RichterInnen und Politik

„RichterInnen als
Privatpersonen – Politisch sein und politisch handeln“

Gastbeitrag für das flatterblatt 1/2015 – Zeitschrift der RichteramtsanwärterInnen im Sprengel des Oberlandesgerichts Wien

RichterInnen und
Politik, Justiz und Politik – in Österreich eine lange Geschichte von
Missverständnissen. In den 1960er und 1970er-Jahren war in Österreich für jede
Karriere im öffentlichen Dienst ein Parteibuch zwingend notwendig. Das war für
das öffentliche Leben insgesamt schädlich, im Zusammenhang mit der Justiz ist
es vielen besonders aufgestoßen. Die Richtervereinigung hat daher 1982 in ihren
„Salzburger Beschlüssen“ empfohlen, dass RichterInnen während des aktiven
Dienstes weder Parteimitgliedschaften haben noch parteipolitischen Betätigungen
nachgehen sollen. Diese Empfehlung hat sich zu einem heiligen Credo entwickelt
und  zu einer Entfremdung zwischen Justiz
und Politik geführt. Parteipolitik wurde mit Gesellschaftspolitik verwechselt;
die vermeintliche Neutralität war ein Trugschluss, da andere, intransparente
Mechanismen, Seilschaften, die Mitgliedschaft in Verbänden an ihre Stelle
traten. Die Inanspruchnahme parteipolitischer Interventionen für die Richterkarriere
bezeichnen die Salzburger Beschlüsse als sittenwidrig; an der Praxis hat dies
freilich bis heute nichts geändert. Hohe Justizfunktionen sind nach wie vor
politische Posten.
Rechtsprechung ist eine
hochpolitische Angelegenheit – daher sollten Richterinnen und Richter politisch
gebildet, politisch sensibel sein und ein politisches Bewusstsein haben. Egal
ob es darum geht, Instandhaltungskosten dem Mieter oder Vermieter aufzuerlegen,
eine Entscheidung in Wirtschaftsstrafsachen zu treffen oder die Adoption durch
Homosexuelle zuzulassen oder zu verbieten – die diesbezügliche
Rechtsprechungslinie ist immer eine gesellschaftspolitische Weichenstellung.
Der frühere Leiter der
WKStA, Walter Geyer, war eine Zeit lang Parlamentsabgeordneter für die Grünen.
Vor und nach seiner politischen Tätigkeit hat er die Arbeit als Staatsanwalt
erledigt, ohne je in den Geruch gekommen zu sein, seine politische Gesinnung
beeinflusse seine Arbeit. Grundsätzlich scheint mir daher in einem
transparenten Rahmen auch die zeitweise Übernahme eines politischen Amts denkbar,
wenn der Beruf davor und danach professionell, also neutral, ausgeübt
wird.    
Dennoch gibt es gute
Argumente dafür, dass sich RichterInnen besser einer Parteimitgliedschaft
enthalten. Für die Bevölkerung macht das die Neutralität und Unabhängigkeit der
Richterschaft glaubwürdiger. Umgekehrt ist es für alle verhängnisvoll, wenn
sich RichterInnen an gesellschaftspolitischen Diskussionen nicht beteiligen.
Denn so wie die Expertenmeinung von ÄrztInnen zum Gesundheitssystem für
Bevölkerung und Politik wichtig ist, so wertvoll sind auch die Berichte der
RichterInnenschaft über Erfahrungen in der Rechtsprechung. Um ein paar
Beispiele zu nennen: es ist wichtig, dass die RichterInnenschaft der
Öffentlichkeit berichtet, in welchem Ausmaß die Beschaffungskriminalität für
das Glücksspiel zunimmt. Es ist wichtig, dass RichterInnen aus ihrer Expertise
heraus Vorschläge zur Bekämpfung der Korruption unterbreiten – hätten sie das
früher gemacht, hätte Österreich nicht vor sieben, sondern vor bereits zwanzig
Jahren eine zentrale Staatsanwaltschaft zur Korruptionsbekämpfung erhalten.
Hätte die Richterschaft die Probleme des Maßnahmenvollzugs früher in die
politische Diskussion eingebracht (durch Gastkommentare in Tagesmedien oä),
wären Fehlentwicklungen vielleicht früher korrigiert worden.

Richter/Richterin zu
sein, heißt vor allem eine klare Haltung zu haben – das gilt auch für das
Privatleben. Die Justiz hat lange an Erstarrung und an zu wenig Diskussion zu
gelitten; ein zu viel an Diskussion und Lebhaftigkeit war nie ihr Problem.
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