Lösungen statt Hetze und Polarisierung

Kommentar der Anderen für den Standard – Printversion vom 18.5.2016

Wenn Funktionsträger nicht mehr miteinander reden und den Respekt voreinander verlieren, dann brechen politisches System und sozialer Friede in kürzester Zeit zusammen. Plädoyer für einen konstruktiven Umgang miteinander

Am Sonntag
wählt Österreich das Staatsoberhaupt. Die bisherige Apathie der traditionellen
politischen Kräfte lässt es möglich erscheinen, dass ein Nationalist und Gegner
des europäischen Einigungsprojekts in die Hofburg einzieht. Norbert Hofer hat
im Wahlkampf kein Hehl aus seinen Plänen gemacht: er operiert mit Drohungen
gegen die Regierung, er lehnt Abtreibungen radikal ab, stellt den Ausgleich mit
Italien über Südtirol in Frage und setzt auf Abschottung und Isolierung. Er
trägt bei feierlichen Anlässen die Kornblume, das Erkennungszeichen der
illegalen Nationalsozialisten in den 1930er-Jahren. Kurz gesagt: Hofer sucht
die Konfrontation, stellt das politische System in Frage und schlägt den
Wählerinnen und Wählern einen Weg à la Ungarn und Polen vor.
Stillstand,
Verkrustung, personelle Verengung und Versteinerung im Land führen zu einer
Ohnmacht, die Norbert Hofer das Stimmensammeln erleichtert. Die Zukunftsängste
vieler Menschen sind nicht nur nachvollziehbar, sie sind berechtigt. Der von
Hofer in Aussicht gestellte Sturz des politischen Systems ist freilich eine gefährliche
Rezeptur. An der Konfliktscheu in unserem Land, der Fähigkeit, viel zuzudecken
und sich immer durchzuschwindeln, kann man schon verzweifeln. Aber wollen wir
darüber wirklich vergessen, welchen Wert der gewaltfreie Austausch von
Positionen hat?
Die
Tradition, Konflikte im Gespräch auszutragen, Foren wie die Sozialpartnerschaft
einzurichten, hat 70 Jahre Frieden und lange Zeit einen wachsenden Wohlstand
gebracht. Die Öffnung zu Europa und starke Zuwanderung haben Wien von einer
verschlafenen Stadt der 1970er-Jahre zu einem der spannendsten Ballungsräume
Europas gemacht. Das ist durchaus eine Erfolgsgeschichte: und ihr zentrales
Element ist der Respekt zwischen Menschen unterschiedlicher Haltung und ein
Grundvertrauen zwischen den Inhabern öffentlicher Ämter. Die Demokratie besteht
nur, wenn die maßgeblichen politischen Kräfte laufend aufeinander zu- und
eingehen; ohne diesen mühsamen Prozess gibt es keinen gesellschaftlichen
Frieden. Deshalb sind die rechtspopulistischen Kräfte mit ihren einfachen
Botschaften und der Ausgrenzung von Minderheiten und Andersdenkenden im demokratischen
System nicht regierungsfähig. Die Politik der europäischen Rechten, für die
Hofer, Le Pen, Wilders oder Petry stehen, führt, wenn ihre Protagonisten an die
Macht kommen, zwangsläufig zu Nationalismus, inneren Unruhen und Gewalt. Sie
hat nur Verlierer.
Letzte
Woche berichteten polnische Juristen in Wien über das vergiftete Klima in ihrem
Land: die Regierung anerkennt Gerichtsentscheidungen nicht, das
Verfassungsgericht stichelt gegen die Regierung. Der fehlende Respekt setzt
eine Eskalationsschraube in Gang, vor der die beste Verfassung keinen Schutz
gewährt. Diskussionen, wie sie in den letzten Wochen über die Kompetenzen des
Bundespräsidenten geführt wurden, helfen in Zeiten eines vergifteten Klimas
nichts mehr. Wenn Funktionsträger einander nicht respektieren und das Gespräch
verlieren, dann brechen politisches System und gesellschaftlicher Friede in
kürzester Zeit zusammen und der Weg zu gewalttätigen Auseinandersetzungen ist
vorgezeichnet – im Inneren wie im Äußeren. Österreichs Politik hat damit
Erfahrungen im Kleinen: Jörg Haiders Ignorieren der Ortstafel-Erkenntnisse des
Verfassungsgerichtshofes war genau so gefährlich wie jüngste Sticheleien
einzelner Politiker gegen Italien. Das eine wurde durch die konsensuale
Ortstafellösung eingefangen, gegenüber Italien wurde in den letzten Tagen
heftig zurückgerudert.
Österreich
hat im Grund viel Grund zur Zuversicht: unsere Probleme sind lösbar, das Land
hat sich eine solide Basis aufgebaut – die in den letzten 40 Jahren
zugewanderten Menschen haben daran maßgeblichen Anteil. Das Land verfügt über
mehr Initiativen von unten und eine stärkere Zivilgesellschaft denn je; sie
bilden den Schlüssel zu einer Aufbruchsstimmung, zu der nur ein kleiner Schritt
fehlt. Lässt sich wirklich kein Konsens dazu finden, die Wirtschaft durch
öffentliche Investitionen zu beleben, es Unternehmern und neuen Selbstständigen
leichter zu machen und den Konsum durch Lohnerhöhungen anzukurbeln? Integration
durch ein großzügiges Staatsbürgerschaftsrecht zu erleichtern? Wenn wir die
vielen Menschen im Prekariat da herausholen, Engagement auf allen Feldern
fördern und belohnen, den Sozialstaat als Rückgrat von Wohlstand und Frieden stärken, die großen Konzerne  angemessen besteuern, wäre das nicht eine
Weiterführung des Erfolgsrezepts der unmittelbaren Nachkriegszeit
? All
diese Schritte können heute parallel auf nationaler und europäischer Ebene
versucht werden; es ist längst Zeit, dass sich die vielen Initiativen in
Italien, Deutschland, Österreich und anderen Ländern zusammenschließen und sich
als gesamteuropäische Parteien und Bewegungen den Glauben an eine gute Zukunft
für alle zurückerobern. Allerdings: Wir haben dafür wenig Zeit.
Unabhängig
vom aktuellen Wahlgang wird der Weg aus der vielfach resignativen Stimmung nicht
mittels Polarisierung und Hetze gelingen. Wenn wir es schaffen, Dinge klar zu benennen,
Ängste und Befürchtungen der anderen ernst zu nehmen und gleichzeitig ein
respektvolles, ruhiges Diskussionsklima herzustellen, in dem man sich wieder
mit dem politischen Gegner an einen Tisch setzt, dann werden auch Lösungen
gelingen. Nicht ohne klare Grenzen: für autoritäre, rassistische und
verhetzende Ideen kann es keinen Platz geben; das gebieten Verfassung und
Erfahrungen aus der Geschichte. Aktuell hindert uns aber eine allseitige
permanente Aufregung an jedem Dialog.

Oliver Scheiber ist Richter in Wien, dieser Text spiegelt seine persönliche Meinung wider.

Beiträge per Email abonnieren