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Gusen: Österreichs Umgang mit der NS-Zeit

Ich habe heute zum ersten Mal die Gedenkstätte am Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Gusen I in Oberösterreich besucht. Selten habe ich eine erschreckendere Örtlichkeit gesehen. Der Ort ist heute wie ein Brennglas des Umgangs Österreichs mit seiner Vergangenheit.

 

Gusen, Nebenlager des KZ Mauthausen, war größer als das Hauptlager Mauthausen. Rund 35.000 Menschen kamen hier ums Leben. Nach Kriegsende wurde das ehemalige Lager recht rasch in die Ortschaft Gusen integriert, das Lagergelände wurde großteils parzelliert und eine Siedlung entstand. Das Krematorium steht heute noch inmitten der Wohnsiedlung, viele Wohnhäuser stehen am Fundament der Lagerbaracken, das ehemalige Lagerbordell, besonderer Folterort, ist heute ebenfalls ein Wohnhaus. Das Lagertor ist in ein kitschig ausgebautes Wohnhaus integriert.

Den Angehörigen der aus vielen Ländern stammenden Opfer wurde lange Zeit ein auch nur halbwegs würdiger Gedenkort verwehrt. Ihnen bleibt nichts als das ehemalige Krematorium, um dort Blumen niederzulegen oder Kerzen anzuzünden. Selbst die Asche der ermordeten Menschen wurde noch als Schüttmaterial für Bauten verwendet. Renommierte Firmen wie Steyr Daimler Puch profitierten in der NS-Zeit vom Zwangsarbeitsmodell und hätten gute Gründe gehabt, eine würdige Gedenkstätte zu finanzieren. Nichts dergleichen geschah. Heute noch sind Straßenschilder auf Zaunpfeiler des ehemaligen KZ montiert, ohne Hinweis auf die schreckliche Vergangenheit.

Erst als Polen vor einigen Jahren androhte, Grundstücke in der Siedlung aufzukaufen und eine Gedenkstätte zur Erinnerung an die rund 13.000 ermordeten Polen zu errichten, wurde die Republik Österreich aktiv. Es besteht nun ein kleines Museum inmitten der Wohnsiedlung. Die ehemalige Lagerstraße trägt einen profanen Namen und führt durch die Einfamilienhäuser.

Die Gruppe junger Menschen, mit der ich die Gedenkstätte heute besucht habe, war fassungslos nicht nur über die Verbrechen, sondern über den Umgang ihrer österreichischen Heimat mit der Vergangenheit. Leugnung, Verdrängung, Frechheit und Opferrolle prägten Österreichs Umgang mit der Nazizeit jahrzehntelang bis etwa zum Jahr 2000. Gusen ist nur eine extreme Ausformung – die Biografie des Psychiaters Heinrich Gross ist ein anderes, prototypisches Beispiel: der Arzt, der in der NS-Zeit Am Spiegelgrund in Wien Kinder ermordete, blieb nach dem Krieg im selben Gebäude sitzen, publizierte über die Gehirne der ermordeten Kinder, die er gesammelt hatte, war Primararzt, Leiter eines wissenschaftlichen Instituts und meistbeschäftigter Gerichtspsychiater der Zweiten Republik bis in die 1990er-Jahre. Dass Österreichs Jugend diesem Umgang mit der Vergangenheit fassungslos gegenübersteht ist ein Fortschritt. Für den klaren Blick auf die Vergangenheit hat es so lange gedauert, bis die letzten Täter der Großväter- und Urgroßvätergeneration verstorben waren. Die Jahre 1938-1945 waren keine isolierte Schreckensperiode, sondern stehen in einer langen Kontinuität von Gesellschaft und Einzelpersonen, die weit zurückreicht und lang über 1945 hinausdauerte.

Zangen, Flaggen und Gebete – unterwegs in eine neue Welt

Österreich 2020 – Ein Jahresrückblick in neun Bildern

 

„Für viele ist die Erkenntnis vielleicht schmerzlich – aber auch die Moral ist saisonbedingt und unterliegt der Mode.“ (Federico Fellini)

Mehr als 4 Millionen Euro pro Monat gab die aktuelle österreichische Bundesregierung in diesem Jahr pro Monat (!) für Inserate, TV-Spots, Radiowerbung und Social-Media-Kampagnen aus. Der Schnitt der letzten acht Jahre lag dagegen bei bloß 1,8 Millionen Euro im Monat. Österreich gibt in absoluten Zahlen ähnliche Beträge wie das zehn Mal größere Deutschland aus. Die Gelder fließen als verdeckte Medienförderung überwiegend in die großen Boulevardmedien. In Zukunft soll dieses System weitergetrieben werden: erst kürzlich schrieb die Regierung ein Vier-Jahres-Werbebudget über 210 Millionen Euro aus. (Quelle: und Details: Der Standard).

Österreich im Jahr 2020, das ist die Geschichte einer Entwicklung, die von einer sachorientierten Informationsarbeit der Verwaltung wegführt und sich in Richtung einer Regierungspropaganda im Sinne Orbans und Trumps bewegt. Einer Entwicklung, die Zangen, Flaggen und Gebete – unterwegs in eine neue Welt weiterlesen

Der öffentliche Diskurs in Österreich (ist kaputt)

Populistische Politik weltweit arbeitet damit, ethnischen Minderheiten und Fremden die Schuld an jeder Art gesellschaftlicher Probleme zuzuweisen. An Arbeitslosigkeit, Budgetdefizit, Pandemien, Kriminalität. Diese politische Strategie ist faktisch leicht zerlegbar und durchschaubar. Medien könnten die inhaltliche Schwäche populistischer Politik durch Information und kritische Würdigung offenlegen. Heimische Medien geben sich stattdessen Der öffentliche Diskurs in Österreich (ist kaputt) weiterlesen

Grundsätzliches zum System der Staatsanwaltschaften in Österreich anlässlich des Ibiza-Untersuchungsausschusses

Einige Gedanken anlässlich der heutigen Vernehmung der Leiterin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft im Ibiza-Untersuchungsausschuss des österreichischen Parlaments:
1) Die Kontinuität der Ermittlungsteams ist ein Schlüsselfaktor für den Erfolg der Aufklärung von politischer Kriminalität und Wirtschaftskriminalität. Die Bedeutung des Abgangs der führenden Ibiza-Ermittlerin im laufenden Verfahren kann man sich ausrechnen.
2.) Antikorruptionsbehörden dürfen und können nicht Liebkind der Regierenden sein. Sie sind der Bevölkerung verpflichtet und brauchen absolute Unabhängigkeit von den Regierenden.

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