Finissage der Ausstellung Schützenhöfer vor Gericht am Bezirksgericht Meidling: Europa!

Am
30.5.2016 fand die Finissage zur Ausstellung Schützenhöfer vor Gericht am Bezirksgericht Meidling statt. Die
Ausstellung der Bilder des Malers Josef Schützenhöfer war seit Oktober 2015 am
Bezirksgericht Meidling geöffnet und durchgehend öffentlich zugänglich. Im
Rahmen der Ausstellung fanden mehrere Themenabende statt. Der Abschlussabend
war Gedanken über Europa gewidmet. Dazu waren der Publizist Ari Rath und die
deutsche Schriftstellerin Jagoda Marinić zu Gast.
Ari Rath
ist in Wien aufgewachsen und als 13-Jähriger im Jahr 1938 mit einem
Kindertransport nach Palästina geflüchtet. Dort war er eines der
Gründungsmitglieder des Kibbuz Hamadia, in dem er 16 Jahre lebte. Ari Rath
studierte Zeitgeschichte und Volkswirtschaft, er gehörte dann zum engen Kreis
um David Ben Gurion. Ari Rath war insgesamt 31 Jahre lang für die Jerusalem
Post tätig, u.a. in der Funktion des Chefredakteurs und Herausgebers. Er wirkte
maßgeblich an der Aussöhnung Israels mit Ägypten mit und setzte sich
jahrzehntelang für ein friedliches Zusammenleben mit der palästinensischen
Bevölkerungsgruppe ein. Seit seinem Ausscheiden aus der Zeitung, 1989, ist er
als freier Publizist tätig. Er wirkt seit 2013 bei der Burgtheaterproduktion Die letzten Zeugen mit. Ari Rath ist
Träger zahlreicher Auszeichnungen der Republik Österreich und Deutschlands.
Seine Lebenserinnerungen hat er im Buch Ari
heißt Löwe
festgehalten.
In seinem
Vortrag am Bezirksgericht Meidling spannte Ari Rath den Bogen von den
deutsch-französischen Kämpfen bei Verdun im Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart.
Er mahnte nachdrücklich vor einem Wiederaufleben autoritärer Bewegungen und
sieht das starke Abschneiden des FPÖ-Bundespräsidentschaftskandidaten als
Mahnung, sich verstärkt für Demokratie und Rechtsstaat einzusetzen. Es gelte,
rassistischen Strömungen mit aller Kraft entgegen zu treten.
Jagoda
Marinić hat an der Universität Heidelberg Germanistik, Politikwissenschaft und
Anglistik studiert. Sie ist als Schriftstellerin und Kolumnistin (taz) tätig.
Nach dem Erstling Eigentlich ein
Heiratsantrag
(2001) wurde ihr Erzählband Russische Bücher (2005) mit dem Grimmelshausen-Förderpreis
ausgezeichnet. Der Roman Die Namenlose
wurde vom „Spiegel“ zu den wichtigsten Neuerscheinungen des Jahres 2007
gezählt. 2013 erschien der Roman Restaurant
Dalmatia
, 2016 der Essayband Made in
Germany
, der sich u.a. mit den Themen Zuwanderung und Flucht befasst. Seit
2012 ist Jagoda Marinić als Leiterin des Interkulturellen Zentrums in
Heidelberg tätig. Das Zentrum ist beim Ausländeramt der Stadt Heidelberg
angesiedelt und versucht bewusst, eine Willkommenskultur für alle Zuwanderinnen
und Zuwanderer nach Heidelberg aufzubauen. Das Zentrum fungiert als Ort des
Dialogs, wird demnächst ein neues Gebäude erhalten und organisiert zahlreiche
Kulturveranstaltungen. Das Interkulturelle Zentrum Heidelberg hat als
Modellprojekt im Integrationsbereich in den letzten Monaten sehr viel
Aufmerksamkeit in ganz Deutschland gefunden.
In ihrem
Vortrag am Bezirksgericht Meidling befasste sich Jagoda Marinić mit
verschiedenen aktuellen Aspekten der europäischen Entwicklung, wobei sie
besonders auf die Situation in Österreich und den letzten Präsidentschaftswahlkampf
Bezug nahm. Sie warf die Frage auf, wie viele Städte Europas tatsächlich europäische Städte sind und wie viele
sich nur als Städte in Europa
definieren. Zur oft zitierten Wertedebatte stellte sie die Frage in den Raum, welche
Legitimität Europa anlässlich seiner Kolonialgeschichte bei diesen
Fragestellungen habe. Am Beispiel Frankreichs wies sie auf das Paradoxon hin,
dass man von nach Frankreich zugewanderten Algeriern Werte einfordere, die
Frankreich bei seiner Besetzung Algeriens laufend verletzt hatte.
Rund 40
Besucherinnen und Besucher waren zum Abschlussabend dieser Veranstaltungsreihe
gekommen und beteiligten sich an der Publikumsdiskussion mit den beiden
Vortragenden. Josef Schützenhöfer bot, wie schon bei den vorangehenden Abendveranstaltungen,
den Besucherinnen und Besuchern im Anschluss an die Vorträge eine Führung durch
seine Werkschau an.
Mit
diesem Abend endet auch die Ausstellung der Werke Josef Schützenhöfers am
Bezirksgericht Meidling. Die Erstellung eines Ausstellungskatalogs, der auch
die Begleitveranstaltungen dokumentieren soll, ist geplant.
Das
Bezirksgericht Meidling dankt den vielen Besucherinnen und Besuchern der
Ausstellung und der Veranstaltungen der letzten Monate!

alle Fotos: Thomas Wittmann

Walter Famler, Josef Schützenhöfer, Oliver Scheiber, Jagoda Marinic, Ari Rath, Mira Kadric-Scheiber

Jagoda Marinic und Ari Rath
_____________________ 
Begrüßungsworte zur Finisagge und zum Abend zum Thema Europa
(Oliver Scheiber)
Sehr geehrte Damen und Herren!
Als Vorsteher des Bezirksgerichts
Meidling begrüße ich Sie sehr herzlich zur heutigen Veranstaltung und darf
Ihnen für Ihr Interesse danken. Mit dem heutigen Abend endet ja eine
Veranstaltungsserie des BG Meidling, die vor acht Monaten aus Anlass des
Jubiläums der Zweiten Republik eingeleitet wurde: 70 Jahre Befreiung, 60 Jahre
Staatsvertrag, 20 jahre Österreich in der Europäischen Union.
Dieser Veranstaltungsserie lagen
drei Hauptgedanken zu Grunde:
  1. Die
    Justiz hat ihre Abschottung von der Gesellschaft beendet und sucht nun den
    Austausch mit der Zivilgesellschaft. So haben am Bezirksgericht Meidling vor
    einiger Zeit eine Theateraufführung des Reinhardt-Seminars und eine
    Veranstaltung mit dem Richter des deutschen Ausschwitz-Prozesses, Heinz
    Düx, stattgefunden. Die Öffnung der Justiz findet aber auch durch den
    regelmäßigen Austausch mit Schulen und ähnliche Projekte statt. Auch wenn
    vieles gelungen ist, so hat die Justiz noch einen weiten Weg vor sich: eine
    der Hauptherausforderungen der nächsten jahre wird es sein, zu einer
    einfacheren Sprache zu finden und in der schriftlichen wie mündlichen
    Kommunikation allgemein verständlich zu formulieren.
  1. Das
    Republiksjubiläum ist Gelegenheit, sich der Verpflichtungen zu erinnern,
    die sich für die Justiz aus der jüngeren Geschichte Österreichs ergeben.
    Aufgabe der Justiz ist nicht nur die Abwicklung der vielen einzelnen
    Rechtsstreitigkeiten, sondern die Bewahrung des Rechtsfriedens und der
    rechtsstaatlichen Prinzipien im Größeren. Die Justiz ist gefordert, sich
    mit ihrer Rolle in und nach dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen
    und ihren Beitrag zur Abwehr autoritärer Strömungen zu leisten. Die einzelnen
    Veranstaltungen dieser Themenserie knüpfen an die Befreiung Österreichs
    vom Nationalsozialismus an.
  1. Ein
    zentraler Veränderungsprozess der Gegenwart ist die Europäisierung des
    Rechts. Die Rechtsharmonisierung in Europa ist wohl global der spannendste
    juristische Prozess der Gegenwart. Dies ist Anlass, im Jahr 2015 und 2016
    über 20 Jahre Österreich in der Europäischen Union nachzudenken.
Die Gedanken der
Öffnung, des Lernens aus der Geschichte und der Internationalisierung laufen im
Werk des Malers Josef Schützenhöfer zusammen. Josef Schützenhöfer ist in der
Steiermark geboren, er hat viele Jahre in den USA gelebt und ist nun auch schon
wieder längere Zeit in der Steiermark wohnhaft. Er hat sich in seiner Kunst mit
vielen Erscheinungen seiner Wohnumgebung auseinandergesetzt. Unter anderem hat
er die Biographien von russischen und amerikanischen Befreiungssoldaten
recherchiert und Überlebende amerikanische Soldaten des 2. Weltkriegs vor
wenigen Jahren wieder nach Österreich eingeladen. Josef Schützenhöfers Ausstellung
war das starke Herz dieser Veranstaltungsserie am Bezirksgericht Meidling,
Josef Schützenhöfer hat die Begleitveranstaltungen mitkonzipiert und
mitgestaltet und ich bin ihm sehr sehr verbunden für seine Gedanken und seine
Leidenschaft bei der Umsetzung der gemeinsamen Ideen.
Die Umsetzung des
Projekts wäre ohne den Leiter des Literaturquartiers Alte Schmiede, Walter
Famler, nicht möglich gewesen. Nur Dank seiner Unterstützung war die
Organisation mehrerer Abende zu den Themen Befreiung, Richterkarrieren, Polizei
und Europa möglich.
Mein Dank gilt aber
auch den weiteren UnterstützerInnen dieses Projekts: der Forschungsstelle
Nachkriegsjustiz, dem Nationalfonds der Republik Österreich, dem Zukunftsfonds
der Republik Österreich und dem Mauthausen Komitee Österreich. Besonders
bedanken möchte ich mich beim Bundesministerium für Justiz für die finanzielle
und organisatorische Unterstützung und persönlich bei Herrn Justizminister
Brandstetter, der die meisten der Veranstaltungen selbst besucht und in
vielfältiger Weise unterstützt hat.
Mein Dank gilt
natürlich auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Gerichts, die die
Organisation unterstützt haben.
Beim Konzipieren dieser
Veranstaltungsserie habe ich, wie das ja immer so ist, wenn man die anderen und
sich selbst nicht langweilen will, einen kritischen Zugang zu verschiedenen
Themen im Auge gehabt. Gleichzeitig scheint es mir in den letzten Jahren zunehmend
wichtig, sich auch in solchen öffentlichen Foren die Stärken und Chancen
unseres Gesellschafts- und Staatsmodells in Erinnerung zu rufen. Es ist in Mode
gekommen, europäische und nationale Institutionen schlecht zu reden, nicht
zuletzt wohl mit dem Hintergedanken, sie so dauerhaft beschädigen, zu schwächen
und ihre Abschaffung zur Diskussion stellen zu können. Die Zukunft liegt im
umgekehrten Vorgehen: zentrale Pfeiler von Demokratie und Rechtsstaat müssen
gestärkt werden, etwa durch eine umfassende Transparenz in Staat und Verwaltung,
oder, um ein weiteres Beispiel zu nennen, durch eine Aufwertung der nationalen Parlamente
durch mehr Ressourcen und mehr Expertinnen u Experten, sodass die Gesetze im
Parlament nicht nur beschlossen, sondern auch tatsächlich ausgearbeitet oder
zumindest kompetent diskutiert werden können. Im Kleinen versuchen wir etwa
hier an diesem Gericht unsere Hilfestellungen für Bürgerinnen und Bürger zu
verbessern: letztes Jahr konnten wir im Eingangsbereich ein Servicecenter
eröffnen, in dem auch eine türkischsprachige Mitarbeiterin tätig ist.
Im Sinne dieser Gedanken
 ist der Ausgang der jüngsten
Bundespräsidentschaftswahlen eine Ermunterung. Auch unter ungünstigen
Rahmenbedingungen hat sich ein aufgeklärtes Weltbild gegen ein
rechtspopulistisches Modell durchgesetzt, das vor allem vom Aufhetzen
verschiedener Bevölkerungsgruppen gegeneinander und vom Schlechtreden demokratischer
Einrichtungen und der europäischen Idee lebt. Es ist meines Erachtens die
Verpflichtung aller staatlichen Stellen, für den offenen, antidiskrimierenden
Geist, den die Verfassung formuliert, Hand in Hand mit zivilgesellschaftlichen
Initiativen einzutreten und eine noch viel bürger- und menschenfreundlichere
Verwaltung aufzubauen.

Vom Beginn dieser
Veranstaltungsreihe an war klar, dass der letzte Abend dem Thema Europa
gewidmet sein soll. Nun hat sich in diesem letzten Jahr so viel getan, und das
Erscheinungsbild Europas ist widersprüchlicher denn je. Jagoda Marinic hat vor
kurzem den Satz geschrieben: „Es ist das traurigste Europa, seit es Europa
gibt.“ Das mag stimmen; und dennoch bleibt die europäische Idee nach meinem
Dafürhalten die einzige Chance zu Frieden und einem möglichst guten Leben für
möglichst viele Menschen auf diesem Kontinent.
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