Streit am Bundesgerichtshof

Richter sollen Streitigkeiten schlichten bzw. entscheiden. Doch wie gehen sie selbst mit Konflikten um? Der deutsche Bundesgerichthof zelebriert seit längerem eine abschreckende Variante der Konfliktaustragung. Der Präsident des Bundesgerichtshof, Klaus Tolksdorf, sperrt sich seit mehr als einem Jahr gegen die Beförderung von Thomas Fischer zum vorsitzenden Richter. Fischer ist einer der renommiertesten deutschen Strafrechtsexperten und gleichzeitig eine kantige Persönlichkeit. Im Streit mit dem Gerichtspräsidenten hat Fischer bereits einmal die Verwaltungsgerichte angerufen und Recht bekommen. Die ZEIT hat den ungewöhnlichen Konflikt ausgeleuchtet und in Berichten 2011 und 2012 in vielen Facetten dokumentiert. War es für den Außenstehenden anfangs schwierig, sich ein Bild zu machen, so sind die neuesten Handlungen von Präsident Tolksdorf schlicht befremdlich. Doch im Dunkel ist auch Licht: die deutsche Klagsmöglichkeit vor den Verwaltungsgerichten scheint einen effizienten Rechtsschutz für Beamte zu bieten, denen, tatsächlich oder vermeintlich, Unrecht in Besetzungsverfahren widerfährt.   
Thomas Fischer, Richter des BGH; Foto: Michael Herdlein
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Volksanwaltschaft – Vom wahren Leben im Rechtsstaat

Seit ihrer
Gründung vor 35 Jahren hat sich die Volksanwaltschaft bewährt: rund
15.000 Personen wenden sich jährlich an die Einrichtung. Das Team der
VolksanwältInnen besteht aktuell aus Dr. Peter Kostelka, Dr. Gertrude
Brinek und Mag. Terezija Stoisits. Volksanwältin Gertrude Brinek
präsentierte vor kurzem im Parlament ihr Buch Vom wahren Leben im Rechtsstaat
– es gibt Einblicke in die tägliche Arbeit der Volksanwaltschaft und
skizziert Grundlagen und Entwicklungsmöglichkeiten der Institution. 
Bald
wird die Volksanwaltschaft weiter an Bedeutung gewinnen: ab Juli 2012
übernehmen die Volksanwaltschaft und die von ihr eingesetzten
Expertenkommissionen die Aufgaben als Nationaler Präventionsmechanismus
(NPM) zur Umsetzung des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen gegen
Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
oder Strafe vom 18.12.2002 (OPCAT)
sowie der Regelungen der UN-Behindertenrechtskonvention.
Unter anderem übernimmt die Volksanwaltschaft dann die Kontrollagenden,
die bisher der Menschenrechtsbeirat im Innenministerium wahrgenommen
hat. Die Volksanwaltschaft wird damit zur zentralen
Menschenrechtskontrolleinrichtung – ein großer Schritt vorwärts bei der
Absicherung der Grundrechte in Österreich. 
Die Vorbereitungen zur Übernahme der neuen Aufgaben sind auf der Website der Volksanwaltschaft
übersichtlich und transparent dargestellt – die gute
Internetpräsentation ist nur ein Teil der sachlich-professionellen
Informationsarbeit der Volksanwaltschaft, die seit drei Jahren von
Christine Stockhammer geleitet wird.
Terezija Stoisits, Peter Kostela, Gertrude Brinek
Foto: Volksanwaltschaft
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Polizeibeamte klagen Purple Sheep

(Dieser Text erschien leicht gekürzt in der Printausgabe der Salzburger Nachrichten vom 6.3.2012)

TV für Polizei „zu nahe“ dran

Die Klage von Polizeibeamten gegen den Verein Purple Sheep, der von
Abschiebung bedrohte Menschen in Wien betreut, macht stutzig. Laut
Medienberichten (SN vom 4.2.2012) haben zwei Polizeibeamte den Verein geklagt,
weil sie bei einem Abschiebeversuch gefilmt wurden. Ein georgisches Ehepaar
sollte mit seiner schwer behinderten Tochter nach Litauen abgeschoben werden.
Als die Fremdenpolizei im Flüchtlingsquartier eintraf, um die Familie zur
Abschiebung abzuholen, filmte der Verein Purple Sheep die versuchte Abholung,
der ORF strahlte die Bilder aus. Die Abschiebung wurde abgebrochen und die
Familie erhielt laut Medienberichten mittlerweile eine
Niederlassungsbewilligung.

Die Polizei definiert ihre Rolle in den letzten Jahren verstärkt als
Menschenrechtsschutzorganisation und investiert sehr viel in diesbezügliche Aus-
und Fortbildungsmaßnahmen. Diese Bemühungen tragen Früchte, denn das Auftreten
von PolizeibeamtInnen im Alltag ist umsichtiger und professioneller geworden.
Die frühere Unsitte, dass Menschen, die Polizeiübergriffe behaupten, mit
Anzeigen wegen Verleumdung und Klagen eingedeckt werden, wurde nach Rügen
internationaler Organisationen abgestellt. Die aktuellen Klagen gegen Purple
Sheep konterkarieren nun all diese Bemühungen; sie sind ein Mittel, das einem
Rechtsstaat schlecht anstehen. Der Staat verfügt über viel Macht, bei
Abschiebungen bringt er Menschen auch mittels körperlicher Gewalt ins Ausland –
diese Machtfülle verlangt, dass der Staat Kritik am Handeln seiner Organe
aushält und seine Macht mit größter Behutsamkeit ausübt.
Dem durch die Klagen in seiner Existenz bedrohten Verein hilft es
wenig, wenn sich das Innenministerium formal nicht an der Klagsführung
beteiligt. Natürlich haben Beamte Persönlichkeits- und Grundrechte, die zu
wahren sind. Beamte sind aber auch den Interessen und dem Ansehen ihres
Dienstgebers verpflichtet, und diese Interessen leiden unter der Klagsführung,
die angesichts der Umstände unverhältnismäßig und unangemessen ist: Familien,
die ein Kind mit Behinderung betreuen, haben es nicht leicht. Menschen, die
ihre Familien und ihre gewohnte Umgebung verlassen und in ein fremdes Land
flüchten, handeln in aller Regel aus Verzweiflung. Wenn also ein Paar mit einem
behinderten Kind nach seiner Flucht 
abgeschoben werden soll, dann ist diese Situation eine so furchtbare,
dass sie wohl die wenigsten von uns wirklich nachvollziehen können. Vereine wie
Caritas, Diakonie oder Purple Sheep, die sich solcher Personen annehmen, verdienen
also vor allem Respekt. Sie springen für den Staat ein, dessen Aufgabe es wäre,
dafür zu sorgen, dass niemand im Land auf der Straße steht und dafür, dass
dringend notwendige soziale und gesundheitsbezogene Leistungen sichergestellt
sind.  
Österreich hat sich beim Vollzug von Abschiebungen zuletzt mehrfach
rechtlich „geirrt“ – schon laufende Abschiebungen wurden vom Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte in letzter Sekunde mittels Eilverfügung
gestoppt. Auch im gegenständlichen Fall war offenbar die betroffene Familie im
Recht, hat sie doch letztlich die Niederlassungsbewilligung erhalten. Im
Ergebnis waren die Fernsehbilder notwendig, um der Familie zu ihrem Recht zu
verhelfen. Unter diesem Aspekt erscheint die nunmehrige Klagsführung als zynischer
Revancheakt (dass die Gewerkschaft eine solche Klagsführung noch unterstützt,
würde eine gesonderte Erörterung verdienen).
Dringend geboten wäre im vorliegenden Einzelfall eine klare
Distanzierung des Innenministeriums von der Klagsführung, die nicht anders denn
als Einschüchterungsversuch gegenüber NGOs verstanden werden kann. Darüber
hinaus sollte der Fall Anlass sein, endlich das Erfordernis einer richterlichen
Genehmigung von allen Fällen der Schubhaft und der Abschiebung im Gesetz zu
verankern. Amtshandlungen wie die gegenständliche, die alle Beteiligten
überfordern, könnten so für die Zukunft vermieden werden.
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Korruption in Österreich: Karl Jurka und Mark Pieth im Gespräch

Man könnte glauben, dass zu den Korruptionsaffären der letzten Jahre bereits alles gesagt und geschrieben ist. Der Korruptionsmüdigkeit setzt der STANDARD diese Woche zwei spannende Interviews entgegen. Der Lobbyist Karl Jurka analysiert, welche Dinge in Wien „reingehen“, die in Deutschland undenkbar wären. Und er berichtet, dass das „abgekartete Buwog-Spiel“ bereits beim Opernball 2004(!) „das Ballgespräch“ gewesen sei. OECD-Korruptions-Experte Mark Pieth beschreibt Umgang und Haltung der heimischen Eliten zu korruptem Verhalten und weist am Rande auf das Phänomen hin, dass die Vorgänge rund um den Flughafen Wien nicht zentrales Thema der öffentlichen Deabtte sind.
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Europäischer Gerichtshof verurteilt Italien wegen Massenzurückschiebung von Flüchtlingen

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg (EGMR) korrigiert regelmäßig die Flüchtlingspolitik der EU. Vorletzte Woche verkündete der EGMR ein wichtiges Grundsatzurteil zur Abschiebung von Flüchtlingen. Dem Urteil liegen Geschehnisse aus dem Jahr 2009 zu Grunde:
Drei Gummiboote mit rund 200 Flüchtlingen aus Somalia und Eritrea wurden von Italiens Küstenwache vor der Insel Lampedusa in
internationalen Gewässern aufgespürt. Die Flüchtlinge, denen nach einer dreitägigen Reise das Trinkwasser fehlte, hofften, von der
Küstenwache auf das italienische Festland in Sicherheit gebracht zu werden. Tatsächlich wurden sie von den italienischen Behörden direkt nach Libyen überstellt.
In seinem Urteil legt der Gerichtshof Italien mehrere Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention zur Last: den Flüchtlingen sei rechtswidrig die Möglichkeit genommen worden, Asyl zu beantragen, und sie wären durch die Zurückschiebung einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt worden. Regierungschef Monti hat umgehend angekündigt, die italienische Flüchtlings- und Abschiebepolitik zu überdenken. Auch andere Länder werden ihre Praxis der Entscheidung des EGMR anzupassen haben.
© Ettore Ferrari/dpa
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