Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit

Beitrag für die Zeitschrift Kriminalpolizei, Ausgabe August/September 2021

 

Mitinitiator Oliver Scheiber erläutert Anlass und Forderungen des Rechtsstaat & Anti-Korruptionsvolksbegehrens.

Die Initiatoren des „Rechtsstaat & Anti-Korruptionsvolksbegehrens“.

Am 15. Juni 2021veröffentlichte Transparency International, maßgebliche NGO im Bereich Antikorruption, sein Korruptionsevaluierungssystem Global Corruption Barometer (GCB) – gegenüber den Vorjahren fällt Österreich in dieser Evaluierung zurück und gehört nunmehr zu jenen Staaten, in denen mehr Korruption herrscht als im EU-Schnitt. Das Global Curroption Barometer erhebt, wie oft in einem Land für öffentliche Leistungen bestochen wird und wie oft „Freundschaftsdienste“ im öffentlichen Sektor geleis­tet werden.

Am selben Tag wurde in Wien das Rechtsstaat & Anti-Korruptionsvolksbegehren präsentiert. Formuliert und vorbereitet wurde es bereits vor Bekanntwerden des Global Corruption Barometer – denn die Anzeichen, dass es um Rechtsstaat und öffentlichen Sektor in Österreich nicht gut bestellt ist, haben sich in den letzten Monaten verdichtet. Zum Einen ist da die hohe Zahl an anhängigen Strafverfahren gegen aktuelle und frühere Regierungsmitglieder und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; zum Anderen sind es autoritäre Tendenzen, die bereits international wahrgenommen und auch von maßgeblichen Stimmen im Inland, wie etwa Franz Fischler, thematisiert wurden.

Für den Start eines Volksbegehrens gab es viele Anlässe. Einer davon sind die seit mehr als einem Jahr andauernden Angriffe aus der größeren Regierungspartei auf Justiz und Parlament. Die Argumentation ist dabei plump, durch ihre häufige Wiederholung wird sie aber nicht ohne Wirkung auf die Bevölkerung bleiben und das ist demokratiepolitisch gefährlich – denn ohne Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen wird das demokratische Gefüge instabil und es erhöhen sich die Möglichkeiten für autoritäre Politikansätze.

Demokratie und Rechtsstaat können nur funktionieren, wenn sich die staatlichen Akteure und Institutionen wechselseitig respektieren. Die beste Verfassung wird die Demokratie nicht retten, wenn Politiker keinen Respekt vor den Gerichten haben oder wenn die Verwaltung parlamentarischen Kontrollausschüssen Akten nicht herausgibt. Die Verzögerung von Aktenlieferungen an den Ibiza-Untersuchungsausschuss durch Finanzminister Blümel bedeutet daher den Ansatz einer Staatskrise – es gab in der Zweiten Republik bereits viele Untersuchungsausschüsse, aber noch nie mussten Verfassungsgerichtshof und Bundespräsident zusammenwirken, um die Herausgabe von Akten zu erwirken. Die Erzählung vom rechtlichen Neuland beim Untersuchungsgegenstand ist eine Mär – neu ist allein der Widerstand eines Regierungsmitglieds gegen höchstgerichtliche Erkenntnisse.

Ebenso beunruhigend sind die Angriffe von Regierungsmitgliedern und ÖVP-Politikern auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und einzelne Staatsanwältinnen und Staatsanwälte.

Die WKStA wurde vor etwas mehr als zehn Jahren ausdrücklich dazu gegründet, um politische Korruption besser zu bekämpfen – Ermittlungen gegen die Politik sind ihr ureigenster Zuständigkeitsbereich und ihre Kernaufgabe. Die hohe Kompetenz dieser Spezialstaatsanwaltschaft hat erst zur effizienteren Erforschung politischer Korruption geführt.

Kritik an der Justiz ist legitim – sie soll von der Wissenschaft, von Medien und der Bevölkerung geübt werden. Angriffe auf die Justiz aus der Regierung untergraben dagegen die Gewaltentrennung, die wechselseitige respektvolle Kontrolle von Justiz, Verwaltung und Parlament.

Schließlich: Hausdurchsuchungen z.B. werden nicht einfach so von Polizei oder Staatsanwaltschaft durchgeführt, sie benötigen in jedem Einzelfall eine Bewilligung durch die unabhängigen Gerichte. Und siehe: kaum eine der Bewilligungen zur Hausdurchsuchung in den prominenten politischen Verfahren wurde von den betroffenen Politikern mit dem zur Verfügung stehenden Rechtsmittel der Beschwerde bekämpft.

Nicht Gerichte und Staatsanwaltschaften agieren problematisch, sondern Teile der Politik und der hohen Beamtenschaft. Wie bisher veröffentlichte Chatprotokolle zeigen, spricht viel dafür, dass Politik und Spitzenbeamte versucht haben, strafrechtliche Ermittlungen in Folge des Ibiza-Videos zu verhindern und die WKStA in ihrer Ermittlungsarbeit zu behindern.

Was für die Justiz gilt, gilt auch für das Parlament. Seine Kontrolltätigkeit in Form der Untersuchungsausschüsse ist ein zentrales Element der Bundesverfassung. Wenn Bundesministerin Köstinger Untersuchungsausschüsse mit der Löwinger-Bühne vergleicht und der Nationalratspräsident sich in der Vorsitzführung im Untersuchungsausschuss zum Erfüllungsgehilfen der Regierung macht, dann schwächt das Demokratie und Rechtsstaat massiv.

„Kopfschuss für den Rechtsstaat“. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die aktuelle Regierung ganz offenkundig ein Problem damit hat, dass neben der Verwaltung noch Parlament und Justiz ihren verfassungsmäßigen Aufgaben nachgehen. Dies manifes­tiert sich nicht nur in vielen Wortmeldungen, sondern mittlerweile auch in ganz konkreten Gesetzesprojekten – vor kurzem hat die Regierung vorgeschlagen, Hausdurchsuchungen für Strafverfahren im Bereich Behörden und Politik de facto abzuschaffen – „Kopfschuss für den Rechtsstaat“ hat dies Österreichs führender Verfassungsrechtler Heinz Mayer und Mitproponent des Antikorruptions-Volksbegehrens, genannt.

Das Projekt konnte nur durch massive Widerstände aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft abgewendet werden. Dennoch legte die Regierung nach und schlug vor, der Bundeswettbewerbsbehörde strengere Berichtspflichten aufzuerlegen – die Kartelluntersuchungen gegen Großunternehmen waren der Politik wohl ein Dorn im Auge.

Es zeigt sich immer deutlicher, dass wichtige Vertreter der ÖVP Parteiinteressen über das Interesse der Republik stellen – da werden Interessenskonflikte übergangen, Aufsichtsräte und Vorstände durch Cliquen besetzt, unabhängig von Qualifikationen. Endet das in Strafverfahren, so attackiert man die Justiz und hohe Justizbeamte spielen, so scheint es, mit verdächtigten Politikern zusammen. Die entsprechenden strafrechtlichen Untersuchungen laufen noch, es gilt also für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung.

Demokratie und Rechtsstaat in Österreich sind nicht eingebrochen, aber sie sind geschwächt. Bei dieser Schwächung von Demokratie und Rechtsstaat spielt die Medienpolitik und Medienwirklichkeit in Österreich eine zentrale Rolle. Die Rahmenbedingungen für unabhängigen Qualitätsjournalismus werden immer schwieriger. Da ist zunächst die Praxis der letzten Regierungen, die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesministerien immer weiter auszubauen. Bundeskanzleramt und Innenministerium etwa haben bereits eine hohe zweistellige Zahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt – was einmal als Informationsarbeit angelegt war ist zur Propagandawalze verkommen. Wie Medienunternehmen fluten die Ressorts die Öffentlichkeit mit Inhalten, die wiederum oft Partei- statt Ressortinteressen wahrnehmen. Längst scheint dafür die Rechtsgrundlage zu fehlen – Ministerien sind von der Verfassung nicht als Medienunternehmen vorgesehen.

Die eigentliche Medienförderung dagegen ist völlig fehlgeleitet. Die Demokratie benötigt unabhängige Medien als Kontrollinstanz, als public watch­dog, wie es auch der Oberste Gerichtshof formuliert hat. Gerade in einem kleinen Land und damit einem kleinen Medienmarkt, kommt Qualitätsjournalismus nicht ohne staatliche finanzielle Unterstützung aus. Österreichs Medienförderung orientiert sich aber nicht an der Qualität, sondern an der Auflage. Und die eigentliche Medienförderung erfolgt durch willkürlich vergebene Regierungsinserate. Unliebsamen Medien werden die Inserate gestrichen, oder anders gesagt: regierungsfreundliche Berichterstattung wird belohnt. Diese Form der Inseratenkorruption wurde schon vor Jahren begonnen, von der aktuellen Regierung aber quantitativ in schwindelerregende Höhen getrieben.

Das am 15. Juni präsentierte Antikorruptions-Volksbegehren setzt bei den beschriebenen Fehlentwicklungen an – in 72 Punkten wird vor allem eine Stärkung der Unabhängigkeit von Parlament, Justiz und Medien gefordert. Erreicht werden soll eine Verrechtlichung des politischen Handelns und ein massives Zurückdrängen der Korruption.

Die Zusammensetzung der InitiatorInnengruppe lässt sich als Aufschrei aus dem Herzen von Justiz und Verwaltung verstehen und illustriert den Grad der Beunruhigung. Martin Kreutner etwa hat ab dem Jahr 2000 eine moderne Korruptionspolizei in Österreich aufgebaut. Walter Geyer war vor mehr als zehn Jahren der erste Leiter der neu gegründeten Korruptionsstaatsanwaltschaft und hat die staatsanwaltschaftliche Arbeit in diesem Bereich neu aufgesetzt und revolutioniert. Christina Jilek hat als Oberstaatsanwältin der WKStA eine zentrale Rolle bei den Korruptionsermittlungen nach dem Bekanntwerden des Ibiza-Videos gespielt. Im parlamentarischen Untersuchungsausschuss hat sie geschildert, wie sie von Oberstaatsanwaltschaft und Justizministerium so lange behindert und bedrängt wurde, bis sie den Job aufgab. „Ich hätte so etwas in Österreich nicht für möglich gehalten“, sagte sie über die Behinderung ihrer staatsanwaltschaftlichen Arbeit.

Die Behinderung staatsanwaltschaftlicher Arbeit betrifft nicht nur die Ibiza-Ermittlungen. Gegen zwei frühere Eurofighter-Staatsanwälte wurden Strafverfahren eingeleitet. Ein Staatsanwalt sah sich vier Jahre lang wegen geringster Vorwürfe einem Strafverfahren ausgesetzt, das von der Oberstaatsanwaltschaft just jener Staatsanwaltschaft zur Erledigung zugewiesen wurde, der der aktuelle Leiter der Oberstaatsanwaltschaft früher vorstand.

Führende Justizbeamte überlegten, wie man die WKStA in den Medien schlecht machen könne und wie man gegen die zu Ibiza ermittelnden Staatsanwältinnen und Staatsanwälte vorgehen könnte. Man dachte sogar daran, die E-mails von WKStA-StaatsanwältInnen sicherzustellen.

Das Bild ist eindeutig: höchsten Beamtinnen und Beamten waren Strafverfahren gegen Politiker ein Dorn im Auge, sie wollten die Strafverfahren um jeden Preis abdrehen und jenen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten, die sich nicht fügten, etwas anhängen. Anders gesagt: hohe Justizstellen versuchten offenbar aus Loyalität zu befreundeten Politikern und Mächtigen Strafverfahren zu behindern bzw. zu verhindern und diffamierten zu diesem Zweck integre Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Der Super-GAU für jede Organisation und jedes Justizsystem. Alle Verfahren laufen noch – es gilt die Unschuldsvermutung.

Ein autoritäres System entsteht normalerweise in vielen kleinen Schritten. So war es in Ungarn, so entwickelt es sich in Polen. Am Beginn stehen immer Angriffe auf Justiz und Medien. Österreich läuft Gefahr, durch Postenschacher und Freunderlwirtschaft in Verbindung mit dem Druck auf Justiz und Medien zu einem rechtsstaatlichen Außenseiter zu werden. Das Antikorruptions-Volksbegehren setzt auf die Umkehr zu einer Politik, die sich am Gemeinwohl und hohen Maßstäben ethischen Verhaltens ausrichtet – und nicht nur am Strafrecht. Das Volksbegehren betont das Recht auf eine unabhängige und starke Justiz, auf unabhängige, objektive und gut ausgestattete Kontroll- und Ermittlungsbehörden, auf eine den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtete Beamtenschaft und Polizei, die alle ohne (partei)politisch motivierte Diskreditierungen, Eingriffe und Untergriffe arbeiten können sollen.

Die 72 Forderungen des Volksbegehrens sind zum Teil recht technisch. Markant sind der vorgeschlagene automatische Amtsverlust für Politiker bei der Nichtbeachtung von Gerichtsentscheidungen rechtskräftiger gerichtlicher Urteile oder strafrechtliche Sanktionen bei illegaler Parteienfinanzierung. So lautet eine Forderung des Volksbegehrens, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft verfassungsrechtlich abgesichert werden und eine eigene Polizeieinheit erhalten soll. Die Inseratenvergabe an Medien soll reduziert und objektiviert werden. Eine neue Medienförderung soll Qualität honorieren, etwa die Ausbildung junger Journalistinnen und Journalisten oder die Einrichtung investigativer Redaktionen.

Die Eintragungswoche für das Volksbegehren wird vom Innenminis­terium festgesetzt werden und frühestens im Herbst 2021 vorliegen.

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