Zurückweisung der Klimaklage durch den Verfassungsgerichtshof – eine erste Einschätzung.

Der Verfassungsgerichtshof hat heute bekanntgegeben, dass die so genannte Klimaklage zurückgewiesen wurde. Die Entscheidung ist auf der Seite des Verfassungsgerichtshofs abrufbar:

https://www.vfgh.gv.at/downloads/VfGH_Beschluss_G_144_2020_vom_30._September_2020.pdf

Die Rechtsvertreterin der Klimakläger, Michaela Krömer, schreibt dazu auf Facebook: „Die Klimaklage wurde zurückgewiesen. Die vorgebrachten Argumente des VfGH sind letztlich mutlos und konservativ. Der Formalismus wäre rechtlich in einzelnen Punkten jedenfalls überwindbar gewesen. VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter hat selbst unlängst festgehalten, dass eine Verfassung nicht nur vom Buchstaben des Gesetzes lebt, sondern auch davon, wie sie von den verantwortlichen Organen gehandhabt wird. Heute scheitert der VfGH an genau diesem Anspruch: Unsere viel gefeierte Verfassung bietet derzeit keinen rechtlichen Schutz vor den tatsächlichen Krisen unserer Zeit. … Leider hat der VfGH die Argumente der Klimaklage nicht ernst genommen. Es ist zynisch in den Raum zu stellen, dass Flugpassagiere gegen eine Steuerbegünstigung des Fluges vorgehen sollen- in welchen Rechten sollen diese verletzt sein?! Man hätte wenigstens das Problem des Rechtsschutzdefizits aufzeigen und damit eine sinnvolle Diskussion über Reformbedarf starten können.“

Hat Michaela Krömer mit dieser Einschätzung Recht?

Worum es geht:

Umwelt und Klima sind starken, vom Menschen verursachten Schäden ausgesetzt. Das hat Krankheiten und Todesfälle zur Folge – steigende Raten von Lungen- und Kinderkrankheiten oder Hautkrebs, manche Weltregionen erleben den Zusammenbruch der Landwirtschaft und der Versorgungsmöglichkeit in Folge von Hitze- und Trockenperioden, die vom Klimawandel verursacht wurden. Mehrere österreichische Gemeinden haben bereits nach ausländischem Vorbild den Klimanotstand ausgerufen. Staaten sind in internationalen Übereinkommen Verpflichtungen zur Schadstoffreduktion eingegangen, die die meisten Länder nicht einhalten. Und gleichzeitig sind Staaten seit Jahrzehnten, etwa durch die Menschenrechtskonvention, zum Schutz von Gesundheit und Leben der Menschen verpflichtet.

Nachdem sich Klima- und Umweltkatastrophen in den letzten Jahren immer deutlicher abzeichnen oder manifestieren, sind in vielen Ländern Klimaklagen erhoben worden. Es kann dabei darum gehen, den eigenen Staat am Rechtsweg zur Einhaltung von Klimazielen zu verpflichten, oder bei der Heimatgemeinde die Erlassung eines temporären Fahrverbots oder einer Geschwindigkeitsbegrenzung zu erwirken, um Klima und Umwelt und damit die Gesundheit zu schützen. Auf Wikipedia findet sich dazu eine ganz brauchbare, wenn auch nicht in allem aktuelle Übersicht: https://de.wikipedia.org/wiki/Gerichtsverfahren_zum_Klimawandel

In Österreich haben in diesem Kontext bisher zwei Verfahren Aufmerksamkeit erzeugt: der Rechtsstreit um eine dritte Piste für den Flughafen Wien – die unteren Instanzen hatten bei der Abwägung die Klima/Gesundheitsinteressen stärker bewertet als die mit dem Bau der Piste verbundenen Wirtschaftsinteressen. Der Verwaltungsgerichtshof sah am Ende die Wirtschaftsinteressen höherwertig.

Das zweite bedeutsame Verfahren und zugleich das erste größere Verfahren, das zum Verfassungsgerichtshof gelangte, war nun die von Greenpeace getragene Sammelklage. Die von Michaela Krömer konzipierte Anrufung des Höchstgerichts ist juristisch intelligent konstruiert und außergewöhnlich detailliert ausgearbeitet. Über 8000 Österreicherinnen und Österreicher tragen den Antrag mit – ProponentInnen und formale AntragstellerInnen sind ua eine prominente Naturwissenschaftlerin, eine Vertretern von Fridays for future und Menschen, die an Krankheiten leiden, die auf schädliche Umwelteinflüsse zurückgehen. Der Antrag an den Verfassungsgerichtshof enthält über 100 Seiten rechtlicher Argumentation.

Der Verfassungsgerichtshof zitiert in seiner Entscheidung zunächst über 24 Seiten das Vorbringen aus dem Antrag und Gesetzesstellen. Die Erwägungen des Verfassungsgerichts – also die Auseinandersetzung mit den über 100 Seiten des Antrags – nimmt bloß vier Seiten ein. Die Antragsberechtigung wird unter anderem mit dem Hinweis verneint, dass die AntragstellerInnen angeben, mit der Bahn zu reisen und nicht mit dem Flugzeug; daher wären die AntragstellerInnen nach Ansicht des Höchstgerichts aber nicht berechtigt, Steuerbefreiungen für den Flugverkehr zu rügen.

Über die von den AntragstellerInnen aufgeworfenen Rechtsfragen kann man unterschiedlicher Meinung sein. Es bleibt zu hoffen, dass die Rechtswissenschaft und Rechtspraxis das vorliegende Erkenntnis intensiv diskutieren und für Gesetzgeber und Rechtsprechung neue Wege und Interpretationen öffnen wird. Man kann weder der Europäischen Menschenrechtskonvention noch dem österreichischen Verfassungsrecht unterstellen, dass die Bevölkerung dem von Menschen und Staat verursachten Untergang des Planeten zusehen muss, ohne irgendeine rechtliche Handhabe ergreifen zu können.

Die Klimafrage ist ein Wettlauf mit der Zeit. Auch in Österreich wird Bewegung in die juristische Diskussion von Klima- und Umweltfragen kommen, aber wir dürfen uns nicht Jahre Zeit lassen damit. Für den Moment ist es deprimierend, dass das Höchstgericht eine der zentralen Fragen der Zukunft der Menschheit in ihrer Dimension nicht erkennt und die international viel weiter fortgeschrittene rechtliche Auseinandersetzung mit Klima- und Umweltfragen nicht aufzugreifen vermag. Dass die umfangreiche juristische Darlegung der AntragstellerInnen mit ein paar lapidaren Sätzen zurückgewiesen wird unterstützt die oben zitierte Einschätzung Michaela Krömers. Ihr und all den Antragstellerinnen und Antragstellern gebührt größter Respekt für die (auch juristische) Pionierarbeit, die diese Anrufung des Verfassungsgerichts bedeutet. Das Erkenntnis ist so zur Kenntnis zu nehmen; die zukunftsweisenden Überlegungen des Antrags sind zugleich ein gutes Fundament, die juristischen Anstrengungen zur Abwendung der Klimakatastrophe weiterzuführen.

Beiträge per Email abonnieren