Text für Mosaik: Wie Sobotka an der Orbanisierung Österreichs arbeitet

Text für Mosaik vom 7.2.2017
Der Innenminister hat angekündigt, das Demonstrationsrecht deutlich einschränken zu wollen. Mittlerweile ist er zwar in einigen Punkten zurückgerudert. Seine Vorschläge sind trotzdem klar verfassungswidrig und greifen in ein Grundrecht ein, ohne das Demokratie aufhört, eine solche zu sein: Der Vorstoß trägt eine autoritäre Handschrift.
Was genau hat der Innenminister letzte Woche vorgeschlagen? Im Kern stehen drei „Neuerungen“, mit denen Wolfgang Sobotka das Versammlungsrecht, wie wir es heute kennen, tiefgreifend umwälzen möchte: Zum ersten seien Demonstrationen zu verbieten, wenn Geschäftsinteressen bedroht sind. Zum zweiten sollen künftig „VersammlungsleiterInnen“ für zivilrechtliche Schäden, die während der Demonstration entstehen, haftbar sein. Und zum dritten soll die Anmeldefrist für Demonstrationen von 24 auf 72 Stunden verlängert werden.
Die Sicherheitssprecher der Regierungsparteien zeigten sich am Abend des Vorschlages gesprächsbereit. Die nötige heftige Kritik setzte am folgenden Tag ein – die Justizsprecher von SPÖ und Grünen sowie mehrere Verfassungsexperten und NGOs wiesen das Ansinnen des Innenministers zurück und bezeichneten es als das, was es ist: ein Anschlag auf ein zentrales Grundrecht.

Wie ist das Vorgehen des Innenministers zu bewerten?

Das Demonstrationsrecht wurde historisch hart erkämpft – unter kräftiger Mitwirkung des Bürgertums. Umso bemerkenswerter ist es, wenn nun konservative Kreise seine Einschränkung fordern. Das Versammlungs- und Demonstrationsrecht ist eine der zentralen Möglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger, Haltungen, Meinungen und Kritik außerhalb der Wahlzelle zu artikulieren. Es ist somit ein wichtiges Mittel der politischen Beteiligung.
Es kann Regierende nach umstrittenen oder falschen Entscheidungen zum Umdenken veranlassen. Es bietet Minderheiten die Möglichkeit, auf die sie betreffenden Problemlagen und Interessen hinzuweisen. Es gibt Mehrheiten die Gelegenheit, sichtbar zu werden – wie etwa im Fall des Lichtermeers. In Österreich nutzten soziale Bewegungen nach 1945 das Demonstrationsrecht nicht zuletzt, um für Umweltanliegen zu kämpfen – so etwa bei Protesten gegen den Bau von Kraftwerken.
An der im Jahr 2000 angelobten schwarz-blauen Regierung kann viel kritisiert werden. Auch wenn dies unter Druck einer europäischen Öffentlichkeit geschah, muss der damaligen Regierung und ihrem Innenminister jedoch ihr souveräner Umgang mit den monatelangen Demonstrationen zugutegehalten werden. Dies gilt umso mehr, als sich die Demonstrationen gegen die Regierung richteten. Damals setzten Innenministerium und Polizei positive Standards in Sachen Deeskalation und Gewährleistung des Demonstrationsrechts.
Die Vorschläge Sobotkas laufen auf keine Einschränkung, sondern die de-facto-Abschaffung des Demonstrationsrechts hinaus. Kein denkender Mensch übernimmt die Haftung für eine Versammlung, an der tausende ihm nicht bekannte Menschen teilnehmen. Jeder und jede einzelne böswillige TeilnehmerIn kann mit ein paar eingeschlagenen Scheiben oder Autos den oder die VersammlungsleiterIn finanziell ruinieren.
Die Abwägung mit Geschäftsinteressen bei starker Beachtung der Geschäftsinteressen ist genauso absurd wie die Beschränkung der Orte für Demonstrationen. Es gehört zum Kern des Versammlungsrechts, dass Protestveranstaltungen an symbolhaften Orten stattfinden können. Wenn ich gegen die Regierung demonstrieren möchte, muss das in der Nähe des Regierungssitzes möglich sein. Eine Kundgebung gegen die Politik eines anderen Landes muss in der Nähe von dessen Botschaft stattfinden können. Müssen Demonstrationen abseits symbolischer Orte stattfinden, verlieren sie ihren Sinn und werden wirkungslos.
Die Vorschläge des Innenministers zur Einschränkung des Demonstrationsrechts sind einzeln und in ihrer Gesamtbetrachtung klar verfassungswidrig – und zwar in einer Intensität, dass man die Pläne nur als absurd bewerten kann. Dass der Minister seine Vorschläge am Vorabend einer Demonstration unterbreitet, bei der Menschen gegen die extreme Rechte protestieren, wird kein Zufall sein. Der Minister muss sich daher den Vorwurf des Einschüchterungsversuchs und der Sympathiebekundung für die tanzenden Rechten gefallen lassen.

Vorhandene Spielräume sensibler nutzen

Bereits jetzt haben die Behörden die gesetzliche Möglichkeit, anlässlich von Versammlungen Platzverbote auszusprechen und Versammlungen und Demonstrationen nur unter verschiedensten Auflagen zu bewilligen. Die Höchstgerichte haben in den letzten Jahren wiederholt festgestellt, dass die Polizei bei diesen Auflagen zu weit gegangen ist und die Garantien der Verfassung für die Versammlungsfreiheit verletzt hat.
Wir benötigen also keine neuen Beschränkungen, sondern im Gegenteil mehr Respekt der Polizei und eine umsichtigere Vorgangsweise bei der Ausübung des derzeit bestehenden Ermessens. Über einen weiteren Vorschlag – die Verlängerung der Anmeldefrist – kann man zwar diskutieren, rechtlich ist er jedoch weitgehend irrelevant. Denn die Verfassung erlaubt jederzeit spontane Versammlungen und Demonstrationen.
Die Vorschläge des Ministers bewirken also lediglich eine Vergiftung des Klimas. Österreich hat eine Konsenskultur mit einigen Vorteilen. Dazu gehört, dass Polizei und Demonstrations-OrganisatorInnen die Details einer Demo im Interesse aller vorab besprechen können. So können etwa Wegrouten abgestimmt werden, was auch vielfach geschieht.

Eine autoritäre Grenzüberschreitung?

Politisch hat der Innenminister mit seinen Vorschlägen gleich mehrere Grenzen überschritten. Das Amt des Innenministers erfordert eine Sensibilität für Verfassung und Grundrechte. Inhalt und Ton von Sobotkas Vorgehen lassen seit seinem Amtsantritt diese Sensibilität vermissen und zeugen von einem grundsätzlichen Unverständnis für verfassungsrechtliche Standards.
Dazu kommen symbolische Gesten, die nicht gerade von Respekt für demokratische Werte zeugen, etwa wenn er als Wahlleiter der Präsidentschaftswahl am Wahltag zu einer Talk Show nach Deutschland reist. Der Minister erzeugt laufend Unsicherheit und Verunsicherung in der Bevölkerung, indem er Probleme aufbauscht oder überhaupt erst herbeiredet. Die von ihm selbst erzeugte Verunsicherung nützt der Minister, um immer neue Beschränkungen der Grundrechte vorzuschlagen.
Dadurch verschiebt sich auch die verfassungsrechtliche Mitte. Immer abwegigere Vorschläge werden auf einmal auch von anerkannten ExpertInnen ernsthaft diskutiert. Man muss es in dieser Klarheit sagen: Die jüngsten Vorschläge Sobotkas laufen auf Maßnahmen hinaus, die im Falle der Türkei, Ungarns und Polens breit kritisiert werden. Sobotkas Politikzugang trägt dieselbe Handschrift wie jener Trumps oder Erdogans: Was sie stört, wird verboten. Punkt.
Oliver Scheiber ist Jurist und in diversen zivilgesellschaftlichen Initiativen tätig. Er publiziert regelmäßig in Fach- und Tagesmedien zu Justiz- und Grundrechtsfragen.

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Ein New Deal für den Rechtsstaat

Gastbeitrag für das Rechtspanorama der PRESSE, 2.1.2017

Das Wissen um die Bedeutung der Verfassung und der Grundrechte für die Gesellschaft zu stärken wäre eine gute Investition in eine friedliche Zukunft. – Ein Appell.

  (Die Presse)
2016 war das Jahr der schlechten Stimmung. Ausufernder Hass im Netz, ein enthemmter Rechtspopulismus und Pessimismus bei Meinungsmachern bestimmten das Geschehen. Einiges spricht dafür, dass 2017 positive Zugänge an Kraft gewinnen. Die Entscheidung für den neuen Bundespräsidenten war auch eine für Zusammenhalt in der Gesellschaft. Die Regierungsspitzen zeigten sich zuletzt einig und entschlossen. In der Bildungspolitik gelang ein größerer Reformschritt. Die Ernennung eines Quereinsteigers zum Staatsoperndirektor lässt sich als Kampfansage gegen verkrustete Strukturen lesen. Der angekündigte New Deal in der Politik könnte also Gestalt annehmen. Schön wäre es, würde der Begriff der Vision nicht länger zur Diffamierung dienen, sondern für Kreativität und den Willen zur Veränderung zum Besseren stehen.
Dieser New Deal sollte auf Rechtsstaat, Justiz und Inneres nicht vergessen. Da würde es sich zunächst lohnen, die Bedeutung der Verfassung im öffentlichen Bewusstsein zu stärken. 2016 war von der Verfassung zwar oft die Rede, doch wer kennt in Österreich schon die Verfassung? Im Gegensatz zu anderen Staaten gibt es nicht ein einziges Verfassungsdokument, vielmehr sind Verfassungsbestimmungen über viele Dokumente verstreut. Die oft diskutierte Erstellung eines modernen Grundrechtskatalogs, ähnlich der EU-Charta der Grundrechte, würde über das Symbolische hinauswirken – letztlich geht es um die viel zitierten Werte, über die im Land Konsens herrscht. Diese hart erkämpften Grundrechte sind tatsächlich unser größtes immaterielles Anlagevermögen. Die Grundrechte werden, das hat 2016 gezeigt, von vielen Seiten angegriffen – von der extremen Rechten, von Terroristen, von jenen, die sich von Überwachung und Repression mehr Sicherheit erwarten.
Eine Kampagne für mehr Bewusstsein für die Verfassung und deren Inhalte wäre eine Investition in eine friedliche Zukunft. Stellen wir uns doch vor: Wir tragen die Verfassungstexte in alle Schulen und Dörfer, die bekanntesten Künstler lesen daraus vor, Zitate der Verfassung werden selbstverständlicher Teil jeder Schulfeier. Nicht nur der erste Artikel der EU-Grundrechtecharta – „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“ – verdient breite Bekanntheit, auch viele weitere Gesetzestexte bilden eine lohnende Lektüre.

Wichtige Reformen vorbereitet

In der Justiz hat sich in den vergangenen Jahren viel bewegt. Jugendgerichtsbarkeit, Straf- und Familienrecht wurden modernisiert, Reformvorschläge für die dringend nötigen Verbesserungen im Strafvollzug und im Sachwalterschaftsrecht sind vorbereitet – sie dürfen nicht an den nötigen finanziellen Mitteln scheitern. Die Regierungsperiode bietet noch genug Zeit, um weitere große Reformschritte auf den Weg zu bringen: etwa die Schaffung von Sammelklagen, die Konsumenten die Rechtsverfolgung erleichtern; die Vertretung aller Angeklagten durch Verteidiger im Strafverfahren; die Schaffung von Jugendgerichten oder die Gründung einer Justizakademie, wie sie in der EU Standard ist.

Schulung in Polizei und Justiz

Überhaupt verdienen Personalauswahl und Schulung von Polizei und Justiz mehr Beachtung. Jetzt schon verschiebt sich der Fokus richtigerweise auf die Prüfung der Persönlichkeit, denn Empathie und soziale Kompetenz sind für den Polizei- und Justizdienst unabdingbar. Erlauben wir uns eine Vision auch für diesen Bereich. In einem Satz könnte sie lauten: Wer in Österreich in den Polizei- oder Richterdienst tritt, soll zuvor Praxis in einem anderen Bereich erworben haben – in einer Sozialeinrichtung, einer Bildungseinrichtung oder in der Privatwirtschaft. Nähern wir uns der für das Strafrecht naheliegenden Vision: Wir verschieben Ressourcen von der Verfolgung kleiner Ladendiebe zur Verfolgung von Cybercrime und Hasskriminalität, also hin zu Delikten, die für die Gesellschaft weit bedrohlicher sind als der Griff nach einem Lippenstift im Drogeriemarkt.
Für die Gesetzgebung gilt es, den Menschen auch im Gesetzestext stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Die Regelungen der EU weisen hier den Weg. Eine Passage einer kürzlich erlassenen Richtlinie zum besseren Schutz von Kindern vor Gericht zeigt einen neuen Ton in der Gesetzgebung. Diese Richtlinie fordert unter anderem die Schulung des Personals von Staatsanwaltschaften und Gefängnissen. Der Gesetzestext selbst schreibt vor, dass alle Mitarbeiter von Polizei, Staatsanwaltschaften und Haftanstalten, die Fälle mit Beteiligung von Kindern bearbeiten, spezifische Schulungen zu Kinderrechten, geeigneten Befragungsmethoden, Kinderpsychologie und zu einer kindgerechten Sprache erhalten.
Solche Regelungen zeigen, dass das humanistische Europa, als Lehre aus dem Leid von Faschismus und Zweitem Weltkrieg aufgebaut, lebt. Aus 2016 lernen wir, dass wir um diese unsere gesellschaftliche Grundordnung mehr kämpfen müssen als gedacht. Warum nicht 2017 damit anfangen.
Dr. Oliver Scheiber ist Richter in Wien und gibt hier seine persönliche Meinung wieder. Er ist auch Vorstandsmitglied mehrerer Menschenrechts-NGOs.

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Polarisierung oder Fortschritt

Der Konflikt Mitterlehner-Lopatka reicht über den Tag
hinaus. Sein Ausgang könnte für den Weg Österreichs in den nächsten Jahren
entscheidend sein. Man hört oft die Einschätzung, dass Lopatka durch seine Unterstützung
für Kurz mittelfristig die besseren Chancen habe. Ist das wirklich so? Die
Unterstützung von Franz Fischler, Claus Raidl und zahlreicher amtierender
ÖVP-Bürgermeister und ehemaliger
ÖVP-Landeshauptleute für Alexander Van der Bellen zeigt, dass jener
Parteiflügel, dem die Rolle der ÖVP als staatstragender Partei bewusst und
wichtig ist, noch lebendig ist.

Man sollte meinen, dass das Bekenntnis zu unserer liberalen,
humanistischen Verfassung, zu einer solidarischen Gesellschaftsordnung und zur
Europäischen Union als Friedensprojekt die beiden Regierungsparteien über alle
sonstigen Unterschiede hinweg verbindet. Wir sehen, dass dieser Grundkonsens,
der definitonsgemäß eine entschiedene Ablehnung aller rückwärtsgewandten, rechtspopulistischen und rechtsextremen Kräfte umfasst, in Österreich nicht so ausgeprägt
ist wie etwa in Frankreich oder Deutschland. Ein früherer Mitarbeiter Jean
Claude Junckers hat mir kürzlich erzählt, Juncker habe in seiner Luxemburger
Zeit öfter gemeint: „Sie werden bei mir keine großen Konflikte und Unterschiede
zu den sozialdemokratischen Werten finden. Ich bin ein christlicher Politiker,
habe also ein ähnliches Wertekonzept wie die Sozialdemokraten.“ Im Unterschied
dazu gibt es in der ÖVP einen Flügel, der sich in der Zusammenarbeit mit
Rechtspopulisten und Rechtsextremen offenkundig wohler fühlt als in der
Kooperation mit Sozialdemokraten. Und es gibt Sozialdemokraten, die vergessen
haben, wofür die Sozialistinnen und Sozialisten in den 1930er- und
1940er-Jahren gekämpft haben. Reinhold Mitterlehner steht für ein Modell der Zusammenarbeit
und des gesellschaftlichen Ausgleichs. Er verdient deshalb die breite Unterstützung
auch von politisch Andersdenkenden genau so wie etwa Michael Häupl und
Alexander Van der Bellen; sie alle verbindet das Bemühen um einen ruhigen Ausgleich von Interessen ohne Hass und wechselseitiges Ausspielen. Mitterlehners Schritt, den Konflikt anzusprechen und auszutragen und die Dinge klar zu benennen, ist mutig und für Österreich ungewohnt. Es geht nun darum, ob Österreich in den nächsten Jahren
Schauplatz ständiger Polarisierung und Hetze sein soll oder ein Land, das seine
vergleichsweise sehr gute Lebensqualität durch Investitionen in Forschung,
Bildung, Gesundheitswesen und Stärkung des 
Sozialstaats sichert und ausbaut.         
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Podiumsdiskussion zu Obdachlosigkeit am 28.11.2016 – Einladung

Montag, 28. November, 19.00 Uhr:

Obdachlosigkeit, Polizei und Justiz 

Lisa Bolyos (Augustin)
Michael Lepuschitz 
(Polizeijurist)
Christine Miklau 
(Richterin)
Annika Rauchberger
 (Bettellobby)
 

Moderation: Petra Stuiber (Der Standard)

Ort:
 Bezirksgericht Meidling
Adresse:
 1120 Wien, Schönbrunner Straße 222-228
Stiege 3, 5. Obergeschoß
  

 

Die Veranstaltung findet im Rahmen der Ausstellung 
BAKOS TAMÁS 

Exiled on Side Streets 

statt. 
Zur Ausstellung ist ein Katalog erhältlich (Verlag Sonderzahl) 

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Die (Wiener) Polizei und wir

Kommentar der Anderen für den Standard, Printausgabe 11.11.2016


In der Exekutive der Bundeshauptstadt gibt es einen falschen Korpsgeist, der schwarze Schafe schützt und den Bürgern Angst vor den „Kieberern“ einjagt, statt ihnen Sicherheit zu geben. Ein Anlassfall.

Wien hat ein Problem mit seiner Polizei. Ein unlängst beendeter Strafprozess illustriert das. Am 29. 1. 2016 fand in Wien der umstrittene WKR-Ball statt, gegen die Veranstaltung wurde demonstriert. Die renommierte Journalistin Cathrin Kahlweit, Österreich-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, sagte nun laut einem Bericht des STANDARD (21. 10. 2016) vor Gericht aus, sie sei an diesem Abend als Passantin auf einen Tumult auf der Mariahilfer Straße gestoßen. Einige Männer seien rabiat gegen eine Gruppe von Personen vorgegangen und hätten sie schließlich festgenommen – erst da habe man bemerken können, dass die martialisch adjustierten Männer Polizisten in Zivil waren. 

„Scheiß Kuh“ 

Kahlweit gibt an, es sei ihr einiges seltsam vorgekommen, sie habe sich als Journalistin zu erkennen gegeben und gefragt, was hier los sei. Ein Mann in Flecktarn, offenbar ein Beamter, habe sie daraufhin folgendermaßen beschimpft: „Scheiß Kuh“ und: „Geh nach Hause zu deiner scheiß Merkel.“ Erst nach vielen Mühen habe sie eine Dienstnummer erhalten. Zu einem Festgenommenen, der um die Lockerung seiner Fesseln bat, habe ein Beamter sinngemäß gesagt: „Wir können noch ganz anders, zum Beispiel (…) in den Wald fahren und dir alle Knochen brechen.“ Auf ihre schriftliche Beschwerde hat Kahlweit nach neun Monaten noch keine Antwort erhalten. Dafür wurde sie nach Einreichung ihrer Beschwerde angerufen: Ein Mann fragte sie, woher sie seine Dienstnummer habe – und welcher Kollege sie preisgegeben habe. 

Die Wiener Polizei hat vor etwa 25 Jahren einen Prozess der Öffnung begonnen. Frauen zogen in den Polizeidienst ein; nicht nur, aber auch deswegen kehrte ein neuer Ton in der Kommunikation der Polizei ein. Menschenrechtsschulungen wurden forciert, bei Demonstrationen wurden moderne Deeskalationsstrategien eingesetzt. Bei den monatelangen Demonstrationen gegen Schwarz-Blau im Jahr 2000 leistete die Wiener Polizei exzellente Arbeit, hochprofessionell, auf Ausgleich und Fairness gegenüber Bevölkerung wie Versammlungsteilnehmern bedacht. 

Hervorragende Arbeit 

In Bereichen wie der Bekämpfung häuslicher Gewalt wird bis heute eine qualitativ hervorragende Arbeit geleistet, Österreich zählt hier weltweit zu den Staaten mit der besten Polizeiarbeit. In den Grätzeln erledigen viele Polizistinnen und Polizisten einen oftmals äußerst schwierigen Job tadellos. In den letzten Jahren häufen sich die ernstzunehmenden Beschwerden über Polizeieinsätze; oft stehen sie in Zusammenhang mit Demonstrationen, aber nicht nur. 

Rüdes Vorgehen 

Ein rüdes Vorgehen etwa bei Verkehrskontrollen gegenüber Radfahrern ist keine Seltenheit. Publizität erlangen solche Berichte durch Zufall, wenn gerade ohne Wissen der Beamten eine Kamera mitläuft (wie im Fall einer Frau, die nach einer polizeilichen Kontrolle auf einer Tankstelle am Schwedenplatz mit zahlreichen Verletzungen dastand) oder eben jetzt, wenn zufällig eine bekannte und couragierte Journalistin zur Zeugin wird. Man muss sich fragen: Wie geht es jenen, die nicht so gebildet oder selbstbewusst sind, sich zur Wehr zu setzen? Die sich als Drogenkranke oder Asylwerber so schwach fühlen, dass sie sich nicht auflehnen können? Die polizeilichen Übergriffen ohne Zeugen und ohne Videobeweis ausgesetzt sind? 

Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass die Wiener Polizei keine adäquate Reaktion auf Fehler findet; dass ihrer Spitze die Sensibilität für die Bedeutung des Demonstrationsrechts fehlt und dass Korpsgeist zunehmend die Kritikfähigkeit nach innen ersetzt. 

Plumpe Strategien 

Parallel dazu ziehen plumpe Strategien in die Pressearbeit ein, wenn etwa täglich Bagatelldelikte aufgebauscht oder wenn Journalisten zu einer „Schwerpunktaktion zur Bekämpfung des Drogenhandels im öffentlichen Raum“ eingeladen werden. Im Anschluss an diesen Pressetermin der Wiener Polizei im Juni 2016 konnten Journalisten Polizeibeamte bei ihrer Arbeit begleiten. „Wir werden schauen, dass wir ein paar Festnahmen zusammenkriegen“, kündigte ein Mediensprecher der Polizei an. Wie auf einer Safari wurden Personen angehalten und den Medienvertretern vorgeführt, ohne Sensibilität für Datenschutz und Persönlichkeitsrechte. Dass das kein rechtliches Nachspiel hatte, ist wohl vor allem auf die (auch finanzielle) Ohnmacht der betroffenen Personen zurückzuführen. 

Übergriffe nehmen zu 

Es ist leicht auszurechnen, dass die Zahl verbaler und körperlicher Übergriffe zunimmt, wenn die Führung der Polizei solche Signale aussendet und wenn Fehlverhalten von Beamten ohne Konsequenzen bleibt, letztlich also von oben gebilligt wird. Es ist empörend, dass einer Beleidigung, wie sie Frau Kahlweit erfahren hat, keine umgehende förmliche Entschuldigung der Polizei folgt (wir reden jetzt gar nicht von den weiteren Sonderlichkeiten der von Frau Kahlweit beschriebenen Amtshandlung). 

Falsche Beamte 

Durch ihr Schweigen zur gerichtlichen Aussage von Frau Kahlweit macht die Polizeispitze den falschen Beamten die Mauer, deckt Verfehlungen und desavouiert alle korrekt arbeitenden Beamtinnen und Beamten. Wer eine Journalistin (oder sonst jemanden) mit „Scheiß Kuh, geh zu deiner scheiß Merkel nach Hause“ beschimpft, hat im öffentlichen Dienst nichts verloren. Kein Finanzbeamter, keine Jugendamtsmitarbeiterin, kein Lehrer kann sich so etwas leisten. 

Bürger müssen sich fürchten 

Das Schweigen der Wiener Polizeispitze ist inakzeptabel. Die Entwicklung der Polizei passt schon länger nicht mehr zu Wien. Die Polizei soll integraler Bestandteil der Gesellschaft sein, nicht ein verselbstständigter Apparat, vor dem sich Bürgerinnen und Bürger fürchten müssen. Wien hat eine Polizeiführung verdient, die den Wandel der Wiener Stadtverwaltung in Richtung mehr Bürgernähe, mehr Kommunikation und mehr Respekt mitträgt. 

(Oliver Scheiber, 10.11.2016) 

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