Alle Beiträge von Oliver Scheiber

Historischer Schritt: Erstmals blinde Richter in Österreich

Für die österreichische Gerichtsbarkeit ist es ein historischer Schritt: am 1.1.2014 werden Alexander Niederwimmer und Gerhard Höllerer die ersten blinden Menschen sein, die in Österreich Recht sprechen. Der Präsident des neuen Bundesverwaltungsgerichts Harald Perl präsentierte die beiden frisch ernannten Richter heute der Öffentlichkeit. Sie haben, so wie 78 weitere Juristinnen und Juristen, das Bewerbungsverfahren um die Richterstellen des neuen Gerichts erfolgreich durchlaufen.
Das für Straf- und Zivilgerichte zuständige Justizministerium vertritt eine ablehnende Haltung zum Einsatz blinder und sehbehinderter Menschen im Richterdienst. Erst vor wenigen Wochen haben die Vereinigungen der Rechtsberufe deshalb eine Enquete zum Thema veranstaltet und eine Öffnung des Berufszugangs gefordert. In Deutschland und Frankreich etwa sind blinde Menschen bei Gericht und Staatsanwaltschaft schon lange eine Selbstverständlichkeit.
Das neue Bundesverwaltungsgericht, das organisatorisch dem Bundeskanzleramt untersteht, zeigte von Beginn an Offenheit. Präsident Harald Perl ist es zu verdanken, dass binnen kürzester Zeit alte Bedenken überwunden und auch die Frage notwendiger technischer Unterstützung positiv erledigt werden konnte. Auf den angedachten Pilotversuch wird verzichtet, man startet mit einer sauberen Lösung: dem gleichberechtigten Zugang blinder Menschen zum Richteramt.
Alexander Niederwimmer, Asylgerichtshofpräsident Harald Perl und Gerhard Höllerer bei einer Pressekonferenz
Präsident Harald Perl (m.) mit den beiden Verwaltungsrichtern Alexander Niederwimmer (l.) und Gerhard Höllerer (r.) – Foto: Herbert Pfarrhofer (APA)




Alexander Niederwimmer und Gerhard Höllerer im Interview:

Gerhard Höllerer im STANDARD-Interview (Printausgabe vom 19.8.2013)

Vom ungeliebten Kind zum Retter in der Not: Die Wiener Jugendgerichtshilfe


Text für die Tageszeitung DIE PRESSE – Printausgabe 24. Juli 2013

Vom ungeliebten Kind zum Retter in der Not: Die Wiener Jugendgerichtshilfe


OLIVER SCHEIBER (Die Presse)

Kein österreichisches Jugendamt kommt an den Standard der Expertise heran, die die Sozialarbeiter und Psychologen der Jugendgerichtshilfe geboten haben.

Sie war totgeglaubt, doch in der Diskussion um den Strafvollzug fiel zuletzt immer häufiger ihr Name, und das mit gutem Grund: die Wiener Jugendgerichtshilfe. Diese seit Jahrzehnten bewährte Einrichtung war einst Teil des Kompetenzzentrums Jugendgerichtshof. Psychologen und Sozialarbeiter unterstützten die Richter und Staatsanwälte in allen Strafverfahren gegen Wiener Jugendliche.
Die Jugendgerichtshilfe sprach mit den Jugendlichen und ihren Angehörigen, sie erhob das familiäre, schulische und berufliche Umfeld jugendlicher Verdächtiger und erstattete für den Gerichtsakt fachliche Stellungnahmen. Die Jugendgerichtshilfe beschrieb darin das Entwicklungspotenzial des Jugendlichen und unterbreitete konkrete Vorschläge zur Sanktion, zum Beispiel mit einem Täter-Opfer-Ausgleich, mit gemeinnützigen Arbeiten, Probezeiten oder auch mit Freiheitsstrafen vorzugehen.

Breitere Entscheidungsbasis

Für Staatsanwaltschaft und Gericht waren und sind die Berichte der Jugendgerichtshilfe von großer Bedeutung: Sie verbreitern die Basis der gerichtlichen Entscheidung. Je mehr Richter und Staatsanwälte über einen straffälligen Jugendlichen wissen, umso treffsicherer fallen ihre Entscheidungen aus. Von großer Bedeutung sind die Gutachten der Jugendgerichtshilfe auch in bestimmten Pflegschaftsverfahren, etwa bei Kindesabnahmen.
Der Niedergang der Jugendgerichtshilfe begann mit der Auflösung des Wiener Jugendgerichtshofs durch Justizminister Böhmdorfer. Die Einrichtung wurde in den Folgejahren regelrecht an den Rand gedrängt.
Justizministerin Maria Berger dachte an eine Kehrtwende: Sie plante, die Wiener Jugendgerichtshilfe zu einer großen, bundesweit tätigen Gerichtshilfe auszubauen, die sowohl die Strafrichter als auch die Familienrichter unterstützen sollte. Dazu kam es nicht. Seit 1.Februar 2013 unterstützt immerhin eine eigene Familiengerichtshilfe die Familiengerichte. Für die Wiener Jugendgerichtshilfe arbeitete zuletzt aber nur mehr eine Handvoll hoch qualifizierter Sozialarbeiter und Psychologen – und lieferte mit lachhaft wenig Ressourcen die gewohnt exzellente Qualität. Kein österreichisches Jugendamt kommt an diesen Standard der Expertise heran.

Weckruf für die Politik

Die aktuelle Diskussion um den Strafvollzug sollte ein Weckruf an die Politik sein. Wer Jugendgerichtsbarkeit und Jugendstrafvollzug ernsthaft verbessern möchte ist gut beraten, die bestehende und bewährte Einrichtung der Wiener Jugendgerichtshilfe zu nutzen und angemessen auszustatten – dazu bräuchte es bloß ein gutes Dutzend Planstellen für den Wiener Raum und noch einmal so viele für das restliche Bundesgebiet.
Die Ausdehnung der Gerichtshilfe auch auf die Strafverfahren gegen Erwachsene würde einen Qualitätsschub für die Strafgerichtsbarkeit insgesamt bedeuten. In einem Land mit hoher Häftlingsquote im Verhältnis zur Kriminalitätsrate wäre hier jeder Euro weit besser investiert als in die angekündigten neuen Gefängnisbauten.

ZUR PERSON
Dr. Oliver Scheiber ist Vorsteher des Bezirksgerichts Wien-Meidling. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder. Scheiber war im Büro der früheren Justizministerin Maria Berger tätig und ist Mitglied einer Gruppe namhafter Juristen, die als Allianz gegen die Gleichgültigkeit Reformen im Strafvollzug einfordern. [Fabry]
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 24.07.2013)

Allianz gegen die Gleichgültigkeit – Vorschläge zum Strafvollzug

Eine Gruppe unabhängiger ExpertInnen – Dr. Udo Jesionek, Präsident des Weißen Rings, ehem. Präsident des     Jugendgerichtshofs, Univ.-Prof. Dr. Ernst Berger, Kinderpsychiater, Universität Wien, Dr. Oliver Scheiber, Jurist, Wien, Dr.in Alexia Stuefer, Rechtsanwältin, Mag. Klaus Schwertner, Geschäftsführer der Caritas Wien – präsentierte am 1. Juli 2013 in Wien Vorschläge zur Reform des Strafvollzugs und der Jugendgerichtsbarkeit in Österreich. Anlass waren in den letzten Wochen bekannt gewordene Gewaltexzesse in österreichischen Justizanstalten.

Foto: GRUENE (www.gruene.at)

Bericht Christine Kainz:
http://christine2.meinblog.at/?blogId=95894

Medienberichte:

Initiative für
Verbesserungen im Jugendstrafrecht und für Strafvollzugsreformen

Die InitiatorInnen fordern folgende Reformen im
Strafvollzug der Jugendlichen

und Erwachsenen:


1.) Wiedererrichtung eines Jugendgerichtshofs in
Wien und Schaffung von Jugendkompetenzzentren in den Ballungsräumen


Jugendgerichtsbarkeit erfordert besondere
Aufmerksamkeit und
Spezialisierung. Der Wiener Jugendgerichtshof,
der bis 2003 bestand, galt
weltweit als Vorzeigemodell. Die Statdt Wien
hatte Sozialarbeiter im
Nachbargebäude des Jugendgerichtshofs
konzentriert, die Kommunikationswege

waren kurz und vieles konnte kurzfristig
zwischen den involvierten

Berufsgruppen – RichterInnen, StaatsanwältInnen,
SozialarbeiterInnen,
BewährungshelferInnen, PsychologInnen,
PsychiaterInnen – besprochen werden.
Als eigenständige Justizeinheit konnte der
Jugendgerichtshof selbständig
Schwerpunkte entsprechend seinen Bedürfnissen
setzen. Der internationale
Vergleich zeigt, dass der Trend in Richtung von
Spezialgerichtshöfen für
Jugend- und Familienrecht geht. Die Schaffung
von Jugendkompetenzzentren in
den großen Ballungsräumen samt Schaffung eines,
neuen modernen
Jugendgerichts für Wien ermöglicht große
Qualitätssteigerungen.
2003 haben sich deutlich über 80% der Wiener
RichterInnen und Richter gegen
die Schließung des Jugendgerichtshofs
ausgesprochen – die zuletzt bekannt
gewordenen Missstände sind letztlich eine Folge
der geringeren
Aufmerksamkeit, die jugendlichen Straftätern
zuteil wird.



2.) Umsetzung von
Alternativen zur Untersuchungshaft bei Jugendlichen


Länder wie Schweden, die Schweiz oder Italien
leben seit Jahren sehr gut
mit alternativen Modellen zur Untersuchungshaft.
Die Unterbringung in


Wohngemeinschaften, Krisenstellen und bei
Pflegeeltern hat sich dort

bewährt. Sie vermeidet es, dass jugendliche
Verdächtige traum
atisiert und

durch das Zusammentreffen mit tatsächlich
schwerer kriminellen jugendlichen

und erwachsenen Häftlingen endgültig abrutschen.
Österreich hat eine

geringe Kriminalität und wenige jugendliche
Häftlinge – Alternativen zur

Untersuchungshaft könnten also sehr schnell
umgesetzt werden und der

finanzielle Aufwand dafür ist sehr überschaubar.


3.) Verstärkter Einsatz von PädagogInnen,
TherapeutInnen, PsychologInnen und SozialarbeiterInnen in den Justizanstalten.
Ausbau der Jugendgerichtshilfe.

Die Zahl der im Strafvollzug eingesetzten
PädagogInnen, TherpautInnen,

PsycholgInnen und SozialarbeiterInnen nimmt
laufend ab. Auf eine Psycholgin

oder Sozialarbeiterinnen kommt häufig eine
dreistellige Zahl von

Häftlingen. Der Strafvollzug wird dadurch zur
reinen Verwahrung ohne

sinnvolle Resozialisierungsmaßnahmen. Gerade bei
Jugendlichen wirkt sich

dies verheerend aus. Derzeit sind praktisch
ausschließlich

JustizwachebeamtInnen im Jugendstrafvollzug
eingesetzt – möglichst rasch

müssten hier in großem Ausmaß
SozialarbeiterInnen, PädagogInnen und

PsychologInnen eingesetzt werden.

Die Zahl der im Strafvollzug eingesetzten
PädagogInnen, TherpautInnen,

PsycholgInnen und SozialarbeiterInnen nimmt
laufend ab. Auf eine Psycholgin

oder Sozialarbeiterinnen kommt häufig eine
dreistellige Zahl von

Häftlingen. Der Strafvollzug wird dadurch zur
reinen Verwahrung ohne

sinnvolle Resozialisierungsmaßnahmen. Gerade bei
Jugendlichen wirkt sich

dies verheerend aus. Derzeit sind praktisch
ausschließlich

JustizwachebeamtInnen im Jugendstrafvollzug
eingesetzt – möglichst rasch

müssten hier in großem Ausmaß
SozialarbeiterInnen, PädagogInnen und

PsychologInnen eingesetzt werden.
Die Wiener
Jugendgerichtshilfe, die exzellente Arbeit leistet, muss personell und sachlich
umgehend aufgestockt werden.



4.) Ausreichende
Personalausstattung zur Verringerung der Einschlusszeiten und Ausbau der
Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten; Verbesserung der
Raumverhältnisse.

Haft an sich ist die schwerste Strafe, die unser
Rechtsordnung vorsieht. Sie darf nicht durch weitere Bewegungseinschränkungen
in der Justizanstalt verschärft werden. Überfüllte Hafträu
me, prekäre
Platzverhältnisse und lange Einschlusszeiten verursachen Frustration,
Aggression und Ohnmacht und sind für Übergriffe mitursächlich. Es müssen
daher
umgehend gesetzliche Regelungen der maximalen Einschlusszeiten geschaffen und
effizient überwacht werden. Dasselbe gilt für notwendige
Beschäftigungsmöglichkeiten. Es ist umgehend für genügend Hafträume zu sorgen,
um einen menschenwürdigen Vollzug sicherzustellen. Internationale Grundsätze
schreiben die Unterbringung in Einzelhafträumen vor.

5.) freiwillige gemeinnützige Arbeit als Ersatz
der kurzen Freiheitsstrafe (bis zu 6 Monaten)

Kürzere Freiheitsstrafen reissen Häftlinge aus
ihrer Lebenswelt und haben

nach Studien keinen sinnvollen erzieherischen
Wert. Sie sollten

ausländischen Beispielen folgend
durch freiwillige geminnützige Arbeiten
vermieden werden können.

6.)
Ausbau der Besuchsmöglichkeiten

Aus Personalmangel haben Untersuchungs- und
Strafhäftlinge in Österreich

nur wenige Besuchsmöglichkeiten. Dadurch reisst
der Kontakt zur Familie ab,

Beziehungen zerbrechen. Die Besuchsregelungen
müssten gesetzlich massiv

ausgeweitet werden, zudem wäre zu überlegen,
Mobiltelefone und Computer

generell zu erlauben. Das Internet bedeutet heute
eine zentrale

Kommunikations-, Informations- und
Bildungsquelle und ist für die spätere

Wiedereingliederung der Häftlinge in die
Gesellschaft wichtig.

Die ProponentInnen geben, soweit sie auch
Funktionen ausüben, ihre persönliche Meinung wieder.

Mega-sequestro: Italienische Justiz beschlagnahmt 8,1 Milliarden Euro bei Riva

Die Beschlagnahme krimineller Gelder und Vermögenswerte gewinnt im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität immer mehr an Bedeutung. Sie wirkt nachhaltig. Auch die Europäische Union beschäftigt sich bei ihren Arbeiten an einem gemeinsamen Europäischen Rechtsraum seit einiger Zeit mit diesem Thema. 
In der Praxis der Strafverfolgung nimmt Italien bei den Beschlagnahmen eine Spitzenposition ein. Den Staatsanwaltschaften steht unter anderem ein landesweites Verzeichnis verdächtiger Vermögenswerte zur Verfügung: konfisziert werden Konten, Liegenschaften, Fabriken, ja sogar Badestrände. Die Einrichtung der Beweislastumkehr ermöglicht den raschen staatlichen Zugriff auf Vermögenswerte, deren rechtmäßige Herkunft der Eigentümer nicht glaubhaft machen kann. 
Die Verfügung der Mailander Justiz vom letzten Wochenende war selbst für italienische Verhältnisse spektakulär: 8,1 Milliarden Euro der Stahlwerk-Dynastie Riva wurden beschlagnahmt.Gegen das bereits unter Hausarrest stehende Firmen- und Familienoberhaupt Emilio Riva laufen mittlerweile Verfahren wegen fahrlässiger Tötung, Geldwäsche und Steuerhinterziehung.