Die Korruptionsbehörden müssen lästig sein

Kommentar für den falter 50/20 vom 11.12.2020

In Wirtschaftsdelikten steht eine aufmunitionierte Verteidigung einer unzureichend dotierten Staatsanwaltschaft gegenüber. Nicht einmal Wlan im Gerichtssaal ist selbstverständlich. Dabei sichern Behörden wie die WStA die Demokratie im Land ab.

OLIVER SCHEIBER
MEINUNG, FALTER 50/20 VOM 11.12.2020

Die Staatsanwälte im BUWOG-Prozess Alexander Marchart und Gerald Denk | Foto: APA/Roland Schlager

Die Verurteilung in einem Strafverfahren wegen Wirtschaftskriminalität oder politischer Korruption hat in Österreich meist zufolge, dass die frisch verurteilten Personen in Massenmedien ein Forum finden. Dort legen sie in oft emotionsgeladenen Reportagen oder denkbar unkritisch angelegten Interviews ihre Sicht dar. Keine andere Tätergruppe erhält diesen Raum – tausende Menschen werden jedes Jahr in Österreich verurteilt, aber welcher nicht breit bekannte Manager oder Geschäftsführer, geschweige denn welcher Einbrecher oder Gewalttäter kann schon unhinterfragt seine Zweifel an Verfahren, Rechtssystem und Ermittlungen einem Massenpublikum ausbreiten. Dazu kommt, dass

bei den Gesprächen mit Wirtschafts- und Korruptionstätern – wieder im Gegensatz zu anderen Tätergruppen – die Sicht der Opfer ganz ausgeblendet wird. Kaum einmal finden die Schicksale der tausenden Sparer, die ihre Gelder für die Kinder sicher anlegen wollten und jetzt auf einem fremden Konto in der Karibik wissen, den Weg in die Zeitung oder in eine Frage an einen verdächtigen prominenten Investor.

Ermittlungen wegen Wirtschaftskriminalität, Korruption und politischer Kriminalität sind kompliziert. Bei einem Einbruch oder einer Körperverletzung ist die Straftat in der Regel sofort erkennbar, der Geschädigte nimmt das Delikt sofort wahr, die Beweise können schnell gesichert werden. Bei einem Anlagebetrug oder einem manipulierten Ausschreibungsverfahren bemerken die Geschädigten – also Steuerzahler oder Mitbewerber der Ausschreibung – gar nicht, dass zu ihren Lasten Gelder verschoben werden. Dazu kommen Geldflüsse über viele Konten durch viele Länder. Das macht die Aufklärung extrem komplex.

Im Folgenden ein paar grundsätzliche Anmerkungen zu Wirtschafts- und Korruptionsstrafsachen, bewusst ohne jede Bezugnahme auf das offene BUWOG-Verfahren, das nicht rechtskräftig erledigt ist:

In der Berichterstattung zu Wirtschafts- und Korruptionssachen steht oft ein einziger Richter/eine einzige Richterin im Fokus, der oder die die Hauptverhandlung leitet. Dabei geht dann mitunter unter, dass ein vierköpfiger Senat entscheidet, dem auch zwei Laienrichter angehören, also per Zufall aus der Bevölkerung eingeteilte Bürger, die im jeweiligen Verfahren dem Richtersenat angehören. Die Entscheidungsfindung erfolgt also nicht durch eine Person, sondern vergleichsweise breit unter Einbindung von Vertretern der Bevölkerung.

Bei der Beurteilung der Strafe wird meist übersehen, dass in Österreichs Gefängnissen laufend rund 9.000 Menschen sitzen, die sich oft – gemessen an der Schadenshöhe – viel weniger zuschulden kommen lassen haben als Wirtschaftskriminelle. Mitgefühl für entzogene Freiheit ist angebracht, es sollte dann aber auch den vielen anderen Gefängnisinsassen zuteil werden.

Prominente Verdächtige aus Wirtschaft und Politik zeichnen oft das Bild, mit ihnen werde besonders hart umgegangen. Das Gegenteil ist der Fall. Rund 2.000 Menschen sitzen in Österreich im Schnitt der letzten Jahre in Untersuchungshaft – kaum eine Untersuchungshaft wird von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft verhängt, die die schwerwiegendsten Wirtschafts- und politischen Delikte verfolgt. Auch Verdächtige der schwersten Wirtschafts- und Korruptionsdelikte haben gegenüber anderen Tätergruppen den Vorteil, kaum einmal in Untersuchungshaft zu kommen. Eine Tatsache, die einer Analyse bedürfte – könnte doch eine gleichmäßigere Anwendung der Untersuchungshaft auch zu schnelleren Verfahren in komplexen Causen führen.

Verfahren in Wirtschafts- und Korruptionsstrafsachen zeichnen sich durch ein Ungleichgewicht der Ressourcen aus. Verdächtige aus der Wirtschaft haben oft eine Heerschar von Anwälten und große firmeninterne Rechtsabteilungen zur Seite, während auf Seiten der Staatsanwaltschaft zwischen ein und (selten) fünf Personen tätig sind. Österreich weist eine wesentlich geringere Zahl von Staatsanwälten auf als der EU-Schnitt, die lange Verfahrensdauer geht wesentlich auf die Unterdotierung und zu kleine Teams zurück.

Verdächtige in Wirtschafts- und Korruptionssachen begleiten ihre Verteidigung durch eine oft aggressive Öffentlichkeitsarbeit (so genannte Litigation PR). StaatsanwältInnen und RichterInnen werden zum Teil auch persönlich massiv attackiert und erhalten bislang wenig Schutz durch ihre Institutionen. Aus ihrer Rolle heraus agiert die Justiz in der Öffentlichkeitsarbeit zurückhaltend.

Österreich hat vor 11 Jahren die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) eingerichtet. Die Schaffung einer solchen Spezialbehörde hatte der Europarat von Österreich lange eingefordert, weil Sonderbehörden zu den Standards der Korruptionsbekämpfung gehören. Die WKStA ist das Herzstück der Bekämpfung von Korruptions- und Wirtschaftskriminalität, ihre Stellung demokratiepolitisch genau so wichtig wie jene von Rechnungshof und Volksanwaltschaft. Der Missbrauch von Regierungsmacht etwa gehört zu den schwersten Störungen eines Gesellschaftssystems und bedarf einer effizienten Verfolgung.

Die oft lange Verfahrensdauer in Wirtschafts- und Korruptionssachen ist nicht hinnehmbar und den Verdächtigen nicht zumutbar. Zu einer Beschleunigung kann es nur kommen, wenn die Staatsanwaltschaften mehr Ressourcen erhalten und davon befreit werden, laufend nach oben zu berichten. Auch Gerichte benötigen für die Abwicklung von Großverfahren mehr Ressourcen und Unterstützung – das unzuverlässige WLAN, ohnedies nur in wenigen Gerichten verfügbar, ist ein Detail, das die Problematik zeigt.

Dass Wirtschafts- und Korruptionsbehörden Regierenden und Mächtigen lästig sind, liegt in der Natur der Sache. Ihr gutes Funktionieren sichert das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik und damit in die Demokratie. Dass die Strafverfolgung in Österreich grundsätzlich funktioniert, zeigt sich daran, dass Politiker aller Parteien im Fokus standen oder stehen – von Karl Blecha und Hannes Androsch (SPÖ) über Erst Strasser (ÖVP) bis zu Kärntner FPÖ-Politikern und zuletzt etwa dem Salzburger SP-Exbürgermeister Heinz Schaden.

Das aktuelle Regierungsprogramm nimmt sich mit gutem Grund eine Stärkung der Staatsanwaltschaften und der WKStA vor. Die besten Mittel dazu wären die völlige Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften mit dem Entfall des Berichtswesens, eine angemessene Ressourcenaufstockung, vor allem auch in den Bereichen Technik/EDV und eine Spezialeinheit zur Abschöpfung kriminellen Vermögens nach ausländischen Vorbildern.

Dr. Oliver Scheiber ist langjähriger Richter und Publizist. Zuletzt erschien von ihm „Mut zum Recht“ (Falter Verlag, 2. Aufl., 2020).

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