbedingungen für Korruption in Politik und
Verwaltung, die strafrechtlichen Bestimmungen und die Schlagfähigkeit
des Justizsystems bei der Verfolgung von Korruption.

Erstens: Amtsgeheimnis versus Transparenz. Während
in skandinavischen Staaten die gesamte staatliche Verwaltung weitgehend
einem Transparenzgebot unterliegt, dominiert in Österreich das
Amtsgeheimnis das staatliche Handeln. In Schweden etwa können
Bürgerinnen und Bürger den Großteil der Akten der Verwaltung einsehen.
Stechen einem beim Spazierengehen ungewöhnlich hohe Dachausbauten ins
Auge, so kann man in die Bauakten Einsicht nehmen und die Namen der
beteiligten Architekten und Beamten erheben. Wird eine neue
Schottergrube bewilligt, so kann man die näheren Umstände und Auflagen
den Behördenakten entnehmen.
In Österreich ist es mitunter
schwierig, Einsicht selbst in jene Akten zu erhalten, die einen direkt
betreffen. Akteneinsichtsbegehren sieht die Beamtenschaft überwiegend
als Störung, das Auskunftspflichtgesetz konnte daran wenig ändern.
Akten, in denen man selbst nicht Partei war, kann man gar nicht
einsehen. Behördenhandeln wird so für Medien und Bürgerinnen und Bürger
schwer kontrollierbar.
Bei den klassischen Bestechungsdelikten
gibt es grundsätzlich zwei Gewinner, den Beamten und den Bestecher, die
in einer von der Amtsverschwiegenheit geprägten Verwaltung wenig zu
befürchten haben. Die Umstellung der staatlichen Verwaltung auf ein
Transparenzsystem wäre die entscheidende präventive Maßnahme gegen
Korruption im öffentlichen Sektor – zivilgesellschaftliche Initiativen
wie jene von Josef Barth und Hubert Sickinger (www.
transparenzgesetz.at) treffen daher den Punkt. Die Causae Buwog,
Skylink, Birnbacher und Eurofighter hätten in einem transparenten System
so nicht passieren können. So manche befremdlich begründete Einstellung
eines Strafverfahrens wäre wohl nicht erfolgt, müssten
Staatsanwaltschaften ihre Einstellungsentscheidungen im Internet
veröffentlichen.

Zweitens: Strafbestimmungen gegen Korruption.
Klassische
Bestechungshandlungen wie die positive Erledigung eines Ansuchens um
eine gewerberechtliche Bewilligung gegen ein Geldkuvert stehen seit je
unter Strafe. Andere klassische Korruptionshandlungen, vor allem das
sogenannte Anfüttern, waren in Österreich lange straffrei. Beim
Anfüttern versucht der Bestecher, durch regelmäßige Geschenke einegute
Stimmung bei Behörden und Politik zu schaffen, um dann im Fall der Fälle
mit Wohlwollen rechnen zu können. Man denke an Bauunternehmen, die
Politikern Urlaubsreisen oder Festspielbesuche finanzieren, an
Architekten, die Baureferenten zum Essen einladen et cetera.
Es
bedurfte jahrelanger Kritik internationaler Gremien, bis Österreich 2008
unter der damaligen Justizministerin Maria Berger sein
Korruptionsstrafrecht massiv verschärfte und erstmals das Anfüttern
unter Strafe stellte. Bergers Nachfolgerin, Bandion-Ortner, schlug dem
Parlament bereits im Folgejahr eine Neuregelung vor, die inhaltlich eine
Verwässerung des Korruptionsstrafrechts bedeutete – ein verheerendes
Signal. Die Lockerung gab dem Druck aus Kultur und Sport nach. Die
Argumentation, strenge Korruptionsbestimmungen wären der Tod des
Sponsoring, ist freilich falsch. Sponsoring hat per se mit Korruption
nichts zu tun. Auch ist es keinem Unternehmen versagt, verdiente
Mitarbeiter oder gute Kunden zu Festspielen und in Stadien einzuladen.
Was nicht angeht, ist, dass der Telekommunikationskonzern den
Telekomregulator einlädt oder der Baumeister den Leiter der
Bauabteilung. Die Wirtschaft kennt diese Regeln aus dem Ausland – von
ihr kam weit weniger Widerstand gegen strenge Korruptionsgesetze als aus
Sport und Kultur.
Mit 1. Jänner 2013 ist nun die dritte Änderung
des Korruptionsstrafrechts binnen weniger Jahre in Kraft getreten. Im
Wesentlichen wurde die Lockerung zurückgenommen, das Anfüttern ist nun
wieder strafbar. Und doch hat der Gesetzgeber neue Lücken aufgetan: So
sind nun Geschenke für pflichtgemäße Amtsgeschäfte erlaubt, wenn sie
gemeinnützigen Zwecken gewidmet sind. Das ermöglicht, wie der frühere
Leiter der Korruptionsstaatsanwaltschaft, Walter Geyer, kritisiert,
Deals wie diesen: „Betriebsanlagengenehmigung gegen ein neues
Feuerwehrauto für den Feuerwehrverein.“ Das neue Gesetz ist also in
Summe ein Schritt nach vorne, zu einem Korruptionsstrafrecht ohne
Schlupflöcher vermag sich der Gesetzgeber freilich noch nicht
durchzuringen.

Drittens: Korruptionsverfolgung.Bis zur
Mitte der 2000er-Jahre erfolgten in Österreich kaum strafrechtliche
Verurteilungen wegen Korruption. Wenn, dann traf es kleine Beamte, die
für mehr oder weniger lässliche Sünden oft harte Strafen erhielten. Bei
bedeutenden Verdachtsfällen tat sich freilich wenig – was die Kritik
internationaler Gremien wie OECD und Europarat provozierte. Es zeigte
sich, dass die lokalen Staatsanwaltschaften nicht willens oder in der
Lage waren, Korruption ernsthaft zu verfolgen. Die Wende brachte die –
ebenfallsvon Ministerin Berger erdachte – zentrale österreichische
Korruptionsstaatsanwaltschaft. Sienahm 2009 ihre Arbeit auf und wurde
mittlerweile in „ZentraleStaatsanwaltschaft zur Verfolgung von
Wirtschaftsstrafsachen und Korruption“ (WKStA) umbenannt. Die neue
Spezialbehörde ist bundesweit tätig und entgeht somit der Verflechtung
in lokale Netzwerke. Spezialisten für Bilanzierung, Finanzmarkt und
Buchhaltung arbeiten im Team mit den Staatsanwälten.
Dazu kommt
eine wesentliche Einschränkung des Weisungsrechts. Während alle anderen
Staatsanwaltschaften in den sogenannten clamorosen Fällen (für die
Öffentlichkeit interessante Fälle, etwa Verfahren gegen Politiker) jeden
Ermittlungsschritt über diverse Stationen ins Justizministerium
berichten müssen, sind diese Berichtspflichten für die neue
Spezialstaatsanwaltschaft gelockert: Sie kann selbst gegen Politiker
Ermittlungen aufnehmen, ohne darüber nach oben zu berichten. Die
Berichtspflicht setzt erst ein, wenn das Verfahren eingestellt oder
Anklage erhoben werden soll. Dies bedeutet ein wesentlich höheres Maß an
Unabhängigkeit, als es alle anderen Staatsanwaltschaften in Österreich
genießen, und gibt der neuen Behörde mehr Freiheit und
Selbstbewusstsein. So brachte die neue Staatsanwaltschaft im Fall
Birnbacher/Martinz die Anklage ein, während die lokale
Staatsanwaltschaft das Verfahren in früheren Jahren bereits zweimal
eingestellt hatte.
Die Aufbauarbeit durch den ersten Leiter der
Korruptionsstaatsanwaltschaft, Walter Geyer, der vor Kurzem in den
Ruhestand wechselte, war stilprägend und hat neue Maßstäbe für die
öffentliche Anklage in Österreich gesetzt: Glastüren in den Büros, die
transparentes Handeln der Justiz symbolisieren; Videoaufzeichnung aller
Einvernahmen, was die Beschuldigtenrechte absichert und Unkorrektheiten
bei Einvernahmen weitgehend ausschließt. Die WKStA hat mittlerweile in
mehreren prominenten Verfahren Anklage erhoben – der öffentliche Respekt
dafür stärkt das Selbstbewusstsein der gesamten öffentlichen Anklage in
Österreich.
Neben Personalaufstockungen war für die
Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaften auch die Anfang 2011 in Kraft
getretene große Kronzeugenregelung ein wichtiger Schritt:
Ex-Telekom-Austria-Vizefinanzvorstand Gernot Schieszler brachte als
erster Kronzeuge das Telekom-Strafverfahren ins Rollen.
Ein zur
Korruptionsverfolgung ganzwichtiges Element fehlt freilich noch:
Aufdeckungsarbeit wird vielfach erst durch sogenannte
Whistleblower-Regelungen möglich. Informanten müssen die Möglichkeit
haben, anonym mit Behörden zu kommunizieren und Wissen weiterzugeben.
Große Konzerne setzen vielfach auf internetbasierte
Whistleblower-Systeme, um firmeninterne Unregelmäßigkeiten aufzudecken.
So wie die USA will künftig auch die EU Geldprämien für Informationen zu
Wirtschaftsdelikten anbieten. In Österreich soll 2013 der Pilotversuch
einer Whistleblower-Regelung bei der WKStA starten.
Von großer
praktischer Bedeutung wäre auch die Untersuchung und Beschlagnahme
bedenklichen Vermögens. Die Abschöpfung des Vermögens schwächt
kriminelle Vereinigungen und Systeme nachhaltig. Die gesetzlichen
Bestimmungen dazu sind in Österreich noch nicht mit Leben erfüllt. In
Italien etwa werden laufend Millionen-Euro-Beträge von den
Staatsanwaltschaften sichergestellt, wenn ihre legale Herkunft nicht
belegt ist. In Slowenien sind führende Politiker zuletzt darüber
gestolpert, dass sie die Herkunft ihrer Luxuswohnungen und -fahrzeuge
nicht erklären konnten.

Wo steht Österreich also bei
der Korruptionsbekämpfung? Frühere Jahre, die verschlafen wurden, lassen
sich nicht aufholen. Viele Delikte sind verjährt, so mancher Verdacht
ist großzügig mit einer Verfahrenseinstellung bedacht worden. Im Moment
ist das Glas wohl zur Hälfte gefüllt, sodass sich – zumindest was die
Korruptionsbekämpfung in Österreich betrifft – sowohl Optimisten als
auch Pessimisten in ihrer Haltung bestätigt fühlen können. Der gute
Start der WKStA lässt für die Zukunft hoffen. Den nächsten wesentlichen
Fortschritt könnte die Einführung eines an erfolgreichen ausländischen
Beispielen ausgerichteten Whistleblower-Systems bringen. Mittelfristig
sollte ein Transparenzgesetz das generelle Amtsgeheimnis abschaffen, die
Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaften gegenüber dem
Justizministerium sollte aufgegeben werden.
Neben den jüngsten
Ermittlungserfolgen und Anklagen gibt es freilich weiterhinblinde
Flecken: So liegt in Österreich die gesamte Bilanz- und Börsenkontrolle
im Argen. Gesetzesverstöße bleiben ohne ernsthafte Sanktion und
ermöglichen die Anlegertäuschung. Die vor wenigen Wochen beschlossene
neue sogenannte Bilanzpolizei wird daran wenig ändern: Entdeckte
Verstöße gegen Rechnungslegungsvorschriften werden nicht zwingend
veröffentlicht. Gerade das wäre aber der Sinn der Ermittlungen: Der
Schutzzweck des Gesetzes wird durch die bloße
Veröffentlichungsmöglichkeit völlig unterlaufen. In Deutschland etwa
werden alle Verstöße veröffentlicht; Transparenz ist eben auch hier ein
Schlüsselelement.
Ein anderer Bereich, in dem die Korruption
unbehelligt blüht, ist der Sektor Medizin/Pharmazie. Die Ärzteschaft
lebt hierzulande geradezu in einer Bedienungsanleitung für Korruption.
Ein staatlich sanktioniertes Korruptionsszenario ist zum einen in der
durch die Krankenzusatzversicherungen mitverursachten Zweiklassenmedizin
mit intransparenten Operationswartelisten und übermäßigen
Nebentätigkeiten der Primarärzte in Privatspitälern zu sehen. An
öffentlichen Spitälern angestellte Ärzte sind nichtselten an
Privatkliniken beteiligt, die Nutzung öffentlicher Gesundheitsdienste
für Privatpatienten ist die Folge.
Das andere milliardenschwere
Problemfeld liegt in der Finanzierung von Medizinzeitschriften,
medizinischenKongressen, ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen und
sogenannten Qualitätszirkeln durch Pharmaunternehmen. Derlei
Veranstaltungen finden bevorzugt an attraktiven Reisezielen statt.
Reise- und Aufenthaltskosten zahlen jene Pharmaproduzenten, die ihre
Produkte an die versammelte Ärzteschaft verkaufen wollen – Anfütterung
im klassischen Sinn, noch dazu durch gesetzliche Ausnahmeregelungen im
Medizinrecht zulässig. So überträgt das Ärztegesetz der Ärztekammer die
Organisation von Fortbildungsveranstaltungen; § 3 der Verordnung der
Ärztekammer über ärztliche Fortbildung aus dem Jahr 2010 ermöglicht
Kooperationen von ärztlichen Fortbildungsanbietern mit an der
Fortbildung interessierten Organisationen, Einrichtungen und Dritten
(Sponsoren), welche einen Beitrag zur Entwicklung der
medizinisch-wissenschaftlichen Fortbildung leisten. Im Kommentar zur
Verordnung heißt es, der Sponsor, also in der Regel die Pharmafirma,
könne das Fortbildungsthema bestimmen.
Gleichzeitig verlangt die
Verordnung jedoch, Inhalte ärztlicher Fortbildung unabhängig von
wirtschaftlichen Interessen Dritter zu halten und die Zusammenarbeit
zwischen Sponsor und ärztlichem Fortbildungsanbieter so zu
gestalten,dass das Patientenwohl und die Wahrung der ärztlichen
Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit nicht gefährdet oder
beeinflusst werden – die Quadratur des Kreises. Anschaulich wird die
Problematik durch die Zahl der Pharmavertreter: 4000 Pharmareferenten
sorgen sich um 8000 niedergelassene österreichische Ärzte. In der
Schweiz und in Deutschland wird dieses enorme Korruptionsfeld – der
Schaden durch Korruption im Gesundheitswesen wird in Deutschland mit
jährlich 18 Milliarden Euro (zehn Prozent aller Gesundheitsausgaben)
geschätzt – immerhin bereits diskutiert. In Österreichwird das Thema
bisher totgeschwiegen. Transparency International spricht von einer
„Kuvert- und Zweiklassenmedizin“ in Österreich.
Der Kampf gegen
die Korruption ist also angelaufen – er wird Justiz und Gesellschaft
noch länger beschäftigen. Und er benötigt Unterstützung in vielen
Bereichen: Die Aufklärung über korrupte Systeme und über Möglichkeiten
zur Gegenwehr für den Einzelnen muss etwa in Schulen und anderen
Bildungseinrichtungen ansetzen, um ein neues gesellschaftliches
Bewusstsein zu schaffen. Das Rad muss dazu nicht neu erfunden werden –
zu allen Fragen finden sich Best-Practice-Modelle im Ausland. Was es
braucht, sind politischer Wille und zivilgesellschaftliche Anstrengung.

Eine Langfassung dieses Beitrags erscheint in der Zeitschrift „PolitiX“
(politikwissenschaft.univie.ac.at/institut/
institutszeitschrift-politix/aktuelles-heft/).
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 02.03.2013)

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