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Zeitzeugengespräch mit Gert Hoffmann

Gert Hoffmann, geb. 1917, war bereits in den 1930er-Jahren politisch aktiv und im Widerstand gegen den Austrofaschismus. Ab 1933 wurde
er mehrmals verhaftet, im Februar 1938 amnestiert. Am Vorabend des Einmarsches der
Nationalsozialisten in Wien war er unter denen, die zum Widerstand gegen die
Besetzung aufriefen. 1938 emigrierte er in die damalige Tschechoslowakei und
von dort nach Spanien, um mit den Internationalen Brigaden am Kampf für die
Spanische Republik teilzunehmen. 1939, nach der Niederlage in Spanien,
verbrachte Gert Hoffmann mehrere Jahre in französischen Internierungslagern,
arbeitete im inzwischen von der Wehrmacht besetzten Frankreich bis 1943 als
Landarbeiter und Holzfäller und kämpfte bis Kriegsende im französischen
Widerstand.

Gert Hoffmann
wurde nach der Befreiung in die US Army aufgenommen und war unter den ersten
Befreiern, die Deutschland betraten. Er kehrte nach Kriegsende nach Österreich
zurück. In den 1970er Jahren gründete er ein kleines Gewerbeunternehmen,
engagierte sich gleichzeitig in Kuba und Nicaragua
als Entwicklungshelfer.

Gert Hoffmann hat seine bewegte Lebensgeschichte aufgeschrieben. Das Buch „Barcelona, Gurs, Managua – Auf holprigen
Strassen durch das 20. Jahrhundert“ ist ein faszinierendes Zeitdokument.

Am 14. Juni 2012, um 11 Uhr, kommt Gert Hoffmann zu einem Zeitzeugengespräch an die Wiener Handelsakademie ibc in der Hetzendorfer Strasse 66-68. Die Veranstaltung findet in Zusammenarbeit von ibc und Bezirksgericht Meidling statt.




Geleitwort zur
Veranstaltung
Die Zeit des Nationalsozialismus markiert den dunkelsten Abschnitt der
österreichischen Geschichte. Das bis heute in Worte nicht fassbare Ausmaß der
Verbrechen des NS-Regimes bleibt für Staat und Gesellschaft auch in Zukunft
Mahnung und Herausforderung zugleich. Die Lehre aus der Geschichte kann für die
Republik Österreich nur darin liegen, alle Anstrengungen zu unternehmen,
Frieden und Demokratie zu erhalten. Justiz und Schule kommt dabei zentrale
Bedeutung zu: ist es doch die klassische Aufgabe der Justiz, den Rechtsfrieden
zu bewahren, die Fähigkeit unter Beweis zu stellen, kleinere und größere
Konflikte gewaltfrei zu lösen. Und klassische Aufgabe der Schule, der Jugend
die Voraussetzungen eines demokratischen und friedlichen Miteinanders zu
vermitteln, junge Menschen zu kritischen, selbstbewussten Bürgerinnen und
Bürgern zu erziehen.
Aus diesen Gründen ist es für mich naheliegend, dass Justiz und Schule bei
Demokratieprojekten zur Zusammenarbeit berufen sind. Und nachdem ich im
Dezember 2011 erstmals über Gert Hoffmann in der Tageszeitung KURIER gelesen
hatte, war es zur Idee einer Veranstaltung an einer Wiener Schule kein weiter
Weg. Ich besorgte mir die Autobiographie Gert Hoffmanns, kontaktierte ihren
Autor und durfte ihn in seiner Heimatgemeinde Markt Piesting in
Niederösterreich besuchen. Gert Hoffmann vereinigt in sich all das, was die
Demokratie, gerade heute, so dringend benötigt: solidarisches, internationales
Denken, Toleranz und Respekt vor anderen – und Kampfgeist und Leidenschaft für
diese demokratischen Werte.  
Gert Hoffmann gehört zu den letzten Überlebenden der Grauen von Weltkrieg
und Faschismus: deshalb ist es so wichtig, dass junge Menschen Gelegenheit
haben, ihm zuzuhören, ihm Fragen zu stellen. Kein Buch, kein Film kann so
eindringlich und authentisch vermitteln, was Zeitzeugen wie Gert Hoffmann aus
eigener Erfahrung berichten.
In diesem Sinne danke ich der Wiener Handelsakademie ibc für das
Zusammenwirken bei dieser Veranstaltung. Der Dank gilt im weiteren natürlich vor
allem Gert Hoffmann, aber auch seinen Töchtern Cornelia Hoffmann und Marion
Hoffmann, die bei der Vorbereitung der Veranstaltung maßgeblich mitgeholfen
haben. Verbunden bin ich auch Sergio Barizza und der Vereinigung Terra Antica in Venedig, die Gert
Hoffmann 2009 eingeladen hatten und die nachfolgend abgedruckten Texte damals
in einer Broschüre zusammengeführt haben. Anlass der Einladung an Gert Hoffmann
war die italienische Festa delle
liberazione (Fest der Befreiung)
– in Österreich erinnert uns der Begriff
daran, dass das Jahr 1945 viel zu wenig als Jahr der Befreiung im Bewusstsein
verankert ist, und dass die amerikanischen, französischen, englischen und
russischen Soldaten in eben dieser Eigenschaft nach Österreich kamen: als
Befreier. Und auch für Gert Hoffmann hat die liebevoll gestaltete Broschüre der
Terra Antica die treffendste
Charakterisierung gefunden: Gert Hoffmann – ein europäischer Antifaschist. 
Dr. Oliver Scheiber,
Vorsteher des Bezirksgerichts Meidling

Zugang zum Recht: Podiumsdiskussion am Bezirksgericht Meidling

Die Zeitschrift juridikum hat eine Monopolstellung unter den juristischen Zeitschriften Österreichs: als einzige setzt sie sich schwerpunktmäßig mit grundlegenden rechts- und gesellschaftspolitischen Fragestellungen auseinander. Die aktuelle Ausgabe beschäftigt sich mit dem Zugang zum Recht – einem Schlüsselkriterium für jedes Rechtssystem. Das Heft wird im Rahmen einer Podiumsdiskussion am kommenden Montag am Bezirksgericht Meidling vorgestellt.
 

Montag, 11. Juni 2012, 18:30 Uhr 
 

Bezirksgericht Meidling, Schönbrunner Straße 222-228

1120 Wien, U4 Meidling Hauptstraße

Zugang zum Recht
 

Mira Kadric | Universität Wien

Dolmetschen als staatliche Fürsorgepflicht

Monika Niedermayr | Universität Innsbruck

Zugang zum Recht im frühen 19. Jahrhundert

Arno Pilgram | Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie

Rechtsfürsorge – juristische und soziologische Perspektivendifferenzen

Joachim Stern | Zeitschrift juridikum

Verfahrenshilfe – grundrechtlicher Mindeststandard der Verwaltungsgerichtsbarkeit

Oliver Scheiber | Vorsteher des BG Meidling

Moderation

Anmeldung erbeten: vorstand.meidling@justiz.gv.at

Unterschreiben für das Cafe Drechsler

Das Cafe Drechsler am Wiener Naschmarkt wird bald 100 Jahre alt. Bekannt war das Lokal seit jeher für seine nahezu durchgehenden Öffnungszeiten. Unvergessen sind Fotografien des früheren Eigentümers Engelbert Drechsler, wie er den Marktstandlern früh am Morgen auf einem Serviertablett ihren Kaffee über die Strasse zu ihrem Arbeitsplatz trägt – zu einer Zeit, als es im Marktbereich noch keinen einzigen Gastronomiebetrieb gab. 
Groß war die Sorge um die Existenz des Cafe Drechsler, als Engelbert Drechsler vor einigen Jahren in den Ruhestand trat. Mit Manfred Stallmajer und Robert Kollmann fanden sich 2007 Nachfolger, die das Lokal nicht nur weiterführten, sondern auch stilvoll erneuerten und alte Traditionen wie die langen Öffnungszeiten beibehielten. Das Cafe Drechsler ist heute weiterhin eine unverwechselbare Note im Wiener Stadtleben.
Dieses für die Stadt nicht unwichtige unternehmerische Engagement wird nun von den Behörden bestraft. Während gegenüber am Naschmarkt selbst für neue Betriebe immer mehr Flächen, auch für Gastgärten, zur Verfügung gestellt werden und während die Stadt Wien selbst das ganze Jahr über den Rathausplatz mit Gastronomiebuden bestückt, wird dem Traditionsbetrieb Drechsler ein angemessener Schanigarten verwehrt. Die Privilegierung der hippen Marktbetriebe gegenüber den Traditionslokalen an der Wienzeile ist schlicht wettbewerbsverzerrend. Nach jahrelangen Bemühungen stehen die Betreiber des Drechsler nun vor dem Aufgeben: sie wollen für drei Monate zusperren. Vielleicht ist es noch nicht zu spät: im Cafe Drechsler liegt noch bis 4. Juni eine Unterschriftenliste an die Bezirksvorstehung Mariahilf (post@b06.magwien.gv.at) auf. Die sonst erfrischend offene Bezirksvorsteherin Renate Kaufmann sollte für das Anliegen doch ein Ohr haben. 
Foto: Now! – Österreichisches Magazin für Musik & Mehr

San Marino: Tradition in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

Über zwei Millionen Reisende besuchen jedes Jahr San Marino. Die gleichnamige Hauptstadt des europäischen Ministaats besticht durch ihre Lage auf einem hoch aufragenden Felsen rund 750 Meter über dem Meer. Rimini, traditionsreicher italienischer Ferienort und Heimatstadt Fellinis, liegt nur 20 Autominuten entfernt. Die attraktivste Annäherung ist freilich jene mit der Seilbahn, die von Borgo Maggiore aus in das Stadtzentrum San Marinos führt. Von den Festungsanlagen der Hauptstadt, hoch über dem Abgrund, bietet sich ein atem(be)raubender Blick über das italienische Umland und zur nahen Adriaküste.
Nicht weniger beeindruckend als Lage und Stadtbild ist die jahrhundertealte demokratische und rechtsstaatliche Tradition San Marinos. So schaffte das kleine Land bereits 1865 als erster europäischer Staat die Todesstrafe ab. Die
letzte bekannte Exekution liegt gar 550 Jahre zurück. Im Zweiten Weltkrieg gewährten die damals 10.000 Einwohner San Marinos rund 100.000 Flüchtlingen Unterkunft. Bis in die jüngere Vergangenheit wurde San Marino immer wieder von linken Mehrheiten unter Einschluss der Kommunisten regiert – Franco-Spanien verweigerte deshalb Inhabern von Reisepässen, in denen sich Stempel San Marinos fanden, die Einreise. Seit 1975 genießen die Einwohner San Marinos eine kostenlose medizinische
Versorgung. Zu Machtanhäufungen einzelner Politiker kann es nicht kommen: Staatsoberhäupter sind die beiden jeweils nur halbjährig und kollegial amtierenden Capitani Reggenti.


Ganz und gar kein Kübelfaller: Zum Tod von Ernst Hinterberger (1931-2012)

Der Wiener Schriftsteller und Drehbuchautor Ernst Hinterberger ist tot. Mit dem Mundl hat er eine Figur geschaffen, die zum Synonym eines bestimmten Typus des Wieners und Teil des allgemeines Sprachschatzes geworden ist, im „Kaisermühlen Blues“ hat er Wien besser abgebildet als jeder Feuilletonist. Seine (Dreh)Bücher konnten böse sein, doch getragen war sein Werk von einer tiefen Liebe zu den Menschen. Und Hinterberger war authentisch: bis zuletzt lebte er in einer kleinen Gemeindewohnung, mit Blick auf den lauten Wiener Margaretengürtel.
Ernst Hinterbergers Stärke war es, das Einfache nicht kompliziert zu reden und auch das Unangenehme beim Namen zu nennen. Das hat er bis zuletzt so gehalten, so auch in einem Interview mit dem Standard im vergangenen November:

STANDARD: … Sie leben seit jeher in Wien-Margareten. Welche andere Lieblingsgegend haben Sie? Sicher den Prater mit seiner Halbwelt.
Hinterberger: Ja, den zweiten Bezirk. Da war ich viel unterwegs, der ist meine Gegend. Ich hab die Leut, Lokale, Prostituierten, Zuhälter und die Sprache gekannt. Das waren im Prinzip ehrliche Leut. Eine Hure sagt: „Ich geh am Strich“, und damit ist die Sache erledigt. Ein Zuhälter sagt, „I bin a Zuhälter“, und nicht „Ich bin Berater.“ …
STANDARD: Haben Sie eigentlich ein Wienerisches Lieblingswort?
Hinterberger: Kübelfaller.
STANDARD: Kübelfaller?
Hinterberger: Die Wiener sind ja in der Nacht auf den Kübel gegangen, weil das Klo am Gang war. Wenn da eine Frau eine Sturzgeburt hatte, dann ist das Kind kopfüber in den Kübel g‘fallen, danach war es für immer ein bisserl deppert.
STANDARD: Ist das grauslich.
Hinterberger: Das ist Wienerisch. Es weiß aber heute auch niemand mehr, was ein Kas ist. Nicht der Käse, sondern ein Justizwachebeamter. Die haben nämlich früher Kaiserlicher Amtssoldat geheißen: K-A-S. Oder: „Wen machen“: wen töten. Oder „Buckl“. Das ist einer, der für seinen Chef seinen Rücken hinhält, der Bodyguard.

Foto: APA