Praktika für AsylwerberInnen und Asyleberechtigte an den Gerichten

Dank der Unterstützung von Fonds Sozialem Wien, Justizministerium und weiteren Justizbehörden konnte am 1.9.2016 ein Praktikaprogramm für Refugees an Wiener Gerichten starten. Maria Sterkl hat für den Standard darüber berichtet:


Scheidung auf Österreichisch 


MARIA STERKL 


16. Oktober 2016, 12:00 

Unter den vielen Flüchtlingen gibt es auch Juristen. Um zu verhindern, dass sie hier Hilfsarbeiten verrichten, bietet die Justiz Praktika an Wien – 

Auf der hellen Schreibtischplatte ist kein Staubkorn zu sehen, der Gesetzeskodex ist in Griffweite platziert. „Das ist unser Büro“, sagt Abdulrahman Alnatour, vom Fenster im Bezirksgericht Meidling sieht man bis zum Wienerwald. Auch in seinem vorigen Job hatte Alnatour ein großzügiges Büro. Der Rechtsanwalt war in einer Wirtschaftskanzlei in der syrischen Stadt Daraa auf Arbeitsrecht und Unternehmensrecht spezialisiert. In Daraa nahm auch der syrische Bürgerkrieg seinen Ausgang. Alnatour musste fliehen, vor knapp zwei Jahren kam er nach Österreich. Auch Mouhamad Jomaa ist Anwalt, in Damaskus vertrat er Strafrechts- und Familienrechtsfälle. 

Juristendeutsch lernen 

In Syrien standen Jomaa und Alnatour in beruflicher Konkurrenz, heute sind sie Kollegen. Am Bezirksgericht Meidling machen sie ein unbezahltes Praktikum. Sie nehmen an Verhandlungen teil, studieren Gerichtsakten, lernen Juristendeutsch. Beide möchten hier bald als Anwälte arbeiten. 

Derzeit sind rund 20 Juristen, die hier Asyl bekommen haben oder noch im Asylverfahren stehen, als sogenannte Rechtshörer an Wiener Gerichten tätig. Der Meidlinger Gerichtsvorsteher Oliver Scheiber hat das Projekt für die Justiz in Kooperation mit dem Fonds Soziales Wien (FSW) organisiert. 

FSW-Projektleiterin Renate Christ erzählt, sie habe sich über diverse Kanäle auf die Suche nach Flüchtlingen mit Jus-Abschluss gemacht – und sie war erfolgreich: Zum Info-Abend über das Praktikaprojekt kamen 90 Flüchtlinge – Anwälte, Richter und Richterinnen, Staatsanwälte. Österreichs Justiz sei auf Juristen angewiesen, die sich gut in den Herkunftskulturen der Flüchtlinge auskennen, sagt Scheiber. Ein Beispiel: Wer im Irak ein Erbe antritt, aber in Österreich wohnt, braucht Richter und Anwälte, die gute Kenntnisse in irakischer Gesetzeslage und Institutionenlandschaft mitbringen. Wer also verhindert, dass „syrische Rechtsanwälte hier als Straßenkehrer arbeiten“, wie FSW-Projektleiterin Christ es formuliert, erweise damit nicht nur den Betroffenen, sondern auch der Justiz und den Anwaltskanzleien, die solche Kompetenzen nachfragen, einen Dienst. 

Bei null anfangen 

Österreich macht es ausländischen Juristen alles andere als leicht, hier in ihren angestammten Berufen zu arbeiten: „Leute, die 15 Jahre lang als Richter tätig waren, müssen in Österreich oft bei null anfangen und fast das gesamte Jusstudium nachholen“, sagt Scheiber. Der Grund: Unis rechnen nur wenige Zeugnisse an. Dabei seien die Rechtssysteme Österreichs und Syriens „sehr ähnlich“, wie Jomaa etwa in Scheidungsverhandlungen feststellen konnte. Das Rechtspraktikum solle „ein Schnellkurs in österreichischer Verwaltung und Gerichtsbarkeit sein“, sagt Scheiber. Einige der 90 Teilnehmer wären dann fit, um beispielsweise als Juristen in Anwaltskanzleien anzufangen – und parallel dazu Jus zu studieren. 

(Maria Sterkl, 16.10.2016) – derstandard.at/2000045921234/Fluechtlinge-in-der-Justiz-Scheidung-auf-Oesterreichisch

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