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Bürglkopf

Zum Weltflüchtlingstag zeigten heute SOS Balkanroute und ÖH den mit dem Diagonale-Preis 2025 ausgezeichneten Dokumentarfilm Bürglkopf von Lisa Polster.

Der Film beschäftigt sich mit dem so genannten Rückkehrzentrum am Bürglkopf in Tirol. Flüchtlinge sind dort, rund 2 Stunden Fußmarsch vom Ort Fieberbrunn entfernt, auf einem Berg untergebracht, abgeschottet von der Gesellschaft.

Der Film und die Unterkunft, mit der er sich beschäftigt, zeigt die ganze Unvernunft des europäischen Umgangs mit Flucht und Asyl. Die stärkste Szene im Film sind wahrscheinlich die Gondelkabinen der Bergbahnen, die Aufschriften wie „Diversität“ und „Toleranz“ tragen und im Gegensatz zu dem stehen, was einige hundert Meter weiter praktiziert wird.

Die frühere Bewohnerin Nabaa Alawam formulierte es in der Publikumsdiskussion so: mit ganz vielen Hoffnungen und Träumen sei sie als Jugendliche in Österreich angekommen – und habe dann zehn Jahre ihres Lebens mit dem Warten auf einen Aufenthaltstitel verbracht und verloren. Sie wollte ebenso in einem Gesundheitsberuf arbeiten wie ein anderer Bürglkopf-Bewohner – seinen Traum, Arzt oder Pfleger zu werden, hat er aufgegeben.

Österreich investiert viel Geld dafür, Menschen wieder los zu werden, die es am Arbeitsmarkt dringend braucht. Der Film zeigt, wie sehr sich geflüchtete Menschen wünschen, Teil der österreichischen Gesellschaft zu werden, arbeiten und lernen zu dürfen. Selbst Einheimische, die der Zuwanderung skeptisch gegenüberstehen, räumen ein, dass die Unterbringung fernab jedes Siedlungsgebiets kontraproduktiv sei.

Der Staat produziert mit seinem unvernünftigen Umgang mit dem Fluchtthema nur Verlierer:innen: zerbrochene Familien (einige Familienmitglieder abgeschoben, einzelne dürfen bleiben), resignierte, erschöpfte junge Menschen, für Österreich wichtige Arbeitskräfte, die verloren gehen. Bürglkopf ist ein Extrembeispiel, selbstverständlich gelingt der Umgang mit Asyl/Flucht in anderen Einrichtungen in Österreich besser: aber einen Ort wie den Bürglkopf dürfte es in einem Land, das sich als Rechtsstaat versteht, nicht geben. Der Eindruck, den Behörden und Einrichtungsbetreiber im Film abgeben, ist verheerend. Zynisch, überheblich, unehrlich, intransparent. Die so genannte Rückkehrberatung offenkundig eine Farce; die Bewohner:innen werden gedemütigt und schikaniert.

Hoffnung bleibt wenig: die Initiativen (auch vor Ort), die sich um einen anständigeren Umgang mit den Flüchtlingen einsetzen; Einheimische, die aktiv den Kontakt zu den Heimbewohner:innen suchen; und die portraitierten Menschen, die so viel Potenzial haben. Wie die beeindruckende Nabaa Alawam, die aus Verzweiflung über die Abschottung zu malen begann, den Umzug ihrer Familie ins Dorf durchsetzte und nun nach der Abschiebung des Großteils ihrer Familie nach Wien gezogen ist, malt, schreibt und an Filmen mitwirkt.

Österreich ist alles in allem ein funktionierender Rechtsstaat. Orte wie den Bürglkopf darf es sich nicht leisten. Der Tiroler Landeshauptmann und der Innenminister sollten sich diesen Film ansehen. Sie werden zum Entschluss kommen, die Einrichtung am Bürglkopf schnell zu schließen – solche Zustände will niemand in seinem Verantwortungsbereich haben.

Danke Lisa Polster für den Film und an alle, die das Thema heute so wirksam bearbeitet haben, vom Team um SOS Balkanroute rund um Petar Rosandić, die ÖH und die Omas gegen Rechts.

https://www.falter.at/kino/1039915/buerglkopf-out-of-sight
https://kitzaktiv.at/naaba-alawaam/
https://www.facebook.com/SOSBalkanroute/?locale=de_DE
https://omasgegenrechts.at/

Zum Jahreswechsel

Es gibt das Bild der Geburtslotterie: Wo wir geboren werden, suchen wir uns nicht aus, und man kann es gut oder weniger gut treffen. Es gibt Orte, an denen ist für die meisten Menschen ein hartes Leben vorgezeichnet. Und es gibt Orte, die zumindest eine recht gute Chance für ein glückliches Leben bieten.

Oft sind es kurze Begegnungen, die uns daran erinnern, wie ungleich Chancen und Glück verteilt sind. Letzte Woche bin ich mit einem jungen Mann, Enis, vielleicht an die 30, ins Gespräch gekommen. Er arbeitet in Wien in der Gastronomie. 2015 ist er mit seinem Bruder aus Syrien vor Krieg und Verfolgung nach Österreich geflüchtet, hat Asyl erhalten, arbeitet seit Jahren als Koch und Kellner. Die Eltern der beiden Brüder, die als Jugendliche nach Europa geflüchtet sind, blieben in Syrien zurück. Das Assad-Regime erlaubte Auslandssyrern, die 2015 geflüchtet waren, die Wiedereinreise nur gegen Bezahlung von 10.000 Euro. So konnte Enis seine Eltern auch nicht besuchen, nachdem er einen Daueraufenthaltstitel in Österreich erlangt hatte. Jahrelang sparte er, um auf der Konsularabteilung der syrischen Botschaft ein Einreisevisum kaufen zu können, wie er mir erzählt. Im Sommer 2024 hatte Enis endlich 10.000 Euro beisammen, ging auf die Botschaft Syriens, bezahlte 10.000 Euro und erhielt ein Visum, um seine Eltern in Syrien besuchen zu können. Sein Bruder hatte es nicht geschafft 10.000 Euro anzusparen, also flog Enis allein nach Syrien. Drei Wochen verbrachte er bei seinen Eltern, besuchte Freunde und Angehörige. „Meine Eltern und ich haben nahezu drei Wochen durchgehend geweint. Um die verlorenen Jahre, über das Wiedersehen, über die bevorstehende Trennung.“ Enis ist zurück in Wien, er arbeitet wieder.

Das Assad-Regime ist gefallen, die Zukunft des Landes ungewiss. Immerhin, das 10.000-Euro-Visum ist fürs Erste abgeschafft.

Menschen und Medien hier in Europa sprechen und schreiben vielfach von illegaler Migration, von Integrationsproblemen, von hohen Sozialleistungen. Oft haben sie wenig Ahnung von den tatsächlichen Lebensverhältnissen geflüchteter und zugewanderter Menschen. Von den traumatisierenden Gewalttaten in Herkunftsländern und auf der Flucht, vom Drama getrennter Familien, wo Kinder jahrelang ihre Eltern oder Geschwister nicht sehen, von den Enttäuschungen und Demütigungen, die Geflüchtete wie Zugewanderte in Europa mitunter erleben.

Im Grunde ist es einfach: geflüchtete und zugewanderte Menschen sind nicht bessere Menschen. Aber eben auch nicht schlechtere. Sehr oft verletzte und verletzliche Menschen und sehr oft jene, die die unbeliebtesten Jobs übernehmen und so unseren Wohlstand mittragen. Und ganz sicher sind sie nicht schuld an den existenziellen Problemen unseres Kontinents – an Klimawandel, Kriegen, Wohlstandsgefälle. Erst wenn sich diese Erkenntnis durchsetzt, kann Europa seine nach 1945 aufgebaute Stärke wiederfinden – als Kontinent, in dem Solidarität und Menschenrechte möglichst Vielen ein glückliches Leben schenken.

Bild: Josef Schützenhöfer – „71“