Allianz gegen die Gleichgültigkeit – Öffentlicher Aufruf, erschienen im FALTER Nr. 14/2013

Die Unterzeichner/innen geben, soweit sie auch Funktionen ausüben, ihre persönliche Meinung wieder.

Der Umgang mit den Schwächsten der Gesellschaft ist
ein guter Maßstab für die Qualität und Reife eines Rechtssystems. Gerade
deshalb machen die Vorwürfe, die zuletzt im „Falter“ erhoben wurden (in allen
Fällen gilt die Unschuldsvermutung), betroffen. Justizwachebeamte der
Haftanstalt Josefstadt sollen weiblichen Häftlingen sexuelle Dienstleistungen abgepresst
haben; Beamte hätten Drogen und Handys ins Gefängnis geschmuggelt und seien dafür
von einem Wiener Anwalt bezahlt worden.  Gemeinsam
ist Verdachtsfällen im Strafvollzug über die Jahre, dass allzu oft weder
effektiv strafrechtlich noch organisatorisch reagiert wurde. 

Somit
wirft der jüngste Fall alte Fragen auf. Wie ist es um die Selbstreinigungskraft
der Rechtsberufe und der Justiz bestellt? Warum schauen so viele in
Rechtsanwaltschaft und Justiz weg, wenn sie schlampige und rechtswidrige
Usancen im Strafvollzug mitbekommen? Wie kann es sein, dass die Beamtenschaft
des Justizministeriums, die sich ausschließlich aus Staatsanwält/innen und
Richter/innen zusammensetzt, nicht entschlossenere Schritte setzt? Warum gibt
es so entmutigend oft unangenehme Konsequenzen für jene, die Missstände
aufzeigen? Wo bleiben Respekt und  (auch
karrieremäßige) Anerkennung für Beamt/innen, die Missstände aufzeigen? Wie ist
es um die professionelle Abgrenzung zwischen Polizei, Justizwache, Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwaltschaft und Gericht bestellt? Welche Rolle könnte eine Verhaberung
zwischen Justizwache, Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht spielen, die die
Schwächsten zu Opfern macht? 
Anderer Schauplatz, und doch
dasselbe Thema: Seit der Polizeiaktion „Operation spring“ im Jahr 1999 müsste
der Umgang von Polizei und Justiz mit Menschen dunkler Hautfarbe ein Thema
sein. Eine soziologische Studie hat auf die damalige Ungleichbehandlung,
nämlich Schlechterstellung, von Menschen dunkler Hautfarbe vor den
Strafgerichten hingewiesen. Spätere Fälle – die lasche strafrechtliche und
späte dienstrechtliche Verfolgung jener Polizeibeamten, die den Schubhäftling
Bakary J. folterten und zuletzt der Umgang mit jenem Täter, der eine Frau
dunkler Hautfarbe auf U-Bahn-Gleise stieß – warfen die Frage eines
institutionellen Rassismus neu auf. Immer wieder wird berichtet, dass
Polizeibeamt/innen und auch Justizangehörige Menschen dunkler Hautfarbe  als „Bimbos“ bezeichnen. Vielen Anwält/innen,
Richter/innen, Staatsanwält/innen sind solche Vorfälle bekannt. Dass diese
Missstände nicht angezeigt und selbst nach Anzeigen nicht abgestellt werden,
ist unerträglich. Es zeigt sich, dass die bloße Diskussion des Themas bei
Fachveranstaltungen nicht ausreicht. Es braucht institutionelle Maßnahmen.
Nicht zufällig empfiehlt die laufende UN-Menschenrechtsprüfung verstärkte
Aktivitäten gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Österreich. Tatsächlich:
Es ist höchste Zeit, Rassismus und Diskriminierung auch in Institutionen wie
Polizei, Gerichten und Behörden professionell mit umfassenden Maßnahmen zu
bekämpfen. Großbritannien etwa lebt dies mit seinem „Public sector equality
duty“ vor – alle öffentlichen Einrichtungen sind verpflichtet, ihre Strukturen
und Abläufe (etwa Umgang mit Bürger/innen, Einstellung von Mitarbeiter/innen,
Beförderungsverfahren etc) antidiskriminierend zu gestalten, laufend zu
evaluieren und entsprechend anzupassen.

Die
RichterInnenvereinigung hat sich vor einigen Jahren eine inhaltlich
überzeugende Ethikerklärung gegeben. Darin heißt es u.a.: „Diskriminierende
Haltungen und Äußerungen weisen wir bedingungslos zurück.“ Diese Erklärung
bedarf ihrer Umsetzung und Bewährung im Justizalltag. Die große Mehrheit der
Vertreter/innen der Rechtsberufe und Justiz leistet gute Arbeit und verhält
sich korrekt. Diese große Mehrheit sollte darin unterstützt und ermutigt werden,
sich offenkundiger Missstände anzunehmen und die Dinge beim Namen zu nennen.
RichterInnen,
StaatsanwältInnen und RechtsanwältInnen verbindet eine wichtige Aufgabe: die
Grundrechte zu sichern. Für diese Aufgabe braucht es nicht nur juristische
Kompetenz, sondern auch Leidenschaft, Empathie und Courage. Bilden wir
Richter/innen, Staatsanwält/innen, 
Rechtsanwält/innen und Rechtswissenschaftler/innen eine Allianz gegen
die Gleichgültigkeit. Wir rufen Ministerien, Parlament und die Vereinigungen
der Rechtsberufe auf, Probleme des Strafvollzugs und die Frage des
institutionellen Rassismus umgehend in Form einer öffentlichen Enquete zu  beraten und erste Maßnahmenpakete zu
beschließen.
Barbara Helige, Richterin, Präsidentin der
Österreichischen Liga für Menschenrechte
Thomas Höhne, Rechtsanwalt, Mitinitiator des Universitätslehrgangs für Informationsrecht an der  Universität Wien
Alfred J. Noll, Rechtsanwalt, Mitglied im
Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien und Universitätsdozent
Manfred Nowak, Universitätsprofessor, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für die Folter
Oliver Scheiber, Richter, Mitgründer der
Fachgruppe Grundrechte in der RichterInnenvereinigung
Richard Soyer, Rechtsanwalt und
Universitätsprofessor
Hannes Tretter, Universitätsprofessor, Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Menschenrechte
Maria Windhager, Rechtsanwältin, führende Medienrechtsexpertin
Mia Wittmann-Tiwald, Richterin, Co-Vorsitzende
der Fachgruppe Grundrechte in der RichterInnenvereinigung
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