Verhetzung und Landfriedensbruch: Reformvorschläge

1) Verhetzung (§ 283 StGB)

Der
Tatbestand der Verhetzung findet sich seit Inkrafttreten des aktuellen
Strafgesetzbuches 1975 im Gesetz. Er stellt die Hetze gegen bestimmte
Bevölkerungsgruppen und den Aufruf zur Gewalt gegen diese Gruppen unter Strafe.
Nach heutigem Verständnis handelt es sich beim Verhetzungstatbestand um ein
Element des Antidiskriminierungsrechts. So sieht das österreichische Recht vor,
dass Job- und Wohnungsinserate neutral formuliert sein müssen und keine
diskriminierenden Kriterien enthalten dürfen. Die gesamte staatliche Verwaltung
ist zur Gleichbehandlung der Bürger ohne Unterschied nach Herkunft, Hautfarbe,
Sprache oder Weltanschauung verpflichtet. Abgerundet werden diese
Antidiskrimierungsbestimmungen durch den strafrechtlichen Tatbestand der
Verhetzung, der aktuell Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren vorsieht.

Der
Tatbestand der Verhetzung steht seit längerer Zeit in der Kritik.
Internationale Evaluierungen wiesen immer wieder auf die im Ländervergleich
geringe Zahl der Verurteilungen hin (aktuelles Datenmaterial laut parlamentarischer Anfragebeantwortung 2014 hier). 
Zuletzt wurde eine Verschärfung des
Straftatbestands zur Bekämpfung radikaler islamistischer Gruppen gefordert.
Noch länger steht die aktuelle Gesetzesbestimmung in der Kritik der
mangelhaften Wirksamkeit gegen rechtsextreme Hetzparolen und gegen rassistische Aktivitäten.

Eine
Reform des Verhetzungsparagrafen erscheint geboten. Die aktuelle Bestimmung
weist mehrere Schwachstellen auf und erfüllt ihren Zweck der Abwehr
gesellschaftlicher Aufwiegelung nur unzureichend. 

Der
aktuelle Text des § 283 StGB lautet:

„§
283 StGB Verhetzung

(1)
Wer öffentlich auf eine Weise, die geeignet ist, die öffentliche Ordnung zu
gefährden, oder wer für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbar zu Gewalt gegen
eine Kirche oder Religionsgesellschaft oder eine andere nach den Kriterien der
Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion oder Weltanschauung, der
Staatsangehörigkeit, der Abstammung oder nationalen oder ethnischen Herkunft,
des Geschlechts, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung
definierte Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe
ausdrücklich wegen dessen Zugehörigkeit zu dieser Gruppe auffordert oder
aufreizt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.

(2)
Ebenso ist zu bestrafen, wer für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbar gegen
eine in Abs. 1 bezeichnete Gruppe hetzt oder sie in einer die Menschenwürde verletzenden
Weise beschimpft und dadurch verächtlich zu machen sucht.“

Zunächst
sollten die geschützten Personengruppen erweitert werden. Den bereits jetzt
geschützten Gruppen sollten alle sonstigen Minderheiten gleichgestellt werden.
Zu prüfen wäre, ob der Terminus der „Rasse“ noch zeitgemäß ist. Da
Religionen und Weltanschauungen im Schutzbereich des Tatbestands liegen erübrigt es sich, K
irchen oder und Religionsgemeinschaften zusätzlich anzuführen. 

Zentraler
Schwachpunkt des Absatz 1 ist jedoch die Passage „öffentlich auf eine Weise,
die geeignet ist, die öffentliche Ordnung zu gefährden, oder wer für eine
breite Öffentlichkeit wahrnehmbar…“. Der Aufruf zur Gewalt gegen andere
Bevölkerungsgruppen ist eine schwere Störung der gesellschaftlichen Ordnung,
die strafbar sein soll. Sie gefährdet per se die öffentliche Ordnung. Auch
Diebstahl, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung sind immer
strafbar, ohne dass gesondert geprüft wird, ob die konkrete Tat die öffentliche
Ordnung gefährdet. Eine solche Prüfung ist auch bei der Verhetzung überflüssig;
sie schränkt die Anwendung der Bestimmung zu sehr ein. Dasselbe gilt für das
Kriterium der „breiten Öffentlichkeit“, das von der Rechtsprechung bei einem
Personenkreis ab etwa 150 Personen angenommen wird. Auch Botschaften, die im
kleinen Kreis verbreitet werden, haben ein Gefährdungspotenzial; umso mehr, als
sie heute mittels technischer Mittel (social media wie Facebook und Twitter,
Youtube usw) sehr schnell an einen großen Kreis von Menschen weitergeleitet
werden können. Die „breite Öffentlichkeit“ sollte daher aus dem Tatbestand
gänzlich entfallen.

Absatz
2 des Tatbestands stellt die Hetze unter Strafe. Hier kommt es bei der
Beschimpfung darauf an, ob dadurch eine Verächtlichmachung angestrebt wird und
ob die Beschimpfung in einer „die Menschenwürde verletzenden Weise“ erfolgt.
Auch diese Beschränkungen sind überflüssig: es ist ja keine öffentliche
Beschimpfung von Gehörlosen oder Menschen einer bestimmten Hautfarbe denkbar,
die die Menschenwürde nicht verletzt und nicht mit einer Verächtlichmachung
einhergeht.

Die
Europäische Union hat 2008 alle Mitgliedstaaten verpflichtet, rassistische und
fremdenfeindliche Straftaten unter Strafe zu stellen, und zwar durch den Rahmenbeschluss 2008/913/JI vom 28.11.2008 zur strafrechtlichen
Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit, Amtsblatt 2008 L 328/55
). In Artikel 1 des Rahmenbeschlusses
heißt es unter anderem:

„…(1)   Jeder
Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass
folgende vorsätzliche Handlungen unter Strafe gestellt werden:
a)
die
öffentliche Aufstachelung zu Gewalt oder Hass gegen eine nach den Kriterien
der Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische
Herkunft definierte Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen
Gruppe;

b)
die
Begehung einer der in Buchstabe a genannten Handlungen durch öffentliche
Verbreitung oder Verteilung von Schriften, Bild- oder sonstigem Material;…“

Der
Rahmenbeschluss ermöglicht es den Staaten, nur solche Handlungen unter
Strafe zu stellen, die in einer Weise begangen werden, die geeignet sind, die
öffentliche Ordnung zu stören, oder die Drohungen, Beschimpfungen oder
Beleidigungen darstellen.

Bei
einer Reform des Verhetzungstatbestands erscheint eine Anhebung der
Strafobergrenze auf drei Jahre sachgemäß. Dies bedeutet eine Angleichung an die
Strafe beim Tatbestand des Widerstands gegen die Staatsgewalt. Bei der
Formulierung ist es nahe liegend, den Begriff des „Hasses“ aufzugreifen, den
auch das Europäische Recht verwendet.

Im Sinne dieser Überlegungen und die modernen technischen Möglichkeiten von
Verhetzungshandlungen bedenkend könnte § 283 StGB folgendermaßen reformiert
werden:

„§
283 StGB Verhetzung

Wer
gegen eine nach den Kriterien der Hautfarbe, der Herkunft, der Sprache, der
Religion oder Weltanschauung, der Staatsangehörigkeit, der Abstammung oder
nationalen oder ethnischen Herkunft, des Geschlechts, einer Behinderung, des
Alters oder der sexuellen Ausrichtung definierte Gruppe von Personen, gegen
eine sonstige Minderheit, oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe bzw
Minderheit hetzt, oder eine dieser Gruppen oder eines ihrer Mitglieder unter
Bezugnahme auf die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe beschimpft, ist mit
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen. Ebenso ist zu bestrafen, wer
zu Gewalt oder Hass gegen eine dieser Gruppen oder ihre Mitglieder aufruft.
 
Die
Tat ist nur strafbar, wenn sie öffentlich erfolgt. Dabei macht es keinen
Unterschied, ob die Tat direkt vor anderen erfolgt oder im Wege von Schriften,
Bildern oder über elektronische und sonstige Medien, die eine Verbreitung der
Botschaft erwarten lassen.“

Zu überlegen wäre allenfalls eine Entschärfung (Privilegierung) für jene Fälle, in denen Beschimpfungen im Zuge eines Streits in einem kleineren Rahmen erfolgen (Bassenastreitigkeiten).


2) Landfriedensbruch (§ 274 StGB)

Der Straftatbestand des Landfriedensbruchs fand zuletzt im Zusammenhang mit Demonstrationen und Fussballspielen Anwendung. Dies stieß öffentlich und in Fachkreisen auf Kritik, da eine Ausuferung der Anwendung der Strafbestimmung und eine Einschränkung des Demonstrationsrechts befürchtet wurde. Umgekehrt steht es mit sonstigen Strafdrohungen des Strafgesetzbuches in Widerspruch, dass die Organisation von Menschenansammlungen, die auf einen Mord abzielen, bloß mit drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist.
Aktuell lautet § 274 StGB (Landfriedensbruch):

„(1) Wer wissentlich an einer Zusammenrottung einer Menschenmenge teilnimmt, die darauf abzielt, daß unter ihrem Einfluß ein Mord (§ 75), ein Totschlag (§ 76), eine Körperverletzung (§§ 83 bis 87) oder eine schwere Sachbeschädigung (§ 126) begangen werde, ist, wenn es zu einer solchen Gewalttat gekommen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.

(2) Wer an der Zusammenrottung führend teilnimmt oder als Teilnehmer eine der im Abs. 1 angeführten strafbaren Handlungen ausführt oder zu ihrer Ausführung beigetragen hat (§ 12), ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

(3) Nach Abs. 1 ist nicht zu bestrafen, wer sich freiwillig aus der Zusammenrottung zurückzieht oder ernstlich zurückzuziehen sucht, bevor sie zu einer Gewaltanwendung geführt hat, es sei denn, daß er an der Zusammenrottung führend teilgenommen hat.“

Im Lichte der aktuellen Diskussion könnte der Straftatbestand folgendermaßen neu formuliert und auf seine ursprüngliche Zielsetzung zurückgeführt werden:

„(1) Wer eine Menschenansammlung mit dem Vorsatz organisiert, dass unter ihrem Einfluss ein Mord (§ 75), ein Totschlag (§ 76), eine Körperverletzung (§§ 83 bis 87) oder eine schwere Sachbeschädigung (§ 126) begangen werde, ist, wenn es zu einer solchen Tat gekommen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren zu bestrafen. Ebenso ist zu bestrafen, wer mit diesem Vorsatz Führungs- und Leitungsaufgaben in der Ansammlung übernimmt oder eine aus anderen Motiven entstandene Versammlung dazu missbraucht aktiv darauf hinzuwirken, dass unter ihrem Einfluss ein Mord (§ 75), ein Totschlag (§ 76), eine Körperverletzung (§§ 83 bis 87) oder eine schwere Sachbeschädigung (§ 126) begangen wird.

(2) Wer an einer solchen Menschenansammlung bloß teilnimmt ist nur dann strafbar, wenn die Teilnahme mit dem Vorsatz erfolgt, die Begehung eines Mordes (§ 75), eines Totschlags (§ 76), einer Körperverletzung (§§ 83 bis 87) oder eine schweren Sachbeschädigung (§ 126) zu befördern und wenn es tatsächlich zu einer solchen Tat kommt. In diesem Fall ist die Teilnahme, wenn sie nicht nach anderen Bestimmungen strenger zu bestrafen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.“

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