Eine Polizei, die das Vertrauen verspielt

Gastkommentar für den FALTER Nr. 14/2015 

(der nachstehende Text ist im FALTER in leicht gekürzter Form erschienen)


Aufgeklärte
Bürger einer Großstadt erwarten sich eine ebensolche Polizei. Der Weg dorthin
ist noch weit.

Der Falter hat in den letzten Wochen eine
Reihe von Fällen publik gemacht, in denen Misshandlungen durch die Polizei im
Raum stehen. Bereits vor zwei Jahren beschrieb der Falter den Fall von Mitat
Ünal, der bei einer Verkehrskontrolle den Alkotest verweigerte, Beamte
beschimpfte und festgenommen wurde – Ünal gibt an, von den Polizeibeamten
misshandelt worden zu sein. Er erlitt acht Knochenbrüche, das
Landesverwaltungsgericht hat eine „überschießende Gewaltanwendung“ durch die
Polizei festgestellt. Die Parallele zu dem kürzlich vom Falter aufgedeckten
Tankstellen-Fall besteht darin, dass an sich harmlose Meinungsverschiedenheiten
von Bürgern mit der Polizei damit enden, dass die Bürger schwer verletzt sind.

Während die Justiz zuletzt Fehler bei Ermittlungen
zu Misshandlungsvorwürfen zugestanden und diese ausdrücklich bedauert hat,
sendet die Polizei andere Signale aus. Die Innenministerin hat letzte Woche im
Parlament den Beamten ausdrücklich gedankt, die an einer kritisierten Festnahme
auf der Mariahilfer Straße beteiligt waren (der Fall weist, wie Amnesty-Chef
Patzelt feststellte, eher in die Richtung eines unprofessionellen als eines
rechtswidrigen Polizeihandelns). Vertreter der Wiener Polizei haben in den
letzten Wochen alle Vorwürfe gegen die Polizei bestritten; Bürger, die
Misshandlungen behaupten, werden durch die wiederholte Verwendung der Begriffe
„Verdächtiger“, „Beschuldigter“ stigmatisiert und heruntergesetzt. Die von den
Bürgern angezeigten Polizeibeamten werden umgekehrt natürlich nicht als
„Verdächtige“ bezeichnet – juristisch sind sie es.

Die Linie der Wiener Polizeispitze  ist unverständlich. Die Polizeiarbeit im
Gesamten ist in den letzten Jahren qualitativ deutlich besser geworden. In
Bereichen wie dem Schutz vor Gewalt in der Familie leistet die Polizei gerade
in Wien einen Topjob, der sich im internationalen Vergleich sehen lassen kann.
In Wien finden täglich tausende Kontrollen, Erhebungen, Festnahmen durch die
Polizei statt. Es ist unvermeidlich, dass es dabei auch zu Fehlverhalten kommt.
Viel spricht dafür, dass die Zahl der tatsächlichen Misshandlungen durch die
Polizei zurückgeht. Dass sie bei Null angelangt ist, wäre dagegen ein
weltweites Novum. Das Argument der Polizei, es habe im letzten Jahr keine
Verurteilung wegen einer polizeilichen Misshandlung gegeben, macht daher schon das
Problem deutlich: ganz offenkundig funktioniert die Verfolgung polizeilichen
Fehlverhaltens nicht. Zwar wurde die frühere, vom Europarat gerügte Praxis abgestellt, auf
Misshandlungsvorwürfe mit Verleumdungsanzeigen gegen Bürger zu reagieren. In
den letzten Jahren ist aber zu beobachten, dass die Polizei auf Vorwürfe mit
Anzeigen wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt oder gar wegen versuchten
Widerstands reagiert.
Wien entwickelt sich rasch zu einer
offenen, gut verwalteten Großstadt mit aufgeklärten, selbstbewussten Bürgern.
Der Magistrat kommuniziert offen und unkompliziert. Es scheint, dass die Polizeispitze diese Entwicklung nicht
mitgegangen ist und das von der Innenministerin vor zwei Jahren ausgerufene
Ziel, die Polizei zur größten Menschenrechtsorganisation des Landes zu machen,
aufgegeben hat. Sowohl im Zusammenhang mit Demonstrationen als auch
jetzt bei den Stellungnahmen zu Misshandlungsvorwürfen zeigt die Polizei einen
obrigkeitsstaatlichen, überheblichen Zugang. Konflikte mit Bürgern werden
eskaliert statt in Ruhe besprochen, Vorwürfe werden mit Gegenanzeigen beantwortet.
Die Verantwortlichen vermitteln den Eindruck, Beschwerden von Bürgern nicht
ernst zu nehmen. Wenn sich die Polizeiführung undifferenziert hinter Polizisten
stellt, gegen die schwere Vorwürfe erhoben werden, dann demotiviert das die
große Mehrheit der korrekt arbeitenden Beamten und schreckt auch davor ab,
intern Missstände aufzuzeigen. Ein Polizeibeamter wird es sich zwei Mal
überlegen einen prügelnden Kollegen anzuzeigen, wenn die Führung öffentlich
ständig verbreitet, derlei gäbe es in Wien gar nicht. Die Situation ist
insofern mit der Justizwache vergleichbar, wo in den letzten Jahren auch vor
allem jene Beamten versetzt oder gemobbt wurden, die Missstände aufgezeigt
haben. Justizminister Brandstetter hat auf diese Unkultur bereits mit internen
Reformmaßnahmen, unter anderem der Auflösung der Vollzugsdirektion, reagiert;
die Polizei versucht Strukturdefizite wegzureden.

Das Vertrauen der Bürger in die Polizei ist
ein hoher gesellschaftlicher Wert; die Polizei lebt von diesem Vertrauen. Die
Wiener Polizei übersieht, wie sie dieses Kapital in den letzten Jahren verspielt.
Die tägliche Flut von Presseaussendungen, mit der die Wiener Polizei jeden
aufgeklärten Diebstahl eines Parfumtesters berichtet, wird das Vertrauen nicht
zurückbringen. Eine moderne Verwaltung schafft anders Vertrauen: in Berlin ist
es selbstverständlich, dass Polizeibeamte auf der Uniform ihre Dienstnummer
oder ihren Namen tragen. Für Vertrauen und Transparenz sorgen auch Videoaufzeichnungen von Einvernahmen (wie im
angloamerikanischen Raum) und Helm- oder Knopflochkameras bei Einsätzen und
Amtshandlungen. All diese Instrumente schützen gleichzeitig die Polizei vor
ungerechtfertigten Anschuldigungen. Und warum soll sich nicht auch die Polizei
Evaluierungen ihrer Arbeit durch Fragebögen, die die Bürger ausfüllen,
unterziehen? An Universitäten und Schulen ist dies Alltag. Eine rechtsstaatlich
saubere Kontrolle der Polizei erfordert schließlich eine unabhängige,
spezialisierte Einrichtung, die ohne falsche Loyalitäten mit der nötigen
Distanz Ermittlungen führt.


Dr.
Oliver Scheiber ist Richter. Er gibt hier ausschließlich seine persönliche
Ansicht wieder.

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