Wir haben seit 5.3.2019 mehr als 1.000 Stück des Buches „Sozialdemokratie: Letzter Aufruf!“ versandt. Ich danke allen Käuferinnen und Käufern bzw. AbnehmerInnen für das große Interesse. Ich bitte auch um Verständnis, dass ich es nicht schaffe, alle Mails und Zuschriften zu beantworten; im Moment reichen meine Zeitressourcen dazu nicht aus.
Dass alle Plätze für die Präsentation am kommenden Sonntag im Volkstheater ganz schnell vergeben waren, freut mich einerseits; andererseits ist es schade, dass viele, die gerne gekommen wären, nun nicht dabei sein können. Wir (ich und FreundInnen) überlegen gerade, ob und wie wir weitere Veranstaltungen organisieren können – dann aber vielleicht themenbezogen oder als weiterführende, kleinere zivilgesellschaftliche Initiativen.
In jedem Fall freue ich mich auf den Sonntag und danke den Podiumsgästen für Ihr Teilnahme.
Buchpräsentation in der Roten Bar des Volkstheaters
Sonntag, 17. März 2019, um 11 Uhr
Moderation: Walter Famler (Alte Schmiede)
Podium:
Daniel Landau (Bildungsexperte, Kandidat für die GRÜNEN in Wien)
Daniela Platsch (Kandidatin für DIEM, Der Wandel)
Laura Schoch (SPÖ Mariahilf)
Alma Zadić (Abgeordnete zum Nationalrat – Liste JETZT)
Oliver Scheiber (Jurist, Publizist)
Sozialdemokratie – letzter Aufruf! Bestellung unter aufruf@gmx.at
Übermorgen Dienstag erscheint mein Buch „Sozialdemokratie: letzter Aufruf!“ Das profil bringt in seiner heute erscheinenden Ausgaben einen Vorabdruck.
Etwa seit dem Jahreswechsel habe ich das Gefühl, dass die politische Entwicklung in Österreich so unangenehm verläuft, dass jede/r, der/die kann, aktiv werden sollte. So ist der nun vorliegende kurze Band entstanden. Die aktuelle Regierung hat unverkennbar autoritäre Züge und betreibt eine Entsolidarisierung der Gesellschaft. Das bräuchte dringend eine kraftvolle, geeinte Opposition als Gegengewicht. Die schon sehr lange währende Schwäche der Sozialdemokratie ist in dieser politischen Konstellation fatal; sie bedeutet, dass Demokratie und Rechtsstaat ernsthaft in Gefahr kommen. Was tun? Jedenfalls: etwas tun! Ich habe aufgeschrieben, was mich zum Teil schon lange beschäftigt hat. Das Ergebnis ist ein Aufruf an das gesamte linke Lager (und in erster Linie naturgemäß an die SPÖ), sich völlig neu aufzustellen und gemeinsam Demokratie, Grundrechte und Sozialstaat zu verteidigen. Ich weiß, dass ich mir leichter tue als viele, weil ich keiner Partei angehöre und keine eigene politische Ambition habe; dennoch will ich möglichst viele Menschen in und außerhalb der Parteien ermuntern, aktiver zu werden und sich der autoritären Entwicklung entgegenzustellen. Es wird schwierig, aber es kann gehen.
Die Chance EU-Wahl ist mit der Zersplitterung des linken Lagers bereits weitgehend vertan. Die kommende Wahl in Wien braucht eine ganz andere, eine solide, konzentrierte, lange Vorbereitung. Es lohnt sich, gemeinsam für ein weltoffenes, soziales und solidarisches Wien zu kämpfen. Die vielen kritischen, munteren Köpfe in der Sozialdemokratie dürfen sich nicht länger vertrösten lassen – sie müssen das Bündnis mit allen solidarisch und humanistisch Gesinnten bilden und eigene Themen setzen.
Der nächste brisante Fall für den Verfassungsgerichtshof nimmt bereits Gestalt an. Nach den Plänen der Regierung sollen bei der Reform der Mindestsicherung vorzeitig aus der Haft entlassene Straftäter, die zu mehr als sechs Monaten Gefängnis verurteilt waren, bis zum regulären Strafende keine Mindestsicherung mehr erhalten. Kommt es zu solch einem Beschluss im Parlament, dann wird die Regelung wohl vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) landen, weil sie im Konflikt mit dem Gleichheitsgrundsatz stehen dürfte. Es wäre dies ein weiteres Puzzlestück in einer Serie jüngster Reformen, die rasch vor dem Höchstgericht landeten.
Zuletzt hat der Gerichtshof mehrere Regierungsprojekte als verfassungswidrig qualifiziert und aufgehoben. Damit wird die Rolle des Verfassungsgerichts in der politischen Arena prominenter und auch die Frage der Richterbesetzungen erhält Brisanz.
Nach Jahrzehnten des Ausbaus der Grundrechtsordnung erlebt Österreich seit einigen Jahren durchaus im europäischen Trend eine Phase des Rückbaus von Menschenrechten und eine Infragestellung rechtsstaatlicher Errungenschaften.
Der rechtsstaatliche Motor stottert seit Jahren. Die repressive Seite des Staates tritt stärker hervor und bedeutet eine Schwächung der Bürgerrechte. Man denke nur an die vielen Überwachungsmaßnahmen. Angetrieben wird diese Schwächung des Grundrechtssystems und der Rechtsstaatlichkeit einerseits vom autoritär orientierten Rechtspopulismus, andererseits – und schon länger – von einer repressiven Polizei- und Strafrechtspolitik in Folge der islamistischen Terroranschläge seit 9/11. In Österreich hat dieser Prozess durch die populistische Instrumentalisierung der Fluchtbewegung ab 2015 an Dynamik gewonnen. Seither werden die in der Genfer Flüchtlingskonvention und Menschenrechtskonvention gewährten Menschenrechte offen in Frage gestellt. Im Fremdenrecht überschreitet der Staat immer häufiger rote Linien der Menschenrechte, bei Sozialleistungen werden schwache Personengruppen wie Fremde, aber auch Haftentlassene diskriminiert.
Viele dieser Entwicklungen haben sich seit einigen Jahren abgezeichnet. Die Regierung Kurz bzw. einzelne Landesregierungen, an denen die FPÖ beteiligt ist, scheut vor selbstbewusst vorgetragenen Grenzüberschreitungen in Verfassungsfragen nicht zurück.
Nun ist es nicht so, dass der Gesetzgeber, das Parlament, völlig frei agieren kann. Die österreichische Verfassung sieht vielmehr, ähnlich anderen demokratischen Rechtsstaaten, ein System der checks and balances vor. Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit kontrollieren einander wechselseitig, keine Institution verfügt über uneingeschränkte Macht. Die Kontrolle der Gesetzgebung ist in erster Linie Sache des Verfassungsgerichtshofs. Er überprüft die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze. Seit Antritt der Regierung Kurz hat der Gerichtshof bereits mehrere Gesetzesprojekte oder neue Verwaltungspraktiken, wie zuletzt den Entzug österreichischer Staatsbürgerschaften, aufgehoben oder gestoppt.
Sehen wir uns die Chronologie im Detail an. Im österreichischen politischen System hat die jeweilige Regierung eine starke Rolle. Sie ist es in der Regel, die dem Parlament Gesetzesvorschläge übermittelt und diese dort mittels ihrer Parlamentsmehrheit und eines strikt gehandhabten Klubzwangs mehr oder weniger durchwinkt. Das Selbstbewusstsein der Mandatare ist nicht übermäßig ausgeprägt; die ÖVP-Fraktion stimmte binnen kurzer Zeit zuerst für ein strenges Rauchverbot in der Gastronomie, nach dem Regierungswechsel dagegen. Die Regierung Kurz hat die Diskussion über einige Regierungsvorschläge de facto ausgehebelt, indem sie die Gesetzesentwürfe nur binnen ganz kurzer Fristen begutachten lässt. Zudem hat der ehemals renommierte Verfassungsdienst der Regierung durch seine Verschiebung vom Bundeskanzleramt ins Justizministerium an Einfluss verloren. Er war bisher eine angesehene Stimme in Verfassungsfragen, nunmehr spielt er kaum mehr eine Rolle in der politischen Willensbildung. All dies erleichtert die rasche Beschlussfassung von Gesetzen, die im Spannungsfeld zu Verfassung und Grundrechten stehen. Die Verwaltung ist zur Umsetzung der einmal beschlossenen Gesetze verpflichtet. Die Neigung, Bedenken gegen eine politische erwünschte Vorgangsweise zu äußern, ist in einer von Obrigkeitshörigkeit gekennzeichneten heimischen Verwaltung wenig ausgeprägt.
Der Verfassungsgerichtshof ist bei der Bewahrung der Verfassung und zentraler Grundrechte wie des Gleichheitssatzes oder des fairen Verfahrens nicht ganz allein. In der BVT-Affäre konnte das Kabinett des Innenministers seine Vorstellungen polizeiintern und bei Staatsanwaltschaft und Erstgericht schnell durchsetzen, auf der Ebene des Oberlandesgerichts wurde die Dynamik des Systems Kickl jedoch gestoppt. Die durchgeführten Hausdurchsuchungen wurden als nicht gesetzeskonform qualifiziert.
Die neue Regierungskonstellation rückt den Verfassungsgerichtshof ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Gerichtshof erfüllt, wie alle Verfassungsgerichte, eine politische Funktion. Das ergibt sich aus seiner Aufgabe, die ihm die Verfassung selbst zuweist. Indem der Gerichtshof Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüft, wird er zum Akteur des politischen Prozesses. Dies wird in gesellschaftlich wichtigen Fragen wie im Familienrecht deutlich und bei allen Fragen, die medial stark diskutiert werden, etwa der Anfechtung der Bundespräsidentschaftswahl. Es ist folgerichtig, dass sich die Politikwissenschaft vermehrt der Rolle des Gerichts zuwendet. Die Politikwissenschaftlerin Tamara Ehs hat wichtige Forschungsprojekte zur Rolle des VfGH geleitet, die die traditionellen Forschungen der Rechtswissenschaft ergänzen. In der Zusammenschau zeigt sich, dass das österreichische Verfassungsgericht sein Rollenverständnis im Laufe seines Bestehens verändert hat. Lange Zeit verfolgte der Verfassungsgerichtshof gerade im Grundrechtsbereich ein zurückhaltendes Rollenverständnis. Seit den 1980er-Jahren legt der Gerichtshof seine Rolle in Grundrechtsfragen aktiver an. Die überwiegende Expertenmeinung geht dahin, dass das Gericht sich eher als Kontrollorgan denn als politischer Entscheidungsträger versteht. Angelehnt an das Verständnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der die Einhaltung der Menschenrechtskonvention prüft, ist auch der Verfassungsgerichtshof zu feineren Prüfungen übergegangen und nutzt den Gleichheitssatz dazu, die Grundrechte im Wege der Interpretation fortzuentwickeln. So gehen etwa viele Entwicklungen des Familienrechts, wie z.B. die Ehe für alle, auf die Rechtsprechung des VfGH zurück.
Aber können und werden die Richterinnen und Richter des hohen Gerichts einen Schutzwall um die Verfassung errichten, wenn autoritäre Tendenzen zunehmen? Oder gibt es Loyalitäten zur Regierung, die sie daran hindern? Der Verfassungsgerichtshof besteht aus einer Präsidentin und einem Vizepräsidenten sowie zwölf weiteren Richterinnen und Richtern, dazu kommen sechs Ersatzmitglieder. Alle sind unversetzbar und unabhängig, das Amt endet mit dem 70. Lebensjahr. Sie sind keine Berufsrichter und üben im Regelfall eine oder mehrere weitere Tätigkeiten aus. Bei Neubesetzungen gibt es verschiedene Vorschlagsmodi, im Ergebnis wählt aber die jeweilige Regierungsmehrheit die Richterinnen und Richter aus. Der frühere VfGH-Präsident Ludwig Adamovich formulierte es so: „Es kommt niemand hinein, der nicht das Vertrauen einer politischen Kraft hat. Doch dass die Richter deshalb wie ferngesteuerte Zinnsoldaten agieren, ist nicht wahr.“ Das gilt bisher so.
Der Verfassungsgerichtshof berät nicht öffentlich, die Öffentlichkeit erfährt nicht, wie Abstimmungen im Richterkollegium ausgegangen sind und es gibt auch kein Sondervotum einzelner Richter, wie es viele andere Staaten kennen. Dies hat den Nachteil, dass der Diskussionsprozess innerhalb des Gerichts nicht transparent ist; zugleich bietet es den Vorteil, dass die Richter im Schutz der Vertraulichkeit entsprechend ihrer Überzeugung abstimmen können und nicht unter Druck der Partei kommen, die sie nominiert hat. Dieses Prinzip hat bisher gut funktioniert; der Verfassungsgerichtshof geriet seit 1945 nie in den Verdacht, Erfüllungsgehilfe der jeweiligen Regierung zu sein. Vielmehr bescheinigt die Wissenschaft dem VfGH ein hohes Ausmaß an Autonomie gegenüber aktuellen politischen Strömungen. So fanden alle Parteien genügend Anlässe, sich über Entscheidungen zu ärgern. Aktuell werden neun der 14 Verfassungsrichter den Regierungsparteien ÖVP und FPÖ zugerechnet; nichtsdestotrotz fällen sie Urteile, die den Vorstellungen der Regierung Kurz zuwiderlaufen.
Wie so oft ist es freilich die FPÖ, die auch im Zusammenhang mit dem Höchstgericht Tabubrüche setzt. Sie tat dies durch persönliche Beleidigungen des früheren Präsidenten Adamovich ebenso wie durch jahrelanges Ignorieren der Urteile zu zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten – ein beispielloser Vorgang in der Zweiten Republik. Deshalb finden die Richternominierungen, die die FPÖ nun als Regierungspartei vornimmt, besondere Beachtung. Im Frühjahr 2018 soll ein verfassungsjuristisch nicht ausgewiesener Jurist und Kronenzeitung-Kolumnist als Verfassungsrichter im Gespräch gewesen sein. Auch wenn es ein Gerücht gewesen sein mag; es beunruhigt allein die Tatsache, dass seine Nominierung für möglich gehalten wurde.
Tatsächlich nominiert hat die FPÖ schließlich einen fachlich anerkannten Medienrechtsanwalt und einen Linzer Rechtsprofessor. Beide wurden ernannt. Mit dem Linzer Professor setzte die Regierung einen Tabubruch, hatte dieser doch Europa als „multikriminelle Gesellschaft“ bezeichnet, an deren Entstehung der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Mitverantwortung trage. Damit arbeitet nun jemand am höchsten Gericht, der offenbar den Grundkonsens des Nachkriegseuropas, die Absage an Nationalismus und Hass, nicht mitträgt. Die zitierte Aussage stellt nicht nur die Assoziation von mulitikulturell und kriminell her, sie kommuniziert zugleich die Ablehnung supranationaler Gerichte mit. Man wird sehen, wie sehr es dem Richterkollegium gelingt, eine solche Persönlichkeit in die gemeinsame Grundrechtstradition einzubinden.
Die Nominierung der Höchstrichter ist eine unterschätzte politisch-strategische Entscheidung, bleiben die Richter doch bis zum 70. Lebensjahr im Amt. Regierungen treffen damit weit über ihre eigene Amtszeit hinaus gesellschaftspolitische Weichenstellungen. In den kommenden zehn Jahren stehen nur drei Nachbesetzungen am Verfassungsgericht an, ab 2029 kommt es dann jedenfalls zu einer Verjüngungswelle mit sechs weiteren Neubesetzungen. Mittelfristig darf man also darauf vertrauen, dass der Verfassungsgerichtshof seine Rolle als Bewahrer des gewachsenen europäischen Menschenrechtssystems entschlossen wie bisher ausübt.
Dr. Oliver Scheiber ist Richter, Lehrbeauftragter an der Universität Wien und FH Wien sowie Vorsitzender des Vorstands des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie. Er gibt hier seine persönliche Ansicht wieder.
Kann es wirklich sein, dass wir in Österreich schwächere Menschenrechte brauchen? Spektakuläre Kriminalfälle bei Flüchtlingen haben zu einer Grundsatzdebatte in unserem Land geführt.
Was diese Auseinandersetzung, die von FPÖ-Innenminister Kickl ausgelöst wurde, für die Bürgerrechte in unserem Land bedeutet, diskutieren wir in einer hochrangigen Runde mit EU-Richterin Maria Berger, dem Grünen-Politiker Karl Öllinger, Richter Oliver Scheiber und Juristin Ines Rössl.
Der Verfassungsgerichtshof hat diese Woche mit einer Entscheidung dem fremdenfeindlichen Furor fürs Erste Einhalt geboten.
Wilfried Embacher und Oliver Scheiber (DIE PRESSE Printausgabe 20.12.2018)
Der Verfassungsgerichtshof spricht seine Urteile im Namen der Republik. Und so hat er mit seiner Entscheidung vom 17. Dezember E 3717/2018, für die Republik ausgesprochen, wie Behörden in einem rechtsstaatlichen Verfahren Tatsachen festzustellen haben. Konkret hielt der Verfassungsgerichtshof fest, dass das Landesverwaltungsgericht Wien mit einem Erkenntnis einen Wiener in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt hatte.
Der betroffene Wiener ist in der Türkei geboren. Vor 40 Jahren ließ er sich in Österreich nieder. 1996 legte er die türkische Staatsangehörigkeit zurück und besitzt nun seit 22 Jahren die österreichische Staatsbürgerschaft. Im Dezember 2017 stellte die Wiener Landesregierung – gestützt auf eine angebliche türkische „Wählerevidenzliste“ – fest, dass der Mann die türkische Staatsangehörigkeit wieder angenommen und dadurch die österreichische Staatsbürgerschaft verloren habe; diese Annahme gründet sich allein auf die angebliche Wählerevidenzliste.
Kein taugliches Beweismittel
Das Wiener Landesverwaltungsgericht bestätigte diesen Bescheid der Wiener Landesregierung. Der Verfassungsgerichtshof dagegen kam zum Ergebnis, dass diese „Wählerevidenzliste“ ein fraglicher, nicht authentischer und hinsichtlich seines Ursprunges und des Zeitpunktes seiner Entstehung nicht zuordenbarer Datensatz sei, der kein taugliches Beweismittel für die Feststellung der Annahme einer fremden Staatsangehörigkeit darstellt.
Diese Entscheidung des Verfassungsgerichts bedeutet für Tausende Menschen das Ende einer existenzbedrohenden Verunsicherung. Tausende Österreicherinnen und Österreicher mussten befürchten, staatenlos zu werden, neue Aufenthaltstitel und Beschäftigungsbewilligungen zu benötigen und schlimmstenfalls sogar das Land verlassen zu müssen, in dem viele seit ihrer Geburt leben.
Der Verfassungsgerichtshof stellte das bis vor Kurzem Selbstverständliche fest: Man kann eben nicht die österreichische Staatsbürgerschaft verlieren, nur weil man auf einer Liste steht, die von einer politischen Partei als Wählerevidenzliste bezeichnet wird, deren Herkunft und Richtigkeit aber ungeklärt sind. Auf dieser Grundlage kann keine rechtsstaatlich verbindliche Entscheidung zum Nachteil der Betroffenen getroffen werden. Diese Menschen bleiben also im Namen der Republik deren Bürgerinnen und Bürger.
Der Verfassungsgerichtshof kommt zum einzigen in einem demokratischen Rechtsstaat vertretbaren Ergebnis. Die politische Vorgeschichte zeigt aber, wie schnell wesentliche Einrichtungen der Republik ins Wanken geraten: Im Mai 2017 veröffentlicht die damalige Oppositionspartei FPÖ unter medialem Getöse eine türkische Wählerevidenzliste, auf der sich ihrer Meinung nach österreichische Staatsbürger befanden. Sie forderte die zuständigen Behörden auf, festzustellen, dass diese Menschen durch die Wiederannahme der türkischen Staatsbürgerschaft die österreichische Staatsbürgerschaft verloren hätten.
Die Behörden reagierten zunächst zurückhaltend, veranlassten eine Klärung der türkischen Rechtslage und versuchten, durch technische Überprüfungen die Herkunft der Liste oder Manipulationen daran aufzuklären. Die FPÖ gab an, dass ihr die Liste anonym zugespielt worden sei und sie daher zur Klärung der Herkunft dieser Liste nichts beitragen könne.
Mittlerweile wurde aus der Oppositions- eine Regierungspartei. Medien berichteten immer wieder über den Verdacht illegaler Doppelstaatsbürgerschaften. Weder die Behörden noch gewählte Volksvertreter setzten sich nachdrücklich für 100.000 betroffene Österreicherinnen und Österreicher ein, denen auf einmal der Verlust der Existenzgrundlage drohte.
Niemals bei Rot über die Straße
In dieser Gemengelage erließen Behörden in verschiedenen Bundesländern die ersten Bescheide, mit denen der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft festgestellt wurde. Die überraschende Begründung: Die Vermutung, dass die Wählerevidenzliste nur Namen in Österreich lebender türkischer Staatsbürger enthält, konnte nicht widerlegt werden.
Das bedeutet: Die Behörden vertraten die Ansicht, die Bürger müssten beweisen, dass sie keine türkische Staatsbürgerschaft besitzen. Das wäre so, als ob man aufgefordert würde zu belegen, dass man niemals in seinem Leben die Straße bei Rot überquert hat. Menschen, die in Österreich geboren waren, sollten auf einmal den Beweis antreten, dass sie keine türkische Staatsbürgerschaft hatten. Umso überraschender war es, dass Verwaltungsgerichte in verschiedenen Bundesländern die Beweiswürdigung der Behörden für schlüssig hielten und vom Verwaltungsgerichtshof bestätigt wurden.
Kommt bald nächste Hetzjagd?
So blieb es wieder einmal dem Verfassungsgerichtshof vorbehalten, den Rechtsstaat und seine wichtigsten Grundsätze zu schützen. Er stellte sich vor jene Mitbürgerinnen und Mitbürger, die auf einmal einer politischen und medialen Hetzjagd ausgesetzt waren, für die sich Behörden einspannen ließen. Der Verfassungsgerichtshof findet in seiner Entscheidung und der sie begleitenden Presseaussendung deutliche Worte für die Mangelhaftigkeit des Verfahrens: Das Höchstgericht führt damit aber auch vor Augen, wie binnen weniger Monate Fundamente des Rechtsstaats unter Beteiligung von Medien, Behörden und Gerichten ins Wanken geraten sind.
Rund 100.000 Österreicherinnen und Österreicher waren auf einmal einer existenzbedrohenden Handlungsweise der Behörden ausgesetzt. Gerade jene politischen Kräfte, die für sich in Anspruch nehmen, eine Law-and-Order-Haltung zu vertreten, pflegen einen so fahrlässigen Umgang mit grundlegenden Werten der Rechtsordnung, dass das Auftauchen neuer Listen mit Namen für die nächste Hetzjagd vorhersehbar ist.
Mit seiner Entscheidung hat der Verfassungsgerichtshof dem fremdenfeindlichen Furor fürs Erste Einhalt geboten. So kann man der Republik fröhliche Weihnachten und ein gutes neues Jahr wünschen, als Geschenk liegt diesmal die Bewahrung des Rechtsstaates unter dem Christbaum. Man muss an das Land und seine Bürgerinnen und Bürger aber auch appellieren, langsam aufzuwachen. Auf Dauer können 14 Richterinnen und Richter des Verfassungsgerichtshofs den Rechtsstaat nicht allein zusammenhalten.
DIE AUTOREN
Mag. Wilfried Embacher (geboren 1965 in Klagenfurt) hat in Graz und Wien Rechtswissenschaften studiert. Seit 1998 in Wien als Rechtsanwalt eingetragen, seit 2005 Mitglied des Menschenrechtsbeirats, seit 2010 Partner bei Embacher Neugschwendtner. Spezialisiert auf Fremden- und Asylrecht sowie auf Verfassungsrecht und Grundrechte. [ Fabry ]
Dr. Oliver Scheiber (geboren 1968 in Wien) wurde 1995 zum Richter ernannt und ist seit 2009 Vorsteher des Bezirksgerichts Wien Meidling. Er ist Lehrbeauftragter an der Uni Wien, Mitglied der Österr. Juristenkommission und Vorstandsmitglied des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie. Im Text gibt er seine persönliche Meinung wieder. [ Fabry ]