Dankesrede von Nikolaus Habjan anlässlich der Verleihung des Wolfgang-Swoboda-Preises 2016

Der Schauspieler und Regisseur Nikolaus Habjan hat heute im Justizpalast in Wien in Anwesenheit von Justizminister Brandstetter den Wolfgang-Swoboda-Preis für Menschlichkeit im Strafverfahren erhalten. Der Preis wird von der Vereinigung der Österreichischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte verliehen. Im Folgenden die Dankesrede von Nikolaus Habjan im vollen Wortlaut (Quelle: https://www.facebook.com/nikolaus.habjan/posts/10205940856657165)

„Ich freue mich sehr, hier zu sein.
Es wäre auch für Friedrich Zawrel eine besonders große Freude gewesen, hier vor Ihnen zu stehen. Sein Leben wurde durch Verbrechen des Nationalsozialismus nachhaltig beschädigt. Er ließ sich aber von den Gräueltaten nicht brechen und predigte mir und allen Jugendlichen, denen er sein Leben erzählte, immer wieder den einen Satz: „Wehret den Anfängen, so etwas darf nie wieder passieren.“
Der Fall von Friedrich Zawrel ist beispielhaft für Tausende Schicksale. Es ist eine Justiz-Republiksgeschichte. Schmerzlich mussten wir lernen, dass 1945 nicht die Stunde Null war, sondern dass die Opfer weiterhin respektlos in das Eck der Verbrecher gestellt wurden.
Statt Resozialisierung betrieb man Entsozialisierung. Jahrzehnte nach dem Krieg tat sich die Justiz schwer, Lager- und Heiminsassen als Menschen vor dem Gesetz zu sehen.
Auch heute ist es in Österreich noch immer möglich, sich der NS-Sprache ungestraft zu bedienen:

Unter dem Titel „Mauthausen-Befreite als Massenmörder“ erschien vergangenen Sommer in der Zeitschrift Aula, ein Artikel von Manfred Duswald, der die Überlebenden des KZ in Oberösterreich pauschal als „Landplage“ und „Kriminelle“ darstellt. Darin heißt es:
„Raubend und plündernd, mordend und schändend plagten die Kriminellen das unter der ‚Befreiung‘ leidende Land. Eine Horde von 3.000 Befreiten wählte den Weg ins Waldviertel im Nordwesten von Niederösterreich und wetteiferte dort mit den sowjetischen ‚Befreiern‘ in der Begehung schwerster Verbrechen.“

Zur Erklärung: Bis 1945 befanden sich in Mauthausen 200.000 politische Gefangene, Homosexuelle, Kriegsgefangene und auch sogenannte „Asoziale“. Mehr als die Hälfte von ihnen wurde ermordet, viele starben bei der brutalen Zwangsarbeit in den Steinbrüchen.
Das von der Staatsanwaltschaft Graz aufgenommene Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. Auf Antrag des Autors, Manfred Duswald, wurde seitens der Staatsanwaltschaft Graz die Einstellung des Verfahrens so begründet:
„Es ist nachvollziehbar, dass die Freilassung mehrerer tausend Menschen aus dem Konzentrationslager Mauthausen eine Belästigung für die betroffenen Gebiete Österreichs darstellte“. Weiteres heißt es,da sich (unbestritten) unter den Inhaftierten Rechtsbrecher befanden.“
Anstatt sich mit der NS-Sprache historisch zu beschäftigen, schlug die zuständige Grazer Staatsanwältin Landplage im „Duden“ nach. Die Rechtschreibung stand ja nicht zur Diskussion. Nach Aussagen der Sprachwissenschafterin Ruth Wodak geht die Etymologie des Gebrauchs von ‚Landplage‘ bis zu Martin Luther zurück und ist auch in der NS-Sprache
verankert.

Auch das Comité International de Mauthausen (CIM) als Dachverband von derzeit 21 nationalen Organisationen von Überlebenden des KZ Mauthausen und deren Angehörigen verwehrte sich auf das Heftigste gegen die vollkommen aus der Luft gegriffene Pauschalierung der Staatsanwaltschaft Graz und spricht von einer Verhöhnung der Überlebenden.
Nicht immer geschehen diese Dinge aus böser Absicht heraus, manchmal auch aus simpler Hirnlosigkeit, fehlender Empathie oder mangelnder Bildung. Es ist absolut überfällig, endlich Verständnis für die Opfer aufzubringen und nicht nur Verständnis für die Täter. Respekt für die Lebensumstände der Opfer. Verständnis dafür, dass einige unter den herrschenden Umständen der Zeit – wie Friedrich Zawrel- gezwungen waren, kriminell zu werden.
Und kein Verständnis aufzubringen für Menschen die solch menschenverachtenden Begründungen schreiben oder für ‚unbedenklich‘ empfinden.

Noch ist das NS-Verbotsgesetz ein Grundpfeiler unserer Rechtsordnung und muss es auch bleiben.
Friedrich Zawrel hat als Zeitzeuge zur Aufarbeitung der Verbrechen „Am Spiegelgrund“ ganz wesentlich beigetragen. Er hat unzählige Male vor Schülerinnen und Schülern über seine Erlebnisse und Erfahrungen – über sein Leben erzählt. Es war ihm wichtig, dass die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der Naziverbrechen der Jugend vermittelt wird, damit diese Geschichte keine Wiederholung erfährt.
Im August stellten die ÖVP, SPÖ und die Grünen den Antrag, die Neue Mittelschule in der Hörnesgasse im 3.Bezirk nach Friedrich Zawrel zu benennen. Er selbst hatte diese Schule einige Monate lang besucht.
Alfred Strasser, der Vorsitzende der FPÖ des 3.Bezirks sprach sich gegen die Umbenennung der Schule aus und meinte, Friedrich Zawrel sei ein mehrfach vorbestrafter Krimineller…”und kein Vorbild für die Jugend. Er argumentierte auch mit Gerichtsurteilen, die vor 1945 gefällt wurden, und die alle bereits getilgt waren.
Am 7. Juni wird diese Schule in einer Feierstunde dieses großen Mannes gedenken und diesmal habe ich die Ehre, den Kindern von Friedrich Zawrel zu erzählen.

Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Preis aufgrund dieser skandalösen Einstellungsbegründung durch die Staatsanwaltschaft Graz ablehnen soll.
Graz zeigt uns leider, dass für manche Mitarbeiter der Justiz Rechtssprechung nur aus Duden und Gesetz besteht, aber es gibt einige Menschen, die stark dagegenhalten und die ich mit meiner Arbeit als Künstler unterstützen und stärken will
Der Kommentar von Oliver Scheiber im Standard vom 23.2.2016, in dem er von einem schweren Rückschlag der Justiz spricht, aber auch von einer neuen Generation von Richtern und Staatsanwälten rund um Justizminister Brandstetter, die Lehren aus der Vergangenheit gezogen haben und einen neuen Umgang mit Menschen vor Gericht anstreben, hat mich das noch einmal stark überdenken lassen.

Oliver Scheiber ist es zu verdanken, dass Friedrich Zawrel, Jahrzehnte als Verbrecher abgestempelt, Vortragender der Justiz geworden ist, im Rahmen eines Ausbildungsmodul und von über 120 angehenden Staatsanwälten und Richtern gehört wurde.
Darum nehme ich diesen Preis mit Freuden an, und danke denjenigen, die sich trotz solcher Skandale in Graz nicht entmutigen lassen sich weiter für einen menschenwürdigen und respektvollen Umgang mit Menschen vor Gericht einzusetzen. Vielen Dank!“
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