Jugendgerichtsbarkeit: Vorbild Italien

2003 wurde der Wiener
Jugendgerichtshof von der ÖVP-FPÖ-Regierungskoalition geschlossen. Der
Wiener Jugendgerichtsbarkeit wurde damit eine Wunde
geschlagen, die bis heute nicht verheilt ist. Längst wäre es an der
Zeit, die Jugendgerichtsbarkeit nicht nur in Wien, sondern in Österreich
auf neue Beine zu stellen.

Wie moderne Jugendgerichtsbarkeit aussehen kann, zeigt die italienische Justiz. Etwa das Jugendgericht von Catania
(Tribunale per i Minorenni di Catania) in Sizilien: zehn BerufsrichterInnen
arbeiten hier, unterstützt von 36 ehrenamtlichen RichterInnen (giudici
onorari), die aus verschiedenen Berufen stammen und befristet als
RichterInnen arbeiten: KinderpsychiaterInnen, PsychologInnen,
PsychoanalytikerInnen, Politikwissen- schaftlerInnen. Das Gericht ist
nicht nur für Strafverfahren gegen
Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren zuständig, sondern auch…

Jugendgericht von Catania

 

… für Obsorge- und Besuchsrechtsverfahren sowie Adoptionen. Das
Jugendgericht entscheidet zumeist in Senaten von vier RichterInnen:
jeweils zwei BerufsrichterInnen und zwei ehrenamtliche RichterInnen. Die
durch die ehrenamtlichen RichterInnen vorhandene multidisziplinäre
Kompetenz erspart viefach die Einholung langwieriger schriftlicher
Gutachten. Die Verfahren am Jugendgericht gehen – im Gegensatz zur
Mehrzahl italienischer Gerichtsverfahren – zügig voran und die
Entscheidungsgrundlagen sind breit. Die RichterInnen nehmen sich viel
Zeit für AnwältInnen und Bevölkerung: das Gericht steht jeden Tag für
Fragen und Auskünfte offen. Zuständig ist das Jugendgericht nicht nur
für Strafverfahren gegen Jugendliche, sondern auch für Obsorge- und
Besuchsrechtsverfahren und für Adoptionen.

Das
Gericht kommuniziert intern und extern viel. An einem konkreten
Fallbeispiel: ein Vater soll seine Stieftochter missbraucht haben.
Während der Berufsrichter den Verdächtigen und die Mutter befragt,
sprechen ehrenamtliche Richterinnen, die im Hauptberuf
Kinderpsychiaterinnen sind, mit dem Kind. Anschließend beraten die
Berufs- und ehrenamtlichen RichterInnen gemeinsam Sofortmaßnahmen. Das
Gericht erlässt einen Beschluss, mit dem es die Obsorge für das Kind neu
regelt; das Jugendamt wird mit demselben Beschluss mit weiteren
Maßnahmen beauftragt und die Schulen der Kinder der Familie werden auf
die schwierige Situation der Kinder aufmerksam gemacht und um Berichte
ersucht. 
Das
italienische Recht gibt den JugendrichterInnen ein Bündel von Maßnahmen
in die Hand und ermöglicht so maßgeschneiderte Lösungen für den
Einzelfall. Das Strafrecht sieht nicht nur Geld- und Freiheitsstrafen
vor, sondern auch die Einweisung in Wohngemeinschaften und den
Hausarrest. Gerade die Wohngemeinschaften bewähren sich bei
Jugendlichen, sowohl als Ersatz zur Untersuchungshaft als auch zur
Gefängnisstrafe. Die Sozialisierung bzw Resozialisierung setzt im
laufenden Verfahren frühzeitig an, gleichzeitig besteht staatliche
Kontrolle. Der Gefängnisaufenthalt wird tatsächlich zum allerletzten
Mittel. Entgegen allen Klischees ist die Jugendgerichtsbarkeit in
Süditalien auf dem neuesten Stand. Moderne Gesetze, hoher Mitteleinsatz
und die außergewöhnliche Motivation der JustizmitarbeiterInnen
garantieren einen Standard der Jugendgerichtsbarkeit, der seinesgleichen
sucht.

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