Zangen, Flaggen und Gebete – unterwegs in eine neue Welt

Österreich 2020 – Ein Jahresrückblick in neun Bildern

 

„Für viele ist die Erkenntnis vielleicht schmerzlich – aber auch die Moral ist saisonbedingt und unterliegt der Mode.“ (Federico Fellini)

Mehr als 4 Millionen Euro pro Monat gab die aktuelle österreichische Bundesregierung in diesem Jahr pro Monat (!) für Inserate, TV-Spots, Radiowerbung und Social-Media-Kampagnen aus. Der Schnitt der letzten acht Jahre lag dagegen bei bloß 1,8 Millionen Euro im Monat. Österreich gibt in absoluten Zahlen ähnliche Beträge wie das zehn Mal größere Deutschland aus. Die Gelder fließen als verdeckte Medienförderung überwiegend in die großen Boulevardmedien. In Zukunft soll dieses System weitergetrieben werden: erst kürzlich schrieb die Regierung ein Vier-Jahres-Werbebudget über 210 Millionen Euro aus. (Quelle: und Details: Der Standard).

Österreich im Jahr 2020, das ist die Geschichte einer Entwicklung, die von einer sachorientierten Informationsarbeit der Verwaltung wegführt und sich in Richtung einer Regierungspropaganda im Sinne Orbans und Trumps bewegt. Einer Entwicklung, die immer weniger Qualitätsjournalismus fördert, dagegen Medienunternehmen in die Abhängigkeit von Regierungsinseraten treibt. Das zersetzt die Rolle der Medien als public watchdog, abgesehen vom fragwürdigen Umgang mit öffentlichen Mitteln.

Inszenierung in der Politik ist nichts Neues. Kreisky beherrschte sie, Obama trug sie als einer der ersten gekonnt in den Social Media Bereich. Was wir in den letzten Jahren in Österreich beobachten konnten, und 2020 in extremer Ausformung, ist etwas Anderes: einen massiven, unter den gesetzlichen Vorgaben der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung rechtlich fragwürdigen und demokratiepolitisch schädlichen Einsatz öffentlicher Mittel für Propagandazwecke. Die vermittelten Inhalte erklären immer weniger das Verwaltungshandeln oder die Gesetzeslage, sondern dienen der persönlichen Inszenierung der politischen Person bzw. in hohem Ausmaß Parteiinteressen.

Die öffentlichen Werbeausgaben werden ergänzt durch in vielen Bundesministerien aufgeblähte Informations- und Presseabteilungen. Markant ist das etwa in Innenministerium und Bundeskanzleramt. Für die Planstellen fallen enorme Kosten an, die Inhalte dienen mehr Personen und Parteien als der nötigen staatlichen Information. Ministerien werden zu Medienunternehmen, es entsteht eine Wettbewerbsverzerrung zulasten der Medien, die Praxis überschreitet wohl das, was im gesetzlichen Auftrag der Verwaltung Deckung findet. Die Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit sind völlig unverhältnismäßig geworden.

Politisch aufschlussreich sind die Facebook-Auftritte einzelner Regierungsmitglieder wie etwa der Wirtschaftsministerin. Eine Bilderflut ersetzt politische Inhalte.

Das Jahr 2020 hat einprägsame Politikerbilder geliefert – nicht etwa von frechen oder bösartigen Fotograf*innen aufgenommen, sondern von den offiziellen Ministeriumsstellen selbst zur Verfügung gestellt. Die Bilder belegen nur als Randerscheinung den gesamtgesellschaftlich wachsenden Narzissmus, sondern zunehmend Abgehobenheit, Zynismus und das Spiel mit nationalem Pathos. Einige markante Bilder im Jahreslauf:

Frühjahr

Bis zum Jahresende 2020 klappt die Verteilung von FFP2-Masken in Pflegeheimen oder Schulen nicht wirklich – obwohl sich bereits im Frühjahr die Wirtschaftsministerium (im Rahmen welcher Zuständigkeit eigentlich?) persönlich ans Ausladen einer Flugzeugs mit Mund-Nasen-Schutz aus China macht.

Foto: facebook

Nach dem Ende des ersten Lockdowns reist der Kanzler ins Vorarlberger Kleinwalsertal. Es entstehen Bilder wie aus einem Heimatfilm der 1960er-Jahre: jubelnde Bürger*innen, österreichische Flaggen. Taferln mit „wir sind stolz …“. Fotos, die Politiker*innen vor Jahren noch verschämt versteckt hätten, werden jetzt offensiv veröffentlicht.

Fotos: BKA/Dragan Tatic

Weiteres spannendes Dokument im Frühjahr: ein Bild aus der Kronen-Zeitung. Man sieht Arbeits- und Familienministerin Christine Aschbacher, wie sie anlässlich der Auszahlung des Familien-Härtefallfonds einer Familie mit zwei Kindern Geld übergibt. Auf dem Foto drückt die Ministerin einem Baby einen Hundert-Euro-Schein in die Hand. Die Ministerin neigt sich zwar zum Baby, steckt ihm aber, offenbar als Virus-Vorsichtsmaßnahme, den Geldschein mit einer Zange in die Finger. Nach Kritik am Bild äußerte die Ministerin, das Baby habe nach dem Geld gegriffen.

Nach Standard-Recherchen handelte es sich, wenig überraschend, wohl um keine tatsächliche Auszahlung, sondern um ein inszeniertes Bild. Der Standard schreibt: „‘Die Familie hat sich in Zusammenhang mit der positiven Zuerkennung einer Leistung aus dem Corona-Familienhärtefonds an mein Büro gewandt. Daraus hat sich die Möglichkeit ergeben, hierzu symbolische Fotos zum Start der Auszahlungen zu machen. Das Bildmaterial wurde sodann im Einvernehmen mit der Familie gemacht‘, so Aschbacher. Ein Fotograf des Bundespressedienst habe das Foto am 28. Mai 2020 um 16:30 Uhr im Volksgarten aufgenommen.“

Foto: Bundeskanzleramt

Sommer

In Griechenland eskaliert die Lage im Flüchtlingslager Moria nach einem Brand. Angesichts der Rufe nach einer Aufnahme von Menschen in Österreich unterstreicht der Innenminister das Regierungsprinzip der Hilfe vor Ort durch einen Hilfsflug nach Griechenland: der Minister persönlich begleitet den Transportflug. Die österreichische Flagge fehlt nicht am eher hölzern geratenen Bild.

Foto: BMI

Herbst

Nach dem Terroranschlag in Wien ehren Kanzler und Innenminister zwei Polizeibeamte. Die geehrten Personen bleiben im Hintergrund, im Vordergrund die Regierungsmitglieder, das Ambiente düster, die geehrten Personen durch die Uniformen und Masken völlig anonymisiert. Trotzdem zeigt das Bild einen durchgehenden Spin des Jahres: eine Militarisierung des öffentlichen Lebens, immer begleitet von Regierungspolitikern. Einmal schwer vermummte Polizisten, einmal das Heeresflugzeug.

Foto: BKA/Arno Melicharek

Ein weiteres Bild vom Herbst zeigt einen anderen Trend: den Einflussgewinn fundamental-katholischer Kreise. Während die Regierung die Aufnahme von Flüchtlingen vehement ablehnt, lädt der Nationalratspräsident zur Gebetsstunde ins Parlament. Die Entwicklung erinnert an das Abdriften der Republikaner zu den Evangelikalen in den USA und den bestimmenden Einfluss radikaler katholischer Kreise in Polens Regierung.

Foto: Parlamentsdirektion/Johannes Zinner

Winter

Der Babyelefant als Abstandsmaß zur Eindämmung der Corona-Ausbreitung hat sich verselbstständigt. Das Bild mit dem Kind im Elefantenkostüm vermittelt keine gesundheitspolitische Botschaft mehr, es ist völlig sinnentleert, es wirft nur, so wie schon im Aschbacher-Bild, die Frage nach dem Umgang mit und der Instrumentalisierung von Kindern durch die Politik auf. Wenn ein Anklang von Leichtigkeit und Fröhlichkeit beabsichtigt war, dann geht das im wieder düsteren Ambiente und neben linkisch-hölzernen Politikern daneben.

Bild: APA/Herbert Neubauer

Knapp vor Weihnachten eine der befremdlichsten Fernsehproduktionen des Landes, die schon im Titel auf den beliebten Begriff der Heldinnen und Helden zurückgreift, auf „Österreich“ nicht vergisst und jede Menge aufschlussreicher Bilder und Allianzen liefert: „Lebensretter“. ORF.at zum Konzept: „Zum bereits dritten Mal bitten das Bundeskanzleramt, die `Kronen Zeitung` und der ORF `Lebensretter: Österreichs Heldinnen und Helden“ vor den Vorhang.“

"Lebensretter 2020 - Österreichs Heldinnen und Helden": ORF Generaldirektor Dr. Alexander Wrabetz, Bundesministerin Elisabeth Köstinger, Krone Chefredakteur Klaus Herrmann

(Bild: ORF/Roman Zach-Kiesling – ORF Generaldirektor Dr. Alexander Wrabetz, Bundesministerin Elisabeth Köstinger, Krone Chefredakteur Klaus Herrmann)

Übrigens, 2019 wurde zum Wort des Jahres in Österreich „Ibiza“ gewählt, im Jahr 2020 „Babyelefant“. Zumindest das kann man als Aufwärtstrend lesen.

 

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