Kirchberger Gespräch zu Justiz, Gesellschaft und Politik 2014

Beitrag erschienen in der Österreichischen Richterzeitung, Heft 1/2015
Im vergangenen Oktober wurde in
Tirol über Aspekte der richterlichen Unabhängigkeit diskutiert

Von Oliver Scheiber
 

Ähnlich den Universitäten hat sich die Justiz sehr lange in einem
Elfenbeinturm befunden. Die Abschottung von der übrigen Gesellschaft wurde vormals
überhaupt als zwingende Konsequenz der richterlichen Unabhängigkeit verstanden.
Diese Sichtweise hat sich in den letzten Jahren radikal verändert. Ganz im
europäischen Trend setzt sich die Betrachtungsweise durch, dass die Justiz nur
dann das Vertrauen der Bevölkerung behält, wenn sie ihre Arbeit öffentlich
erklärt und sich mit der Zivilgesellschaft austauscht. Die Einrichtung von
Medienstellen, die Zusammenarbeit mit Schulen oder Vorlesungen an den
juridischen Fakultäten, in denen sich die Justiz präsentiert, belegen diesen
geänderten Zugang.
Die Kirchberger Gespräche zu Justiz, Gesellschaft und Politik, die vom
Präsidenten des Oberlandesgerichts Innsbruck im Zweijahresrhythmus veranstaltet
werden, sehen sich als ein solches Forum des Austauschs zwischen Justiz und
Gesellschaft. Die Veranstaltung will ein Forum der Reflexion und der offenen
Diskussion, ein Ort des Nach- und Vordenkens zu rechts- und gesellschaftspolitischen
Fragen sein. Vom 5. bis 8. Oktober 2014 fand dieses Justizseminar bereits zum vierten
Mal statt und es gab erfreulicherweise den bisherigen Rekord an Anmeldungen zu
dieser Veranstaltung. Das Feld der Teilnehmerinnen und Teilnehmer war
bundesweit und über die verschiedenen Gerichtsebenen gestreut. Mit MMag. Birgit
Ertl-Grätzel war zudem eine Kollegin  des
Bundesverwaltungsgerichts vertreten.
Die Kirchberger Veranstaltung reserviert traditionell viel Zeit für
Diskussionen. Im Jahr 2014 waren die Debatten besonders lebhaft; dazu
beigetragen hat auch die Einrichtung des sogenannten „Beobachterboards“: An
jedem Seminartag stellten sich zwei Kolleginnen bzw. Kollegen zur Verfügung,
die bei Wortmeldungen gleichsam bevorrechtet sind und die Diskussion beleben
sollen. In diesem Jahr haben Uli Schmidt, Barbara Prantl, Martin Neid und
Martin Weber diese Rolle mit viel Esprit und Engagement ausgefüllt.
Das Leitthema der diesjährigen Tagung waren Aspekte der richterlichen
Unabhängigkeit. Das abendliche Eröffnungsreferat dazu hielt der Doyen der
österreichischen Politikwissenschaft, Anton Pelinka. Er stellte das Thema der
Unabhängigkeit in einen geschichtlichen und globalen Kontext, erinnerte etwa an
die Kopenhagener Demokratiekriterien der Europäischen Union und an die Rolle
des Supreme Court in den USA. Für Österreich sieht Pelinka einige Eckpfeiler,
die die Wertordnung der Republik abstecken und damit der Justiz eine
humanistisch-aufgeklärte Verpflichtung auferlegen. Zu diesen Eckpfeilern zählt
Pelinka die MRK, die Unabhängigkeitserklärung vom 27.4.1945, das Symbol der
gesprengten Ketten im Bundesadler, die die Befreiung vom NS-Regime
symbolisieren, und schließlich die Beitrittsakte Österreichs zur Europäischen
Union. Pelinka streifte auch aktuelle Fragen, etwa wenn er zum Weisungsrecht
meinte, dass Einstellungsweisungen der Politik grundsätzlich inakzeptabel
seien, während die Weisung, ein Verfahren weiterzuführen, legitim erscheine.
Zur Qualität der Legistik meinte Pelinka, dass eine bewahrende Politik häufig
mit Generalklauseln agiere, während eine reformorientierte Politik ohne
Detailregeln und stärkeren gesetzlichen Aktivismus nicht auskomme. Trotz der
fortgeschrittenen Abendstunde schloss sich an den Vortrag Pelinkas eine
längere, lebhafte Diskussion.
Ein gesamter Seminartag war dem Thema des Verhältnissen der westlichen
Grundwerte zu unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen gewidmet. Durch
die mediale Diskussion um islamistischen Fundamentalismus hatte das Thema zur
Zeit des Seminars an Brisanz gewonnen. Im Eröffnungsvortrag zu diesem
Themenkreis arbeitete die vielfach preisgekrönte Journalistin Sibylle Hamann
eine Reihe von Werte- und Justizdebatten der letzten Jahre auf. So meinte sie
zur Diskussion um die Strafbarkeit von Beschneidungen nach jüdischem Ritus,
dass sich diese Debatte in Österreich und Deutschland nicht unter Ausblendung
der Verbrechen des Nationalsozialismus führen lasse. Zur Schächtung von Tieren
wiederum erinnerte Hamann daran, dass wesentlich brutalere Vorgänge, wie etwa
bestimmte Formen der Massentierhaltung und des Tiertransports, weit weniger
intensiv und weniger emotional geführt würden. Hamann machte auf diese Weise deutlich,
dass viele vordergründig an Religionen festgemachten Diskussionen sehr stark
von gesellschaftlichen Vorurteilen geprägt sind. Gleichzeitig warnte sie aber
vor den realen Gefahren fundamentalistischer Bewegungen, wie sie sich etwa in
der Begeisterung einzelner Jugendlicher für den Krieg im Nahen Osten zeigen. Hamann
wies an dieser Stelle auf den Unterschied fundamentalistisch getriebener
Verbrechen zu sonstigen Straftaten hin: Fundamentalisten fehle in der Regel
jedes Unrechtsbewusstsein.
Weiteren Input zu diesem Themenkreis lieferten die Referate des Präsidenten
des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages, Rupert Wolff, sowie der
Professorin der Universität Innsbruck, Lamiss Khakzadeh-Leiler. In ihrem
ausgesprochen lebhaften Vortrag referierte Khakzadeh-Leiler die Rechtsprechung
des EGMR zu Religionsfreiheit und Meinungspluralismus. Sie brachte die
europäische Sicht ein, indem sie sich etwa mit dem Burka-Verbot im gesamten
öffentlichen Raum nach neuerem französischem Recht auseinandersetzte. Die
diesbezügliche EGMR-Entscheidung, die das Vorgehen Frankreichs billigt, stellte
Khakzadeh-Leiler in Frage. Pluralismus und Minderheitenrechte würden auf diese
Weise abgeschafft.
In den nachmittäglichen Workshops wurde versucht, den Input der Referate
für den Gerichtsalltag umzusetzen. Dabei wurde der Wandel der justizinternen
Meinungsbilder deutlich. So fanden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer etwa
weitgehend Einvernehmen dazu, dass Kruzifixe und sonstige religiöse Symbole im
Verhandlungssaal oder auch im Richterzimmer, wenn dort Verhandlungen oder
Befragungen stattfinden, störend seien. Die Richterinnen und Richter sehen
dadurch die Neutralität, mit der sie auftreten wollen, konterkariert. Mehrfach
wurde darauf hingewiesen, dass etwa auch Kreuze, die an einer Halskette als
Anhänger getragen werden, bei der Ausübung des Richteramts unter der Kleidung
verdeckt werden sollten; nur dann sei es legitim  zu verlangen, dass Richterinnen und Richter
bei der Berufsausübung kein Kopftuch tragen sollen.
Der zweite Seminartag hatte als Überschrift die „Richterliche Tätigkeit im
Spannungsfeld zwischen Effizienz und Qualität“. Es sollte über verschiedene
mögliche Instrumentarien der Qualitätssicherung für die Rechtsprechung
nachgedacht werden. Das Einleitungsreferat zu diesem Thema hielt Volksanwältin
Gertrude Brinek, die innerhalb der Volksanwaltschaft für die Justiz zuständig
ist und bereits zum zweiten Mal bei den Kirchberger Gesprächen vortrug. Volksanwältin
Brinek hob u.a. die Bedeutung der Sprache für das Ansehen und die Akzeptanz der
Justiz hervor. Sie machte darauf aufmerksam, dass es auch in einem
hochentwickelten Staat wie Österreich rund 75.000 funktionale Analphabetinnen
und Analphabeten gibt und dass in manchen Gerichtssprengeln der Anteil der
Gerichtsparteien mit migrantischem Hintergrund 50% beträgt. Unter diesem Aspekt
sei es besonders wichtig, dass die Justiz auf eine einfache, verständliche
Sprache achte. Volksanwältin Brinek machte auf Tools wie die Internetseite
www.leichterlesen.at oder die Einrichtung der Schreibwerkstatt, wie sie
der Rechnungshof in Zusammenarbeit mit dem Grazer Universitätsprofessor Rudolf
Muhr entwickelt hat, aufmerksam. Zur Verbesserung der Qualität der
Rechtssprache regte sie den Aufbau eines Legistischen Dienstes im Parlament an.
Der Präsident des Landesverwaltungsgerichts für Oberösterreich, Johannes
Fischer, skizzierte in seinem Referat Funktion, Aufgaben und Möglichkeiten der
neuen Verwaltungsgerichte. Er ging näher auf das in Oberösterreich entwickelte
vorausschauende Verfahrensmanagement ein. Durch einen engen, aber
formalisierten Kontakt zwischen Landesverwaltungsgericht und
Verwaltungsbehörden einerseits, Verwaltungsgerichtshof andererseits, wird
sichergestellt, dass auch bei einer Welle starker Arbeitsbelastung für das
Landesverwaltungsgericht schnell Rechtsprechungslinien entwickelt werden. In
solchen Fällen werden durch gezielte Steuerungsmaßnahmen bewusst rasche
Präjudizentscheidungen von Landesverwaltungsgericht bzw. Verwaltungsgerichtshof
herbeigeführt, sodass für die Bürgerinnen und Bürger sehr rasch
Rechtssicherheit besteht. Gleichzeitig wird die Arbeitsbelastung der
Verwaltungsgerichte immer im bewältigbaren Maß gehalten. In diesem System ist
man sehr stark auf eine einheitliche Rechtsprechung hin orientiert.
Michael Ortner, Richter und Vorsitzender der GÖD in Innsbruck, stellte in
seinem Vortrag das Kriterium der Verfahrensdauer als zentrales Messparameter
der richterlichen Arbeit in Frage. Er betonte, dass in der berechtigten
Erwartung der Bevölkerung heute die Sozialkompetenz des Richters zumindest
gleichberechtigt neben der Sachkompetenz stehe und eine zu starke Fokussierung
auf die Verfahrensdauer viele Kriterien für die Qualität eines
Gerichtsverfahrens vernachlässige. Michael Ortner fand darin viel Zustimmung
aus dem Kreis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Auch an diesem Seminartag war der Nachmittag der Bearbeitung des Inputs aus
den Vorträgen in Workshops gewidmet. Wiewohl auch hier die Diskussion lebhaft
war, zeigte sich viel Übereinstimmung und ein Paradigmenwechsel der letzten
Jahre wurde deutlich: So wie die sozialen Fähigkeiten der Richterinnen und
Richter ganz einhellig als zentral gesehen werden, so ist etwa auch die
Verwendung einer einfachen, verständlichen Sprache zum allgemein anerkannten
Qualitätskriterium geworden.
Der letzte Seminartag widmete sich dem künftigen Richterbild und wurde mit
einem Grundsatzreferat des Rechtsanwaltes und Universitätsprofessors Alfred Noll
eingeleitet. Dieser stellte die Funktion der Justiz als sozialer Einrichtung
und als staatliche Wohlfahrtseinrichtung im Sinne von Franz Klein heraus. Noll
betonte die Bedeutung von Transparenz, Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit
gerichtlichen Handelns als zentrale Bausteine für das Vertrauen der Bevölkerung
in das Rechtsprechungssystem. An diesen Vortrag schloss eine Podiumsdiskussion
mit dem Vizepräsidenten des OLG Innsbruck Wigbert Zimmermann, dem Leiter der
Personalabteilung im Bundesministerium für Justiz, Gerhard Nogratnig, der
Präsidentin der Rechtsanwaltskammer Vorarlberg, Birgitt Breinbauer, und dem
Präsidenten der Richtervereinigung, Werner Zinkl, an. Sowohl das Podium als
auch das Plenum trugen zu einem anregenden Abschluss der diesjährigen Kirchberger
Gespräche bei.  


Weiterführende Literatur:

Zum
Paradigmenwechsel in der Justiz vgl. Pilgermair (Hrsg), Wandel in der Justiz
(2013); 
http://www.sibyllehamann.com/Brinek, Vom wahren Leben im Rechtsstaat (2012); Fischer/Fischlehner,
Die
(künftige) Realisierung des Rechts auf angemessene Verfahrensdauer in
Verwaltungsverfahren, ZfV 2012, 211; 
Zum Paradigmenwechsel in der Justiz vgl. Pilgermair (Hrsg), Wandel in der Justiz (2013).
___
Der Autor dieses Beitrags war in die Organisation der Veranstaltung eingebunden und dankt an dieser Stelle dem Fortbildungsleiter des OLG Innsbruck Klaus-Dieter Gosch sehr herzlich für die anregende, freundschaftliche Zusammenarbeit.
 
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Straftat „Integrationsunwilligkeit“ – abstrus und gefährlich

Blogbeitrag für mosaik vom 22.1.2015

 
Die steirische Landesregierung (SPÖ/ÖVP) hat vor zwei Tagen angekündigt, künftig die Integrationswilligkeit von ZuwanderInnen überprüfen zu wollen. Man könne sich auch einen Straftatbestand der „Integrationsunwilligkeit“ vorstellen, erklärte Landeshauptmann Franz Voves. Gedacht sei, so hieß es aus Graz, etwa an muslimische Schüler, die keine Frau als Lehrerin akzeptieren wollten. Der Vorschlag ist juristisch so abstrus, dass er wohl eine klare Absage aller ExpertInnen erhalten wird. Weil er politisch so untergriffig, ja gefährlich ist, verdient er einen Kommentar.
 
Zunächst: Das Strafrecht ist da, um schwere Vergehen gegen den gesellschaftlichen Frieden zu ahnden – Mord, Körperverletzung, Verbrechen gegen die Selbstbestimmung usw. Darüber hinaus müssen es klar definierte Verhaltensweisen sein, die unter Strafe stehen – unbestimmte Begriffe haben im Strafrecht nichts verloren, öffnen sie doch der Willkür Tür und Tor. Was aber soll Integrationswilligkeit bedeuten? Welche Regeln in Österreich einzuhalten sind, ist rechtlich bereits klar definiert: durch die Bundesverfassung, durch europarechtliche Bestimmungen und durch unzählige Gesetze und Verordnungen. All dies zusammen bestimmt, was in Österreich gilt. Und wer sich nicht daran hält, wird schon jetzt bestraft: wer etwas stiehlt, wer hetzt, wer seine Kinder nicht in die Schule schickt, der hat mit Strafen zu rechnen. Alles was darüber hinaus die „Integrationswilligkeit“ oder „Integrationsfähigkeit“ prüft, geht meist in Richtung Schikane und Gesinnungsprüfung.
 
Schifahren mit Gabalier?
 
Schon jetzt müssen ZuwanderInnen und Flüchtlinge unzählige, oft fragwürdige Hürden überwinden – es gibt Sprachprüfungen, nachzuweisende Einkommen und Wohnungsgrößen. Die Prüfung der „Integrationswilligkeit“ und Bestrafung der „Integrationsunwilligkeit“ appelliert, so wie das Pegida und andere rechtspopulistische Bewegungen tun, an die Gefühlsebene und scheint nicht zufällig im Vorfeld der steirischen Landtagswahlen in die Diskussion gebracht worden zu sein. Was soll denn die gute Integrationswillige tun: Schi fahren, Andreas Gabalier mögen, Schönbrunn und Mozart lieben? Und wer nicht Schi fahren mag oder Gabalier nicht verträgt, wird bestraft? Aber das müsste dann auch wohl für die österreichischen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen gelten: auch da gibt es viele, die mit Lippizaner, Mozartkugeln, Volksmusik oder Kirtagen nichts anfangen können. Ein Straftatbestand der „Integrationsunwilligkeit“ ist strafrechtlich absurd und widerspricht den Grundrechten. Der Vorschlag richtet sich gegen die grundrechtlich abgesicherte Selbstbestimmung – unsere Verfassung lässt jedem Bürger, jeder Bürgerin die Freiheit, den Alltag nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Auch ohne jede Migration gibt es die unterschiedlichsten Lebensformen. Eine Haltung zu Heimat und Gebräuchen einzufordern und Verstöße sanktionieren zu wollen, ist gefährlich und Wasser auf den Mühlen rechter und rechtsextremer Kräfte – dieser Zugang hat uns im letzten Jahrhundert in den Abgrund geführt.
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Vom Scherben- zum (fast) normalen Gericht

Gastbeitrag für DIE PRESSE – Printausgabe vom 12.1.2015 (Rechtspanorama)

U-Ausschuss-Reform. Der bevorstehende Untersuchungsausschuss
zur Causa Hypo-Alpe-Adria wird zeigen, ob die Parlamentsparteien das neu und
besser gestaltete Kontrollinstrument mit Leben erfüllen.
Zum Jahresende 2014 haben die
Regierungsparteien ein langjähriges Versprechen eingelöst und einer
grundlegenden Reform der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zugestimmt.
Der zentrale Punkt der Reform ist bekannt: ein U-Ausschuss kann künftig auch
von einer parlamentarischen Minderheit eingesetzt werden. Damit wird der
Untersuchungsausschuss zu einem Kontrollinstrument der Opposition. Bisher
erforderte die Beschlussfassung für einen Untersuchungsausschuss eine
Parlamentsmehrheit. Die Reform ist erst seit 1. Jänner in Kraft und schon
bereiten sich alle Parteien auf einen Untersuchungsausschuss zum
Sachverhaltskomplex Hypo-Alpe-Adria vor.
Neben der grundlegenden
Systemumstellung von Mehrheits- auf Minderheitsinstrument bringt die Reform
eine neue Verfahrensordnung für die Ausschüsse. Was erwartet Abgeordnete,  Auskunftspersonen und Öffentlichkeit also in
den neuen Ausschüssen?
Zunächst hängt viel von der
Ausformulierung des Untersuchungsgegenstands des Ausschusses ab – nur in diesem
Rahmen kann der Ausschuss tätig werden. Den Vorsitz im Untersuchungsausschuss
führt die Präsidentin des Nationalrats. Ergänzend dazu bestimmt das Parlament
für jeden Ausschuss einen Verfahrensrichter und einen Verfahrensanwalt. Vor
allem dem Verfahrensrichter wird in den Anhörungen des Ausschusses eine
zentrale Rolle zukommen. Die Qualität seiner Arbeit wird den Erfolg der
Ausschussarbeit wohl maßgeblich mitbestimmen.
Die Arbeit des U-Ausschusses
läuft ähnlich ab wie ein Gerichtsverfahren. Eine Besonderheit des U-Ausschusses
ist aber die Vielzahl der Akteure. So haben etwa alle Ausschussmitglieder ein
Fragerecht. Alle Einvernahmen werden wörtlich protokolliert. Dadurch werden die
Rechte der Auskunftspersonen bestmöglich gewahrt.
Der neue U-Ausschuss hat bei
seinen Erhebungen viel Spielraum. Grundsätzlich ist jede denkbare
Beweisaufnahme möglich. Der Ausschuss kann sich nicht nur alle ihm nötig
erscheinenden Akten und Dokumente beschaffen und einsehen, sondern ähnlich
einem Gericht einen oder mehrere Sachverständige bestellen und Augenscheine
vornehmen. Nach deutschem Vorbild kann ein Ausschuss nunmehr auch einen
Ermittlungsbeauftragten bestellen; dieser agiert gleichsam wie ein
Ausschuss-Kommissar. Der Ausschuss kann den Ermittlungsbeauftragten (oder einen
Sachverständigen) auch kurzfristig zu Recherchen, Befragungen, gesprächsweisen
Abklärungen oder Lokalaugenscheinen aussenden und so rasch auf neue
Informationen und Situationen reagieren.
Für die Öffentlichkeit bilden
wohl auch künftig die Einvernahmen der Auskunftspersonen vor dem Ausschuss das
Hauptinteresse. Die Auskunftspersonen stehen bei Ihrer Befragung im Parlament
unter Wahrheitspflicht; falsche Aussagen sind strafbar und mit Gefängnisstrafen
bedroht. Zumindest theoretisch kann der Ausschuss die Befragung einer Auskunftsperson
auch im schriftlichen Weg abwickeln (und die betreffende Auskunftsperson damit
in eine vergleichsweise gemütliche Position bringen). Ansonsten erfolgt die
Befragung öffentlich im Ausschuss. Jede Auskunftsperson erhält bereits mit der
Ladung das Thema ihrer Befragung zugesandt und hat dann vor dem Ausschuss
zunächst einmal die Möglichkeit einer einleitenden Stellungnahme von bis zu 20
Minuten Dauer. Erst daran schließt die Erstbefragung durch den
Verfahrensrichter an, die bis zu 15 Minuten dauert. Vor allem diese langen und
ersten Fragemöglichkeiten machen den Verfahrensrichter zu einer Schlüsselfigur
jedes Ausschusses. Erfahrung, Konsequenz und Vorbereitung des
Verfahrensrichters werden das Ergebnis der Ausschussarbeit wesentlich
mitbestimmen. Erst nach dem Verfahrensrichter kommen die Ausschussmitglieder
mit ihren Fragen an die Reihe.
In der Vergangenheit wurde
vielfach kritisiert, dass Untersuchungsausschüsse über einzelne Zeugen
gleichsam ein Scherbengericht abgehalten hätten. Mit der Reform erhalten die
Auskunftspersonen die erwähnte Möglichkeit der einleitenden Stellungnahme.
Zudem wird ein eigener Verfahrensanwalt bestellt, der auf die Rechte der
befragten Person achtet und mit dem sich eine Auskunftsperson während der
gesamten Befragung jederzeit beraten kann. Zusätzlich kann jede Auskunftsperson
eine Vertrauensperson zur Befragung mitnehmen. Selbstverständlich muss niemand
sich oder einen nahen Angehörigen strafrechtlich belasten – für diese Fälle
besteht die Möglichkeit, eine Aussage zu verweigern. Die Verfahrensordnung
verbietet zudem ausdrücklich Suggestivfragen sowie unbestimmte, mehrdeutige
Fragen an die Auskunftspersonen.
Beweistaktisch spannend ist die
Möglichkeit des U-Ausschusses, eine Gegenüberstellung von Auskunftspersonen
vorzunehmen. Es ist wohl mehr oder weniger spektakulär, wenn auf diese Weise
hochrangige politische Entscheidungsträger vor dem versammelten Ausschuss mit
Widersprüchen in ihren Angaben konfrontiert werden.
In der Vergangenheit hat die
Justiz fallweise die Erschwerung der Strafverfolgung durch parallel laufende
Untersuchungsausschüsse beklagt. Die Reform sieht nun vor, dass sich künftig
Parlament und Justizminister in einem formellen Verfahren über die Reihenfolge
von Aktenübersendungen und Zeugenbefragungen verständigen, wenn
parlamentarische und strafrechtliche Untersuchungen parallel laufen.
Am Ende der
Untersuchungstätigkeit steht wie bisher ein Ausschussbericht; mit seiner
Vorbereitung ist nunmehr der Verfahrensrichter betraut.
Alles in allem scheint die Reform
der Untersuchungsausschüsse durchaus gelungen. Das Parlament erfährt dadurch
zweifellos eine Aufwertung. Die neuen rechtlichen Instrumente müssen freilich
erst mit Leben erfüllt werden. Der Tätigkeit des ersten Ausschusses nach neuem
Regime wird dabei eine wichtige Rolle zukommen. Man darf gespannt sein, wie das
Parlament die Chance der neuen Instrumente zu nutzen versteht.

Dr. Oliver Scheiber ist
Richter in Wien. Dieser Text gibt seine persönliche Ansicht wieder.
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Zu nötigen Reformen im Strafvollzug

Die Allianz gegen die Gleichgültigkeit, eine Gruppe von Juristinnen und Juristen, hat 2013 und 2014 mehrfach auf Missstände im Strafvollzug aufmerksam gemacht und Reformvorschläge unterbreitet. Aus Gesprächen war uns ExpertInnen klar, dass im Strafvollzug vieles im Argen liegt. In der Zwischenzeit wurden Vergewaltigungsfälle im Jugendstrafvollzug, massive Vorwürfe sexueller Übergriffe gegen weibliche Häftlinge und erschreckende Bilder der Verwahrlosung aus der Justizanstalt Stein bekannt. Das Ausmaß der Verlotterung hat alle überrascht.

Justizminister Brandstetter hat (im Gegensatz etwa zu seiner Amtsvorgängerin)  auf die bekannt gewordenen Fälle mit klaren Worten reagiert und glaubwürdig eine Totalreform des Systems Strafvollzug eingefordert. Die aktuellen Berichte in der Zeitschrift FALTER zeigen, dass das System Widerstand gegen Reformen leistet. Dass bisher vor allem die AnzeigerInnen von Missständen mit unangenehmen Konsequenzen zu rechnen haben, ist ein Skandal, den vor allem auch die jeweilige unmittelbare Arbeitsumgebung zu verantworten hat.

Aus aktuellem Anlass ist daher festzuhalten:

– es muss ein Klima geschaffen werden, in dem es gewürdigt wird, wenn jemand Missstände aufzeigt. Beamtinnen und Beamten müssen besser über die Möglichkeiten von (anonymen) Anzeigen informiert werden. Sie müssen ermuntert werden, strafbare Handlungen und Grundrechtsverletzungen in ihrem Arbeitsumfeld anzuzeigen.
 
– Vorgesetzte und Ministerium sollten sich demonstrativ vor jene BeamtInnen stellen, die helfen, Missstände aufzuzeigen und abzustellen.
 
– Die jüngsten Medienberichte lassen vermuten, dass es eine erhebliche Dunkelziffer an Übergriffen gegen weibliche Strafgefangene gibt. Nachdem es sehr wenige weibliche Gefangene gibt, wäre ein leichtes, die in den letzten Jahren inhaftierten Frauen von weiblichen Polizeibeamten und StaatsanwältInnen zu allfälligen Übergriffen befragen zu lassen.
 
– Gefängnisinsassen haben einen sehr schwachen Rechtsschutz. Der Rechtsschutz muss dringend verbessert werden. Dafür gäbe es verschiendene Wege. Für wichtige Entscheidungen (Anhörung zur Frage der bedingten Entlassung) sollte die verpflichtende Beigebung eines Rechtsanwalts überlegt werden. Wichtige Anhörungen sollten videoaufgezeichnet werden. Wöchentliche Sprechstunden von RechtsanwältInnen in Justizanstalten könnten den Zugang der Häftlinge zu ihren Rechten erleichtern. Jeder Strafgefangene sollte zumindest ein bis zwei Mal jährlich ein längeres Gespräch mit einem Rechtsanwalt führen, für das wenn nötig Dolmetschung organisiert wird. Aktuell erfolgt die Verständigung im Strafvollzug überwiegend mit Hilfe anderer Gefangener. Missstände werden in einer solchen Struktur naturgemäß selten angezeigt.

– durch all diese Maßnahmen soll va auch die Mehrzahl der engagierten Beamtinnen und Beamten ermuntert werden.

 
– RichterInnen, StaatsanwältInnen und RechtsanwältInnen begleiten Straftäter in der Regel bis zur rechtskräftigen Verurteilung. Für den Strafvollzug fühlt sich keine dieser Berufsgruppen verantwortlich. Die Rechtsberufe sollten stärker in das System Strafvollzug eingebunden werden und in die Verantwortung dafür genommen werden.
 
– Der Staat hat eine Verpflichtung, die Grundrechte zu gewährleisten – auch und gerade gegenüber Menschen in Haft. Kann oder will der Staat die Grundrechte von Strafgefangenen nicht gewährleisten, so verliert er die Legitimation, Haft zu vollziehen. 
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