Neue Kandidatin, alte Politik

Dass die frühere Präsidentin des Obersten Gerichtshofs
Irmgard Griss zur Bundespräsidentschaftswahl antritt, ist mutig und
respektabel. Sich einem Wahlkampf und der breiten Öffentlichkeit auszusetzen
birgt viele Risiken. Es tut der doch recht erstarrten Politlandschaft gut, wenn
sich ab und zu QuereinsteigerInnen finden, die zur Übernahme politischer Ämter
bereit sind. Und es wäre auch höchste Zeit für eine Frau an der Spitze der
Republik.
Die vielfach herbeigesehnte Erneuerung wird von Griss
freilich nicht kommen, das zeigen die ersten Botschaften der Kandidatin. Die
Skepsis gegenüber der parlamentarischen Untersuchung des Hypo-Ausschusses, die
zwischen den Zeilen durchklingende Distanzierung von der Politik ganz allgemein
– all das ist keine gute Grundlage für Innovation. Die Berufung auf Ehrlichkeit,
Wahrheit und Werte vereint alle Politeinsteiger der letzten Jahre. Konkrete
Konzepte zur Umsetzung der Werte bleiben meist aus: welche Steuerpolitik ist
damit verbunden, wie sollen einkommensschwache Menschen besser unterstützt
werden, wie der aufkommende Rechtsextremismus gestoppt werden?

Eine Erneuerung der Politik muss anders aussehen; sie
braucht zunächst ein leidenschaftliches Bekenntnis zum Politischen und zur
Politik. In die Politik einzusteigen und sich gleichzeitig von ihr zu
distanzieren ist unschlüssig.

Die Nähe zu den Bürgerinnen und Bürger, die die meisten
Politeinsteiger für sich in Anspruch nehmen, ist zuletzt immer ein Schlagwort
geblieben. Selten fordern PolitikerInnen die Stärkung der Volksvertretung. Nicht
Phrasen und Volksbegehren, sondern eine Stärkung des Parlaments dient den
Interessen der Bevölkerung. Ein mit qualifizierten Rechtsdiensten und
MitarbeiterInnen ausgestattetes Parlament kann die Gesetzesvorschläge der
Regierung genau prüfen und verhindern, dass Regierungsvorlagen mangels
Ressourcen durchgewunken werden.
Die Nähe zur Bevölkerung müsste wohl auch die
(räumliche) Rückkehr der Politik zu den Bürgerinnen und Bürgern bedeuten.
Wahlkampferöffnungen und Parteiveranstaltungen finden seit Jahren in Museen, Designcentern oder klassischen
Bobo-Locations statt. Die Entfremdung der Bevölkerung von den PolitikerInnen
ist nur die logische Folge. Selten suchen Politikerinnen und Politiker,
NeueinsteigerInnen insbesondere, die Menschen an den Arbeitsplätzen auf. Selten
gehen sie zu den Studierenden in die Universitäten, geschweige denn zu
verunsicherten Bewohnerinnen und Bewohnern in den Grenzorten, die sich schwer
tun, Flüchtlinge einzuschätzen. Selten nimmt sich jemand der Schwierigkeiten
der vielen Menschen, die in prekären Arbeitssituationen stecken, an. Das
betrifft ArbeiterInnen genau so wie kleine Angestellte, junge AkademikerInnen
und kleine Selbstständige. Zu Recht spüren die Wählerinnen und Wähler, dass
sich die Politik oft mehr um Banken und Banker sorgt als um die breiten
Bevölkerungskreise.

Bisher sprechen fast ausschließlich die Rechtsextremisten
und Rechtspopulisten in ihrer destruktiven Weise die Sorgen und Ängste der
Menschen an. Die politische Mitte und die Linke verabsäumen es, mit Leidenschaft
um Solidarität und Ausgleich in der Gesellschaft zu kämpfen. Deshalb wird auch
die aus sicherer Entfernung von der Bevölkerung verkündete Videobotschaft von
Irmgard Griss nichts ändern.
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